Anda anders
Fono Forum, Juni 2010, S. 81
Wer Géza Ana nur von seinen Bartók- und Mozart-Aufnahmen kennt, wird nie recht verstanden haben, warum Wilhelm Furtwängler den Ungarn nach den ersten Begegnungen im Berlin der Kriegsjahre den „Troubadour des Klaviers“ nannte. Eine Antwort darauf findet sich im zweiten Teil der neuen Anda-Serie von Hänssler, der Soloaufnahmen aus den Beständen von SDR und SWF zusammenfasst, die zum Teil bis in die Jahre 1950/1951 zurückreichen – noch weiter als die vier Doppelalben, die Audite kürzlich mit WDR-Produktionen herausgab.
Die Titel umfassen im Kern die großen Werke der Romantiker, mit denen der junge Anda glänzte. Sie sind mit Ausnahme der knappen Sonate von Rolf Liebermann und dem Haydn aus anderen Anda-Veröffentlichungen bekannt, auch die hier vorgelegten Interpretationsalternativen sprengen in keinem Fall den Erwartungsrahmen. Sie lohnen aber trotzdem das Hören: Schumanns „Sinfonische Etüden“, weil sich an ihnen noch „ablesen“ lässt, was Furtwängler einst mit seiner Charakterisierung gemeint haben dürfte; denn sie zeigt einen Pianisten, der passioniert und sehr souverän jede Etüde mit einem Maximum an großzügiger Eleganz und Schmissigkeit bei oft staunenswert rasanten Tempi hinlegt.
Ähnliche Qualitäten kommen auch in den Aufnahmen der zweiten CD zum Tragen, dem Mitschnitt des Ludwigsburger Soloabends von 1955. Vor allem aber führen sie eindrucksvoll vor Ohren, wie Andas entschiedener Gestaltungsville in Einzelheiten oft sehr bedenkenswerte Alternativen zu heute eingeschliffenen Darstellungsmustern aufzeigt.
Ingo Harden
Géza Anda spielt Werke von Haydn, Schumann, Ravel u. a.;
(1950/1951/1955); Hänssler/Naxos
2 CD 4010276023265 (125’)