Schumanns Schweizerreise 1829
9. Oktober 1829 - Tusis
Tusis (Thusis), am 9ten Oct.
Eben komm ich aus einem Sarge; die Berge haben ihr Leichentuch an u. die Brust war beklommen; im Dorf Andeer (1)hört ich keine Stimme u. keinen Menschen; Alles war todt u. der Himmel so trübe. Ich trat in das Wirtshaus zu Kannes (?), Niemand kam mir entgegen; ich sah zugezogene Vorhänge u. über mir ging Etwas leise wie schwere Schritte. Endlich kam Jemand u. mir nach in die Stube – der Wirtssohn kam mir entgegen u. hatte verweinte Augen – die Leute sahen sich verdächtig u. mitleidig unter einander
– O ich war so zusammengedrükt u. beklemmt – dann genoss ich Ewas – der Sohn führte mich still u. stumm in dem schönen Gasthaus herum – was ist hier?, fragte ich – mein Vater starb in dieser Nacht - - Prr! Wie ein Felsen lag die Stube auf mir u. ich konnte kaum Athem hohlen –ich kannte Nichts ekleres – u. nahm einen Wagen – der Geist des Todten kam mir wie nachgejagt – die Berge hingen voll Wolken – Alles trübe – der Schnee stöberte – das Pferd wieherte nur manchmal – aber ein Bild von dieser Wildniss – ganz aneinander gequetsche Felsen , die sich mit den Stirnen berührten, hingen über die Strasse – Steine über Tannen gewälzt – abgebrochene Reihenfichten – der Himmel todt – das Wetter furchtbar – die fortreissende Windsbraut – Felsspalten – Wasserfälle – stürzende Wellen – u. unten der Rhein, wie er sich durch einen fussbreiten Spalt durchwindet – u. die Nacht dazu u. die ziehenden, nassen Nebel – u. die Todtenangst wegen des jagenden Kutschers –
Abgründe (2/3) neben meinem – vor mir himmelhohe, zu klammernde Felsen – Fort, fort! – Endlich trat ich heraus u. bin hier, wie in einem Frühling u. ich bin wieder in mir u. bey den guten Menschen – dann sah ich den Rhein wieder breit u. vor mir am Berg – Sey ruhig, du gestörte Alpennatur! Der Mensch sieht nur selten sein Ebenbild gern. - - -