War ruhig. Aß gut.

Frankfurter Rundschau v. 29.07.2006, S.16
Von Tim Gorbauch

Am Ende war keine Romantik mehr: Zum 150. Todestag des Komponisten Robert Schumann

Die Syphilis passt nicht ins Bild. "Melancholie mit Wahn" diagnostizierte noch Dr. Franz Richarz bei Robert Schumanns Einlieferung in die private Heilanstalt in Endenich. Das war am 4. März 1854, kurz nachdem er sich von einer Rheinbrücke gestürzt hatte, um seinem Leben ein Ende zu setzen. Gerne auch sprach man von einer Überanstrengung des Geistes, als habe sich hier einer zwischen Genie und Wahnsinn abgerungen, um schließlich in den Abgrund zu fallen, in den er zu lange geschaut hatte. Das war doch, was man von einem Romantiker erwarten durfte: Tod und Verklärung.

Schumann jedenfalls hat Endenich nie wieder verlassen, er starb dort heute vor 150 Jahren. Doch gerade ist ein nüchternes Buch erschienen, eine Sammlung von Krankenakten, Briefzeugnissen und zeitgenössischen Berichten. Robert Schumann in Endenich (1854-1856) dokumentiert die letzten beiden Lebensjahre des Komponisten, verzahnt persönliche Briefe und Tagebucheintragungen von und an Robert und Clara Schumann, aber auch von Freunden wie Joseph Joachim und Johannes Brahms mit den minutiösen Krankenberichten der behandelnden Ärzte.

Am 25. Juli 1855 etwa ist verzeichnet: "war unruhig, heftig. Laut, schlug den Wärter ‚es sei alles vergiftet‘ auch in der Nacht anhaltend aufgeregt, /brüllend,/ wüthend." An einem anderen Tag: "War ruhig. Aß gut. Stuhl fest. Eingefallenes bleiches Aussehen. Sprach in der Nacht einige Male vor sich hin." (2. Mai 1856) Bis man schließlich am 30. Juli 1856 liest: "Gestern/ Um 1 Uhr Mittags 60 Athmungen, Puls kaum fühlbar. Starb /gestern/ um 4 Uhr Nachmittags." Es ist die unromantische Chronik eines Verfalls, geeignet, einen unverstellten Blick auf das Leben und Sterben Schumanns zu werfen. Aber der Streit darüber wird ausbleiben. Ob Schumann nun wirklich an den Spätfolgen einer Syphilis starb, an der er – nach eigenem Bekunden – schon in den frühen dreißiger Jahren erkrankt war, oder ob ihn seine manisch-depressive Störung zerriss, ist eine Debatte für Kenner. Während sich um Mozarts Tod die Mythen bis nach Hollywood ranken, ist Robert Schumann kein Gegenstand des öffentlichen Interesses.

Eine neue poetische Zeit
Wie es scheint, wird auch das Schumann-Jahr daran nichts ändern. Wieso eigentlich? Der Schumann, den wir goutieren, der einen Platz gefunden hat im Konzertalltag, ist vor allem der romantische Schumann. Der Schumann der frühen Klavierstücke. Der Schumann der Lieder. Aber auch der Schumann, der schreibend Musik romantisch fasst und begreift. Der Schumann, der die Idee einer neuen poetischen Musik in die Welt setzt. 1835 formulierte er in der von ihm gegründeten Neuen Zeitschrift für Musik sein ästhetisches Manifest: "Unsere Gesinnung ist einfach: an die alte Zeit und ihre Werke mit Nachdruck zu erinnern, sodann die letzte Vergangenheit, die nur auf Steigerung äußerlicher Virtuosität ausging, als eine unkünstlerische zu bekämpfen, – endlich eine neue poetische Zeit vorzubereiten." Das klingt nach Aufbruch und Utopie: Aus dem Geist des Alten ein Neues schaffen. Das Mittel dazu war die Phantasie, die der junge Schumann über alles setzte, auch über überlieferte Formen. Daran misst man nun sein Werk, muss man es auch messen. Schwierig nur, dass Schumann kein Romantiker und Freigeist blieb, dass seine späteren Werke aus einer ganz anderen Haltung heraus komponiert sind, dass aus ihm ein, ja, wie soll man es nennen: Restaurateur? Biedermeier? Realist? wurde

Schwachstelle Spätwerk
Damit wurde der postumen Verklärung ein elementarer Bestandteil genommen: das Spätwerk, der vielleicht schillerndste Prestigebegriff der Kunst- und also auch der Musikgeschichte. Es gilt als Schwachstelle in Schumanns Oeuvre, es zeigt nicht visionär in ein ferne Zukunft, sondern eher zurück. Zwar gibt es geheimnisvolle Werktitel wie die Gesänge der Frühe, noch dazu Diotima gewidmet. Aber die Satztechnik insgesamt wirkt gealtert. Martin Demmler, der gerade eine sehr lesenswerte Biografie zu Schumann verfasst hat, sieht ihn "vor dem Scherbenhaufen seiner einstigen Ansprüche" und liest sein Leben als "Geschichte eines grandiosen Scheiterns". Scheitern indes erweckt oft Sympathie, wenn das Scheitern aus dem Kampf entsteht und nicht, wie bei Schumann hartnäckig kolportiert, aus einer Resignation. Das uralte Wort, Schumann habe als Genie begonnen und als Talent geendet, bleibt wirkungsvoll in der Welt. Neupositionierungen hört und liest man kaum. Es ist, als beachte die Musikwelt nur einen Ausschnitt seines Ichs: die Idee der musikalischen Dichtung, geboren aus dem Glauben einer Art Universalpoesie. "Die Ästhetik der einen Kunst ist die der anderen, nur das Material ist verschieden." Dabei wären Gründe für seinen Wandel eminent spannend. Man könnte sie auf das gesellschaftspolitische Umfeld zurückführen, als ein Mitgehen mit der Zeit begreifen, aber auch privat verorten: im Spannungsfeld von Schumanns eigenem Ich, das zwischen Freiheit, Ausschweifung, Zerstörung, Ehrgeiz, Fleiß und Disziplin beständig eine Balance sucht und diese immer wieder neu bestimmt. Solange hier aber keine Autorität auftritt, die die öffentliche Meinung zum Nach- und Neudenken über Schumann anregen kann, werden wir weiter an das Jahr 1840 denken, wenn sein Name fällt: das Jahr der Lieder, das Jahr der Hochzeit mit Clara, das Jahr des "Glücks in Fülle", wie Schumann selbst notierte. Und an schöne Sätze wie diesen: "Zum Studium mittelmäßiger Musik haben wir keine Zeit."

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