Klavierwerke aus Dresden 1845 - 1849
Robert und Clara Schumann
Tobias Koch, Pianoforte Genuin classics. Leizpig, 2010 LC 12029. GEN 10159
Es ist bereits zu lieben Gewohnheit geworden, an dieser Stelle wieder eine Schumann-Neueinspielung des vielseitigen Pianisten Tobias Koch vorzustellen. Clara und Robert Schumanns Kompositionen widmet es sich dieses Mal auf vorliegender CD mit Klavierwerken aus den Dresdner Jahren 1845 bis 1849, einem Zeitraum, der privat wie auch ganz allgemein politisch und gesellschaftlich bedeutende Einschnitte in das Leben der Familie Schumann bringt. 1845 gilt als Wendepunkt im Schaffen Robert Schumanns, den er selbst definierte: ”Erst vom Jr. 1845 an, wo ich anfing alles im Kopf zu erfinden und auszuarbeiten, hat sich eine ganz andere Art zu componieren zu entwickeln begonnen.“ Handwerkliches Rüstzeug wird nun gemeinsam erarbeitet, die Eheleute betreiben intensive kontrapunktische Studien. Die Vier Fugen op. 72 von Robert und die Drei Präludiuen und Fugen op. 16 von Clara Schumann sind kompositorische Produkte, die unverzüglich veröffentlicht werden. Auch Clara Schumanns Transkriptionen der außergewöhnlichen Studien für Pedalflügel op. 56 ihres Mannes für Klavier fallen in diese Zeit, erscheinen allerdings erst in ihrem Todesjahr in einer schwer erreichbaren englischen Ausgabe im Druck. Auch Schumanns rasch populär gewordene Waldszenen op. 82 gehören – trotz ihrer durchaus heiteren Grundstimmung und Konzeption als Charakterstücke – in diesen Bereich, lässt sich doch in beinahe allen Stücken ein sich unterschwellig durchziehendes kontrapunktisches Gefüge ausmachen.
Die äußeren politischen Ereignisse der Zeit spiegeln Schumanns Vier Märsche op. 76 wider. Im Mai 1849 erreicht die Revolution auch die Residenzstadt Dresden, die Familie Schumann muss zu Freunden auf das Land flüchten. Ganz von der ”politischen Aufregung“ erfasst, macht Schumann sich ”durch ein paar Märsche Luft“, die ”das Feuerzeichen 1849 an der Stirn“ tragen. Bezeichnend für die wissenschaftliche, fast enzyklopädische Herangehensweise von Tobias Koch ist, dass er Skizzen und Fragmente aus dem vor einigen Jahren im Rahmen der neuen Robert-Schumann-Ausgabe veröffentlichten Dresdner Taschennotizbuch in seine Einspielung einbezieht.
Tobias Koch benutzt einen Flügel von Pierre Erard, London aus dem Jahr 1852 aus seiner eigenen Sammlung, der von Jan Van den Hemel, Antwerpen (Belgien) 2008 liebevoll restauriert wurde. Clara Schumann spielte auf ihren unzähligen England-Tourneen stets ein Instrument dieser Art! Insbesondere die ausgezeichnete Transparenz dieses Flügels lässt auch Einzelheiten des dichten, häufig hoch komplizierten Stimmengeflechts der Stücke erkennen. Das angenehm klare Klangbild unterstützt den Pianisten in seiner Absicht, die musikalischen Zusammenhänge auf subtile Weise herauszuarbeiten. Da hört man auf einmal auch die wohlbekannten Stücke aus den Waldszenen ganz anders: poetisch und charaktervoll wie gewohnt, aber zudem voller kontrapunktischer Finessen. In erstaunlicher Weise arbeitet Tobias Koch auch die harmonischen Besonderheiten und das dichte polyphone Stimmengewebe in den Fugen heraus. Wie umsichtig und einfühlsam er mit Schumanns Notentext umgeht, beweist nicht zuletzt die Einspielung der Märsche, die an keiner Stelle flach oder gar reißerisch wirken, sondern vielmehr als ernsthafte Kompositionen daherkommen. Ein vom Pianisten selbst verfasster, intelligenter Booklettext ergänzt die Einspielung auf das Feinste und lässt die CD zu einem absoluten Muss für den Schumannianer werden!