Blick in Schumanns Werkstatt

Das BeethovenQuartett zum Schumann-Jahr 2010

Von Cordelia Berggötz in: CLASS aktuell 2010/1


Vier Takte sind es nur, die Streichquartettfreunde in der neuen Einspielung des BeethovenQuartetts unbekannt vorkommen werden. Vier Takte aber, die im wahrsten Sinne Unerhörtes bewirken. Mit jenen Takten verband Schumann im Juni 1842 in seiner ursprünglich beabsichtigten Fassung die beiden heute als op. 41 Nr. 1 und 2 bekannten Streichquartette zu einem einzigen ungeheuerlichen Werk mit geradezu Beethovenschen Dimensionen. Es ist dem Entdecker-Gespür und Wagemut des BeethovenQuartetts zu verdanken, dass es mit seiner dritten Einspielung gewissermaßen einen Einblick in Schumanns Werkstatt gestattet.

Schumann, der phasenweise an einer Gattung arbeitete – zunächst Klavierwerke, 1840 das große Liederjahr, und 1842 fast ausschließlich Kammermusik – äußerte bereits 1838, an einem Streichquartett arbeiten zu wollen. Es sollte noch vier Jahre dauern, bis er dies in die Tat umsetzte und in denen er unter den großen Vorgängern der Streichquartettkunst vor allem Beethovens späte Quartette studierte. Innerhalb weniger Wochen entstand dann im Juni 1842 ein gewaltiges achtsätziges Streichquartett. Erst als Schumann in Anschluss noch ein weiteres Streichquartett schrieb, heute op. 41 Nr. 3, verabschiedete er sich von seiner ursprünglichen Idee, teilte das achtsätzige Werk in zwei eigenständige Quartette und schuf somit eine klassische Dreiheit, die er seiner Frau Clara m 13. September 1842 zum Geburtstag schenkte und die auch prompt begeistert reagierte: „Das ist alles neu, dabei klar, fein durchgearbeitet und immer quartettmäßig.“

Das BeethovenQuartett dokumentiert mit seiner Aufnahme zum Schumann-Jahr 2010 sozusagen ein „work in progress“, das sehr deutlich Schumanns Versuch zeigt, sich einerseits an Beethoven zu orientieren, und sich gleichzeitig von ihm zu lösen. Neben den zahlreichen Anspielungen an Beethovens späte Quartette ist das Zitat „Nimm sie hin denn, diese Lieder“ – als musikalisch verpackter Gruß an Clara – auch Beethovens Zyklus „An die ferne Geliebte“ im Schlusssatz besonders markant. Gewidmet hat Schumann die Quartette allerdings seinem Freund Felix Mendelssohn. Dessen liedhafter und klar strukturierter Melodik steht Schumanns Werk tatsächlich weitaus näher als den dichten und teils schroffen Spätwerken Beethovens.

Die Wirkung dieser ursprünglich beabsichtigten Fassung der Quartette op. 41 ist enorm – man hört Zusammenhänge zwischen den Einzelquartetten und staunt über die symmetrische Anlage. Ein wohlbekannter Schumann wird somit durch vier Takte zum gänzlich neuen Erlebnis.
Das BeethovenQuartett kombiniert diesen bislang ungehörten Schumann mit Beethovens letztem vollendeten Streichquartett op. 135, das sich nach den jede Norm sprengenden Vorgängern wieder auf die klassische Viersätzigkeit beschränkt. Das Ende noch Beethovens Maßstäbe setzender Streichquartett-Produktion und Schumanns überschwänglicher Start in die Kammermusik ergänzen sich hervorragend.

Neben der Super Audio CD (im 222-SACD-Mehrkanalformat) enthält die Ausgabe eine DVD-Video mit einer Konzertfassung von op. 135 und einem spannenden Gespräch zwischen Georg Albrecht Eckle und Peter Gülke. Hier werden in unnachahmlicher Art mehr Fragen zu Komponist, Werken und Entstehungszeit beantworten, als man sich jemals zu fragen traute. Was für eine unermessliche Fundgrube für jeden Klassik-Liebhaber!