Henriette Sontag verh. Gräfin Rossi (1806–1854)

Henriette Sontag, ca. 1830 (Kolorierte Lithographie, vgl. StadtMuseum Bonn, SMB 2014/184)

Henriette Sontag war zu ihrer Zeit eine überaus berühmte und gefeierte Sängerin, die auch heute noch erinnert wird. Geboren wurde sie als Gertrude Walpurgis Sontag in Koblenz – die Berliner Haude- und Spenner’sche Zeitung berichtete, dass ihre Vornamen „so viel bedeuten, als: vielgeliebte Zauberinn“ (zit. nach Allgemeine Theaterzeitung, S. 4). Als Tochter des Schauspielerehepaares Franz und Franziska Sontag trat sie bereits im Alter von fünf Jahren erstmals öffentlich auf, erhielt eine Ausbildung am Prager Konservatorium von 1817 bis 1821 und sang bis zu ihrem 24. Lebensjahr an den bedeutenden Theater- und Opernhäusern Europas, u.a. in Wien, Berlin, Paris und London. Carl Maria von Weber komponierte für sie die Titelrolle seiner Oper „Euryanthe“, die Henriette Sontag 1823 am Wiener Kärntnertor-Theater uraufführte. In Beethovens letztem Konzert, im selben Theater, am 7. Mai 1824 wirkte sie ebenfalls mit und sang bei der Uraufführung der 9. Sinfonie die Sopransoli.

1828 heiratete Henriette Sontag den Grafen Carlo Rossi (1797–1864) und beendete, dem Stand ihres Ehemannes gemäß, vorerst ihre erfolgreiche Bühnenkarriere. Trotz des öffentlichen Rückzugs trat sie aber noch vereinzelt vor höfischem bzw. privatem Publikum auf und veranstaltete, vor allem später in Berlin, auch musikalische Gesellschaften, aus denen sich 1846/47 der „Stern’sche Gesangverein“ entwickelte. Graf Rossi stand im diplomatischen Dienst des Königreichs Sardinien und so musste das Ehepaar mehrere Male den Wohnsitz wechseln, zunächst lebten sie in Den Haag, dann in Frankfurt am Main, St. Petersburg und von 1841 bis 1849 in Berlin.

Im Februar und März 1847 hielten sich Clara und Robert Schumann ebenfalls in Berlin auf: Unter Robert Schumanns Leitung fand am 17. Februar die Berliner Erstaufführung seines Oratoriums Das Paradies und die Peri op. 50 statt, und Clara Schumann gab zwei Konzerte in der Sing-Akademie, auch eine gemeinsame Matinee wurde im Hôtel du Nord Unter den Linden veranstaltet. Die Schumanns waren außerdem auf zahlreichen privaten bzw. halböffentlichen musikalischen Gesellschaften eingeladen, so auch am 1. März zu einer Matinee der Gräfin Henriette Rossi, die sie in den nächsten Tagen noch einige Male trafen. Clara Schumanns Tagebuch berichtet von der Matinee: „Ihr Gesang entzückte mich wie lange keiner! […] ein Pianissimo hat sie, wie ich es nie so schön gehört, dabei einen natürlichen Gesang, fern von aller Übertreibung; die Stimme klingt noch sehr schön, und sie selbst sieht reizend aus, und besonders beim Singen nimmt ihr Auge einen schönen Glanz an, wie ihr denn überhaupt ein großer Liebreiz und Anmut aus den Augen blickt… nie hörte ich einer Sängerin ruhiger zu, und alles, was sie singt, macht den Eindruck der höchsten Befriedigung.“ (Litzmann, Clara Schumann, Bd. 2, S. 160).

Henriette Sontag-Rossi nahm ihre Gesangskarriere im Alter von 43 Jahren ab 1849 wieder auf, da die Familie infolge der 1848er-Revolution einen großen Teil ihres Vermögens verlor und Graf Rossi 1849 aus seinen Diensten vom König Karl Albert von Sardinien (1798–1849) entlassen wurde. Nun begleitete Graf Rossi seine Ehefrau auf ihren zahlreichen Konzerttourneen nach England und Schottland, Paris und in zahlreichen deutschen Städten, wo sie an frühere Erfolge anknüpfen konnte. 1852 folgte eine Konzertreise nach Amerika, u.a. nach New York, Philadelphia und Boston. Nur wenige Tage nach ihrem letzten Auftritt am 11. Juni 1854 in Mexiko-Stadt starb Henriette Sontag-Rossi an der Cholera. Zahlreiche posthume Schriften hielten die Erinnerung an ihre einzigartige Stimme, einen brillanten Koloratursopran im Stimmumfang von a bis e‘‘‘, und ihre charmante Bühnenpräsenz wach.

Vgl. Allgemeine Theaterzeitung und Unterhaltungsblatt für Freunde der Kunst, Literatur und des geselligen Lebens Nr. 1 vom 1. Jänner 1828, S. 4.

Vgl. Cordula Heymann-Wentzel: Das Stern’sche Konservatorium der Musik in Berlin. Rekonstruktion einer verdrängten Geschichte, Dissertation UDK Berlin, 2014, S. 84. Online unter: https://opus4.kobv.de/ [13.9.2020].

Vgl. Karl-Josef Kutsch und Leo Riemens: Großes Sängerlexikon, 6. Bd., 4., erw. u. akt. Aufl., München 2003, S. 4464–4465.

Vgl. Amélie Pauli: „Henriette Sontag“, in: MUGI. Musikvermittlung und Genderforschung: Lexikon und multimediale Präsentationen, hg. von Beatrix Borchard und Nina Noeske, Hochschule für Musik und Theater Hamburg, 2003ff. Stand vom 25. April 2018. Online unter: https://mugi.hfmt-hamburg.de/ [30.8.2020].

Vgl. Schumann-Briefedition, Serie II, Bd. 17: Briefwechsel mit Freunden und Künstlerkollegen (Briefwechsel Clara Schumanns mit Korrespondenten in Berlin 1832 bis 1883), hrsg. von Klaus Martin Kopitz, Eva Katharina Klein, Thomas Synofzik, Köln 2015, S. 623–626, hier S. 623.

Vgl. John Warrack: „Sontag [Sonntag], Henriette (Getrud Walpurgis)…“, in: Stanley Sadie (Hg.): The New Grove Dictionary of Music and Musicians, hrsg. von Stanley Sadie, Bd. 23, 2. Aufl., London/New York 2001, S. 727 f.

(Theresa Schlegel, 2020)