Robert Schumann op. 22
Sonate Nr. 2 g-moll op.22
I. So rasch wie möglich
II. Andantino. Getragen
III. Scherzo. Sehr rasch und markiert
IV. Rondo. Presto
Anhang: Presto passionato (= 1. Finale)
Schumanns Drang, sich mit dem Problem der Sonatenform auseinanderzusetzen, führte ab 1833 zur beinahe gleichzeitigen Konzeption dreier Klaviersonaten. Dieses stoßweise Abarbeiten bestimmter musikalischer Gattungsbereiche, das Schumann in seinem gesamten Schaffensprozess immer wieder praktizierte, zeigt sich schon hier. Letztlich zog sich die Fertigstellung der Sonate in fis-moll op. 11, der in f-moll op. 14 und der in g-moll op. 22 über mehrere Jahre hin, im Druck erschienen sie erst zwischen 1836 und 1839. Schumanns ständiges Ringen mit dem Formproblem Sonate fällt in den meisten seiner Klavierkompositionen dieser frühen Phase auf. Sein Ziel bleibt, ein adäquates romantisches Pendant zur klassischen Sonate zu entwickeln. Häufig finden auch ursprünglich als Klavierminiatur entworfene Stücke in den später als Klaviersonaten veröffentlichten Werken Verwendung.
Über mehr als sechs Jahre zieht sich ¨C mit großen Unterbrechungen ¨C Schumanns Arbeit an der Sonate op. 22, die ursprünglich mit der Opuszahl 12 versehen werden sollte. Erste Skizzen finden sich im Jahr 1833. Schon im Juni 1830 schreibt Schumann in Heidelberg ein „Papillote“ genanntes Klavierstück nieder, das auf einem 1828 entstandenen, durch ihn selbst nicht veröffentlichten Lied „Im Herbste“ basiert. Aus diesem Material wird schließlich der zweite Satz (Andantino) der Sonate op. 22, in dem das Liedthema ¨C deutlich modifiziert ¨C zu drei Variationen mit abrundender Coda erweitert ist.
Drei Jahre später, im Juni 1833, komponiert Schumann den tänzerisch eleganten dritten Satz (Scherzo) sowie den ungeheuer virtuosen Hauptsatz. Im Oktober 1835 beginnt Schumann schließlich mit dem Hauptteil des ursprünglichen Finalsatzes (Presto Passionato) und erklärt diese erste Fassung der Sonate als „vollendet“. Zwei Jahre später nimmt er sie dann erneut vor und hat die Sonate „geordnet bis auf die letzten Seiten“, die ihm viel Kopfzerbrechen machen. Schumanns Braut Clara Wieck kannte das Finale nur in der Version von 1835 und bat mit Nachdruck darum, es neu und für den Zuhörer verständlicher zu gestalten. In einem Brief vom März 1838 pflichtet Schumann ihr bei: „Mit dem letzten Satz der Sonate hast Du so Recht, er mißfällt mir mir im hohen Grad (bis auf einzelne leidenschaftliche Augenblicke), daß ich ihn ganz verwerfe.“ Während seines Aufenthalts in Wien schreibt Schumann im Dezember 1838 schließlich einen neuen und nun endgültigen Schlusssatz (Rondo. Presto), der zwar nicht so schwierig wie der ursprüngliche ist, aber auch nicht so originell. „Er ist sehr simpel, paßt aber innerlich gut zum ersten“, schreibt er an Clara. Im September 1839 erscheint die Sonate schließlich bei Breitkopf & Härtel in Leipzig im Druck. Der in op. 22 nicht verwendete ursprünglich vorgesehene Finalsatz Presto Passionato wird erst 1866, also posthum von Johannes Brahms veröffentlicht.
Op. 22 ist Schumanns letzte Klaviersonate, wenn man die in anderem Rahmen gedachten Drei Klaviersonaten für die Jugend op. 118 von 1853 außer Betracht lässt. Trotz der weit auseinander liegenden Entstehungszeiten der einzelnen Sätze weist das komplette Werk eine starke inhaltliche Geschlossenheit auf. Die motivische Verwandtschaft der thematischen Bildungen aller vier Sätze ist unüberhörbar, ihre innere Struktur recht stringent und beinahe auf das Wesentliche reduziert. Die Abfolge vom stürmisch-drängenden Eröffnungssatz über die lyrische Schönheit des zweiten und lebhafte Prägnanz des Scherzos bis hin zum schwungvoll humorigen Finale erzeugt eine gelungene Bogenform.
Schumann widmet seine Sonate in g-moll der wenige Wochen nach deren Erscheinen an Tuberkulose gestorbenen Henriette Voigt. Diese mit Schumann, Mendelssohn und Schuncke befreundete Klaviervirtuosin war die erste Frau des wohlhabenden Leipziger Kaufmanns Carl Voigt und Schumanns Vertraute während des heimlichen Verlöbnisses mit Ernestine von Fricken. Schumann zog Henriette Voigt in musikalischen Fragen oft zu Rate und nannte sie einmal seine „As-Dur-Seele“.
(Irmgard Knechtges-Obrecht)
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