Franz Liszt (1811–1886)
Clara Wieck lernte Franz Liszt im April und Mai 1838 am Ende ihrer Wiener Konzertreise kennen, sie sah ihn zwar schon in den Salons auf ihrer Pariser Konzerttournee 1832, doch zu einem Zusammentreffen kam es damals noch nicht. Liszt war im April 1838 nach Wien gekommen, um dort mehrere Konzerte zu geben, u.a. ein Wohltätigkeitskonzert für Opfer einer Überschwemmung in Pest. Franz Liszt und Clara Wieck wohnten im selben Hotel, beide musizierten zusammen, auch vierhändig, privat und auf Soireen. Clara spielte ihm ihre eigenen Kompositionen vor sowie Liszts Pacini-Fantasie S. 419 und Schumanns Carnaval op. 9 – Liszt zeigte sich in einem Brief an Marie d’Agoult beeindruckt: „Ihre [Clara Wiecks] Kompositionen sind wirklich sehr beachtlich, vor allem für eine Frau. Sie enthalten hundertmal mehr Erfindung und wahres Gefühl als alle früheren und jetzigen Fantasien von Thalberg.“ Clara Wieck schätzte Liszts virtuose Fähigkeiten sehr, zweifelte aber durch diese Bewunderung kurzzeitig an ihren eigenen. Später nahm sie eine kritischere Haltung gegenüber seiner exzentrischen Spielweise und teils fehlender Werktreue ein.
Friedrich Wieck berichtete über das Konzert Liszts am 18. April 1838 in Wien an seine Frau: „Wer könnte seine Erscheinung als Concertspieler beschreiben? Nachdem er in dem 1. Stück den Erhard des Thalberg vernichtet, spielte er die Fantasie auf einem C. Graff, sprengte 2 Messingsaiten, holte sich selber den 2ten C. Graff in Nußholz aus dem Winkel u. spielte seine Etüde, nachdem er wieder 2 Saiten gesprengt, noch einmal, nachdem er laut zum Publikum sagte, ,sie wäre ihm nicht gelungen, er würde sie noch einmal spielen‘. Als er auftrat, warf er mit Vehemenz seine Handschuh u. Schnupftuch auf die Erde vor’s Clavier.“
Im Jahr 1840 widmete Liszt Clara Schumann seine Études d'exécution transcendante d'après Paganini. Während Liszt über Clara Schumann stets mit Hochachtung sprach und sich für die Werke Robert Schumanns einsetzte, kühlte Claras Bewunderung für Liszt immer mehr ab. Im Dezember 1841 traten beide noch zusammen im Leipziger Gewandhaus auf und bis 1847 gehörten Liszts Werke in ihr Programm. Zu einem Bruch kam es (jedoch nicht von Seiten Liszts) im Juni 1848: Liszt war zu einer Soiree im Hause der Schumanns in Dresden eingeladen, kam zwei Stunden zu spät und nannte Robert Schumanns Klavierquintett „leipzigerisch“. Während Robert Schumann schon einige Zeit nach diesem Ereignis wieder Kontakt mit Liszt aufnahm, war Clara Schumann schwer enttäuscht. Über Liszts Kompositionen äußerte sie sich schon ab 1839 abschätzig, auch seine Bühnenshow und Effekthascherei lehnte sie ab. Als Liszt ihr 1854 seine h-Moll-Sonate zusandte, die er Robert Schumann widmete, schrieb sie in ihr Tagebuch: „Liszt sandte heute eine an Robert dedizierte Sonate und einige andre Sachen mit einem freundlichen Schreiben an mich. Die Sachen sind aber schaurig! Brahms spielte sie mir, ich wurde aber ganz elend. . . . Das ist nur noch blinder Lärm – kein gesunder Gedanke mehr, alles verwirrt, eine klare Harmoniefolge ist da nicht mehr herauszufinden! Und da muß ich mich nun noch bedanken – es ist wirklich schrecklich.“
Liszts Wertschätzung Clara Schumann gegenüber brach jedoch nicht ab. Er organisierte sogar auf ihre Anfrage hin ein Konzert für sie in Weimar, bei dem sie am 27. Oktober 1854 das Klavierkonzert a-Moll op. 54 spielte und Liszt auch die Ouvertüre zu Manfred op. 115 sowie die vierte Sinfonie d-Moll op. 120 von Robert Schumann dirigierte. Im selben Jahr verfasste Liszt einen langen Aufsatz über Clara und Robert Schumann, der in der Neuen Zeitschrift für Musik in drei Ausgaben abgedruckt wurde (Nr. 23 vom 1.12.1854, Nr. 14 vom 30. März 1855, Nr. 15 vom 6. April 1855). Nach 1856 trafen Franz Liszt und Clara Schumann nur noch äußerst selten zusammen und ab 1860 nahm die Distanz durch widerstreitende Positionen der „Brahmsianer“ und „Neudeutschen“ zu. 1884 nahm Clara Schumann noch einmal per Brief Kontakt mit Liszt auf, sie arbeitete an der Herausgabe der Jugendbriefe von Robert Schumann und bat Liszt um Zusendung von Briefen zur Abschrift. Liszt hatte aber die Briefe von und an Robert Schumann nicht aufgehoben, was sicherlich ein Grund dafür war, dass der Briefwechsel zwischen Franz Liszt und Clara Schumann 1884 endete.
Vgl. Clara Wieck, Jugendtagebücher 1827‒1840, hrsg. von Gerd Nauhaus und Nancy B. Reich unter Mitarbeit von Kristin R.M. Krahe, Hildesheim 2019, S. 289–290, 293, 373.
Vgl. Janina Klassen: Clara Schumann. Musik und Öffentlichkeit, Köln u.a. 2009, S. 152–155, 351–378.
Vgl. Nancy B. Reich: Clara Schumann. The Artist and the Woman, London 1985, S. 209–216.
Vgl. Wolfgang Seibold: Robert und Clara Schumann in ihren Beziehungen zu Franz Liszt. Im Spiegel ihrer Korrespondenz und Schriften, Teil I, Frankfurt a.M. u.a. 2005.
Vgl. Wolfgang Seibold: Robert und Clara Schumann in ihren Beziehungen zu Franz Liszt, Teil II, in: Correspondenz 30, hrsg. von Irmgard Knechtges-Obrecht, Düsseldorf 2007, S. 6–24.
(Theresa Schlegel, 2020)