Clara Schumann und Joseph Joachim
Magazin für klassische Musik und Musikwissenschaft
Juli 2007, Nr. 3, Jg. 1 (2007)
Seite 247-257
»Sie wissen ja, wie gerne ich, selbst öffentlich, mit Ihnen musicire!«
Clara Schumann und Joseph Joachim
Zu den Künstlern, die Clara Schumann künstlerisch und menschlich besonders schätzte, zählte neben Johannes Brahms vor allem Joseph Joachim. Der am 28. Juni 1831 in Kittsee (Burgenland/Österreich) geborene Geiger war nicht nur einer der bedeutendsten Solisten seiner Zeit, sondern auch einer der engsten Freunde des Ehepaares Schumann, der Clara gemeinsam mit Johannes Brahms vor allem in der Zeit unterstützte und beistand, als ihr Mann Robert erkrankte und 1854 in die Nervenheilanstalt nach Endenich bei Bonn gebracht werden musste.
Die Beziehungen beider Künstler waren sehr vielfältig und umfangreich und können daher an dieser Stelle nicht umfassend erörtert werden. Aus diesem Grunde soll nur ein Aspekt in den Mittelpunkt der folgenden Ausführungen gerückt werden – ihre gemeinsame Konzerttätigkeit, denn Joseph Joachim war derjenige, mit dem Clara Schumann am meisten öffentlich und wohl auch im privaten Kreis zusammen musizierte.[1] Als Untersuchungsgrundlage diente die sich im Zwickauer Robert-Schumann-Haus befindende, eigene Programmsammlung der Pianistin,[2] in der sie in der Regel auf jedem Programmzettel selbst Ort und Datum notierte. Insgesamt sind in der Sammlung Programmzettel von 238 gemeinsamen Konzertauftritten beider Künstler vorhanden, darunter 77 Kammer- und Orchesterkonzerte, in denen jeder für sich musizierte bzw. Joseph Joachim dirigierte oder im Quartett spielte. Dass ist die größte Anzahl von Konzertauftritten Clara Schumanns mit einem anderen Musiker.[3] Diese hohe Zahl schließt allerdings eine detaillierte Betrachtung eines jeden Konzertes, so interessant sie auch wäre, in diesem Rahmen aus. Ebenso wenig kann des Umfanges wegen das gemeinsame Musizieren Clara Schumanns und Joseph Joachims auf privater Ebene, über das vor allem Briefe und Tagebücher Auskunft geben, in die folgenden Betrachtungen einbezogen werden. So weisen Robert und Clara Schumanns Tagebuchaufzeichnungen z. B. für den Januaraufenthalt in Hannover 1854 neben dem öffentlichen Konzert am 21. Januar im Hoftheater (PS, Nr. 322) eine Soiree am 26. Januar [4] und weitere Konzertabende im privaten Kreis auf, in denen beide Künstler gemeinsam spielten. Und wie viele weitere, nicht belegte Stunden beide überdies zusammen musizierten ist unbekannt und wird es wohl auch bleiben.
Am 19. August 1843 traten Clara Schumann und Joseph Joachim erstmals gemeinsam in einem von Pauline Viardot Garcia im Leipziger Gewandhaus veranstalteten Konzert auf. Hier lernte die berühmte 24jährige Pianistin den 12 Jahre jüngeren Geiger kennen, der in Leipzig an diesem Abend erstmals öffentlich zu hören war und von Felix Mendelssohn Bartholdy am Flügel begleitet wurde. Joachim entstammte einer deutschsprachigen jüdischen Kaufmannsfamilie. Sein musikalisches Talent wurde frühzeitig entdeckt und gefördert. Nach einer ersten Ausbildung durch den Konzertmeister der Pester Oper wurde er nach Wien gebracht und dort von dem, ebenfalls aus Pest stammenden Joseph Böhm unterrichtet. Nachdem seine technische Ausbildung abgeschlossen war, kam er 1843 nach Leipzig zu Felix Mendelssohn Bartholdy, der ihn eingehend prüfte und feststellte: »Der Posaunenengel hat für sein Instrument kein Konservatorium mehr nötig, überhaupt keinen Lehrer im Violinspiel. Er kann getrost für sich allein weiterarbeiten und von Zeit zu Zeit David etwas vorspielen, um dessen Rat und Urteil zu hören. Im übrigen will ich selber öfters und regelmäßig mit dem Jungen musizieren und sein künstlerischer Berater in musikalischen Dingen sein.«[5] Und so musizierte Mendelssohn fast jeden Sonntag mit dem kleinen »Teufelsbraten«, wie er Joachim nannte, wenn er etwas besonders gut gemacht hatte.[6] Äußerungen des Ehepaares Schumanns und Joseph Joachims zu dem Konzert vom 19. August 1843 sind nicht überliefert. Laut Mitteilung von Julius Becker in der Neuen Zeitschrift für Musik war das Konzert für den jungen Geiger aber von misslichen Störungen begleitet: »Leider störte ein Feueralarm den zweiten Teil des Concertes, wie denn der junge höchst talentvolle Violinspieler mit sichtlichem Missgeschicke zu kämpfen hatte, indem ihm erst eine Seite riß [Joachim spielte ein Rondo von Charles Auguste de Bériot], was ihm im zweiten Theile zu spielen nöthigte, wo dann wieder der Feueralarm das Publicum zur Unruhe brachte. Nichtsdestoweniger wurde ihm reicher Beifall gezollt, wie es sein Spiel in jedem Bezug verdiente«.[7]
In den Folgejahren kam es dann zu verschiedenen persönlichen Kontakten der Schumanns mit dem jungen talentvollen Musiker. So wandte sich Robert Schumann z. B. am 9. November 1845 an Felix Mendelssohn Bartholdy mit der Bitte, Joseph Joachim für das 1. Dresdner Abonnementkonzert am 11. November, in dem eigentlich die erkrankte Clara Schumann konzertieren sollte, zu gewinnen. Schumann schrieb: »Meine arme Frau ist krank, nicht bedenklich, doch so, daß sie übermorgen im hiesigen 1sten Abonnementconcert nicht spielen kann. Die Direction ist nun in großer Verlegenheit. Da dachte ich an Joachim, ob er nicht kommen könnte, und an Ihre, immer gern unterstützende Freundlichkeit, ob Sie nicht Joachim dazu aufmuntern helfen wollten.«[8] Und Clara Schumann äußerte über den Auftritt des nunmehr 14-jährigen Geigers: »Der kleine Joachim gefiel sehr. Joachim spielte ein neues Violinkonzert von Mendelssohn, das wundervoll sein soll.«[9] Dieses, Joachim von Schumann entgegengebrachte Vertrauen stützte sich nicht zuletzt auf das Können und die Meisterschaft des jungen Musikers.
Dennoch gab es 1850 bei Clara Schumann auch Anzeichnen von Zweifel über die Zukunft des inzwischen 19-jährigen jungen Mannes. Am 1. Juni 1850 – das Ehepaar weilte in Vorbereitung der von Schumanns Oper Genoveva op. 81 in Leipzig – schrieb sie in ihr Tagebuch: »Wir musizierten abends bei uns mit Joachim; ich spielte mit ihm eine Bachsche Sonate, dann spielte er Mendelssohns Konzert; so entzückt aber alle von ihm sind, so will er uns doch gar nicht erwärmen! Sein Spiel ist vollendet, alles schön, das feinste Pianissimo, die höchste Bravour, völlige Beherrschung des Instrumentes, doch das, was einen packt, wo es einem kalt und heiß wird, das fehlt – es ist weder Gemüt noch Feuer in ihm, und das ist schlimm, denn ihm steht keine schöne künstlerische Zukunft bevor, technisch ist er vollkommen fertig, das andre, wer weiß, ob das noch kommt?! – Er ist übrigens ein lieber, bescheidener Mensch, und eben deshalb tut mir’s doppelt leid, daß ich von ihm als Künstler nicht mehr entzückt sein kann.«[10] Aber bereits einige Tage später, am 15. Juni, revidierte sie diese Auffassung: »Joachim spielte Roberts 2. Quartett wunderschön, mit herrlichem Ton und einer außerordentlichen Leichtigkeit, und heute bereute ich in meinem Innern, was ich neulich über ihn gesagt.«[11]
In der Folgezeit begegneten sich die Künstler wiederholt, aber es vergingen noch weitere drei Jahre, ehe sie erstmals gemeinsam in einem Konzert öffentlich musizierte. Zuvor gab es noch einen weiteren Höhepunkt in den Beziehungen der Schumanns zu Joseph Joachim – sein Auftritt im Rahmen des Niederrheinischen Musikfestes im Mai 1853 in Düsseldorf. Robert Schumann, als Musikdirektor der Stadt für das Fest mitverantwortlich, bat ihn, nach Düsseldorf zu kommen und das Violinkonzert von Ludwig van Beethoven zu spielen, denn Joachim genoss im Zuge der zunehmenden Anerkennung und Wertschätzung des Beethovenschen Schaffens als Interpret von dessen Werken, speziell des Violinkonzertes, das er erstmals am 27. Mai 1844 in London unter Mendelssohns Leitung spielte, einen hervorragenden Ruf. Ebenso wie zahlreich andere von Andreas Moser zitierte Zeitgenossen [12] war Clara Schumann von Joachims Spiel tief beeindruckt und schrieb in ihr Tagebuch: »Joachim war die Krone des Abends. Haben wir andern auch wohl Beifall gehabt, wurde auch mir von seiten des Orchesters nach Roberts Konzert [Clara interpretierte Schumanns Klavierkonzert a-Moll op. 54] ein Lorbeerkranz und großer Beifall von Publikums Seite, so errang doch Joachim mit dem Beethovenschen Konzert den Sieg über uns alle ― er spielte aber auch mit einer Vollendung und einer so tiefen Poesie, so ganz Seele in jedem Tönchen, wirklich idealisch, daß ich nie solch Violinspiel gehört, und ich kann wohl sagen, nie von einem Virtuosen solch einen unvergeßlichen Eindruck empfangen habe.«[13]
Auch menschlich waren sich die Schumanns und der junge Geiger näher gekommen, wovon Claras Bemerkungen in ihrem Tagebuch einen Tag nach diesem gemeinsamen Auftritt zeugt: »Jedoch nicht allein als Künstler haben wir Joachim erkannt, sondern auch als liebenswürdigen, echt bescheidenden Menschen. Er hat eine Natur, die, um genau gekannt zu sein, eines nähern und längern Umgangs bedarf, wie das eigentlich wohl bei allen ausgezeichneten Menschen der Fall ist.«[14] Diese Äußerung kündigt eine Freundschaft an, die beide bekanntlich, »in nie versagender, im großen wie im kleinen stets sich gleichbleibender Treue durch mehr als vierzig Jahre begleitet hat«, wie Litzmann später schrieb.[15] Nachdem beide Künstler in den Folgemonaten mehrfach im privaten Rahmen zusammen im Schumannschen Hause musiziert hatten – in diese Zeit fällt auch die Entstehung der F.-A.-E.-Sonate, die sie am Abend des 28. Oktober im Freundeskreis erstmals vortrugen[16] – fand am 29. Oktober 1853 ihr erster gemeinsamer öffentlicher Konzertauftritt innerhalb einer von beiden Künstlern gegebenen Soiree in Düsseldorf statt, in der Schumanns 1851 komponierte 2. Violinsonate d-Moll op. 121 erstmals im Konzertsaal erklang.
Zu jener Zeit verhielt sich der junge Geiger den Schumanns gegenüber zurückhaltend, ja teilweise ehrfurchtsvoll. Aber mehr und mehr wurde er, auch bedingt durch zunehmende Anerkennung und Erfahrung, selbstbewusster und für Clara Schumann ein gleichberechtigter Konzertpartner, mehr noch – ein helfender Freund. Auch fungierte Joachim z. B. zusammen mit Brahms als Berater, als Clara den Nachlass ihres Mannes edierte. Diese Entwicklung machen u. a. Briefe aus verschiedenen Zeiten deutlich. So schrieb Joachim an Robert Schumann in Vorbereitung des am 21. Januar 1854 in den Hannoverschen Anzeigen angekündigten 3. Abonnementkonzertes vom gleichen Tag, in dem Joachim die Phantasie für Violine und Orchester op. 131 und Clara Schumann das 5. Klavierkonzert Es-Dur Ludwig van Beethovens spielten, im Zusammenhang mit dem Programmvorschlag noch sehr respektvoll: »Halten Sie es nicht für unbescheiden, daß ich mich als Solist betheilige: Graf Platen wollte durchaus ein Bogen-Instrument auch in’s Programm bringen, weil im vorigen keines vertreten war, und hätte ich nicht Ihre Fantasie [op. 131] vorgeschlagen, so hätte man am Ende ein ganz unpassendes Stück in’s Programm gebracht. Aber schreiben Sie ja ganz aufrichtig, wenn Ihnen oder Ihrer verehrten Frau etwas nicht in der Anordnung zusagt [Joachim teilt zuvor die Programmfolge mit]; ich möchte mich gerne für Sie beide in Stücke zertheilen und hoffe genug Energie in mir zu haben, alles durchzusetzen, was Ihnen Freude macht.«[17]
Nach der Einliefe4rung Robert Schumanns in die Endenicher Nervenheilanstalt im März 1854 wurde Joachim, wie bereits erwähnt, neben Johannes Brahms zu einem der engsten Freunde der Pianistin und versuchte, sie, die Mutter von nunmehr sieben Kindern (der Sohn Emil starb im Juni 1847 im Alter von 16 Monaten), wo immer es ging, weniger finanziell, als vor allem moralisch zu unterstützen. »In dieser qualvollen Zeit des Hoffens und Bangens«, so Andreas Moser, »waren Brahms, Joachim, Dietrich und Grimm bemüht, Frau Clara in ihrem Schmerz zu trösten und wieder aufzurichten. Es ist eines der rührendsten Bilder der Musikgeschichte, zu sehen, wie die jungen Leute, jeder in seiner Art, bestrebt waren, die Liebe und Verehrung für den unglücklichen Tondichter nun seiner edlen Gattin zu Füßen zu legen, die ihr herbes Missgeschick mit bewunderungswürdiger Seelenstärke trug.«[18] Clara war für die Hilfe und Unterstützung sehr dankbar, was sie mehrfach auch in Briefen an Joachim zum Ausdruck brachte. »Wenn Ihr Beiden [Joachim und Brahms]«, schrieb sie am 6. Februar 1857 an den Geiger, »mir Freundliches über mein Spiel sagt, das ist doch mein größter Sporn und das einzige Lob, das mich wirklich beglücken kann – früher war es das Robert’s – Ihr meine theueren Freunde vertretet seine Stelle jetzt.«[19] Und bei anderer Gelegenheit teilte sie Joachim mit: »Niemand, als ich, weiß, was ich Euch zu danken; doch das läßt sich eben auch nicht aussprechen, ich fühle es aber warm und ewig […]«.[20] So standen sich die beiden Künstler auch familiär sehr nahe. Und da verwundert es nicht, dass die Trennung zwischen Joseph Joachim und seiner Frau Amalie [21] Anfang der 1880er Jahre (endgültige Scheidung: 1884) Clara sehr mitnahm, obwohl beide Frauen auf künstlerischem Gebiet nicht so eng wie Clara und Joseph Joachim selbst zusammen gearbeitet hatten. [22] So schrieb sie an ihre Tochter Eugenie am 15. März 1881 [23]: »[…] gestern habe ich mit Joachim über seine Frau gesprochen – fürchterlich dauert mich die Trennung.« Bereits wenige Tage zuvor, am 12. Februar, teilte Clara ihrer Freundin Emilie List mit: »Denk Dir, Joachim hatte neulich die Scheidungsklage beim Gericht eingereicht, im letzten Augenblick vor dem Sühne-Termin that Frau Joach[im], die fortgegangen war, eine Sinnesänderung kund, u. J[oachim]. nahm die Klage zurück. Sie mag sich wohl die Folgen vorgestellt haben. Joachim wollte nicht, daß sie noch mit Simrock verkehrte (Er that es schon lange nicht mehr) sie wollte den Mann nicht aufgeben. Sie wäre ja gänzlich ruiniert, käme es zu Scheidung. Wie traurig aber, so mit einander fortzuleben, wo von ihrer Seite wohl kaum noch Liebe vorhanden ist. Es ist ein schreckliches Unglück.«[24] Und in einem Brief an Joachim selbst heißt es: »[…] ein Trost sind wohl die Kinder, aber so ein gestörtes Leben, wie schwer ist das.«[25]
Die Einlieferung Robert Schumanns in die Endenicher Nervenheilanstalt intensivierte nicht nur die persönlichen Beziehungen Clara Schumanns zu den jungen Musikern, sondern veränderte ihr Leben grundlegend. Nicht nur, dass sie nunmehr mit allen Problemen allein stand, sie war trotz der Unterstützung durch die vielen Freunde allein für die Familie verantwortlich. Nach der Geburt ihres im Juni 1854 geborenen jüngsten Sohnes Felix verstärkte sie wieder ihre intensive Reise- und Konzerttätigkeit, die sie während der gemeinsamen Ehejahre einschränken musste, aber nie ganz aufgegeben hatte. Seit August 1854 konzertierte die Pianistin fast ununterbrochen, um für den Unterhalt der Familie aufkommen zu können. Sie wollte die Familie selbst ernähren und wies bekanntlich fast alle finanzielle Hilfsangebote aus dem Freundeskreis zurück. Bei diesem Neuanfang konnte sie auf die Hilfe Joachims bauen, der in zahlreichen Konzerten nicht nur gemeinsam mit ihr musizierte, sondern ihr als Freund mit Rat und Tat zur Seite stand.[26]
Gerade in den Wintern 1854 und 1855 war er der Pianistin ein treuer Gefährte und versuchte sie wenn irgend möglich zu begleiten. So spielte er 1854 in fünf von den insgesamt zwanzig von Clara Schumann gegebenen Konzerten gemeinsam mit ihr. 1855 konzertierten beide sogar in 20 von 33 Konzerten zusammen. Unter anderem gaben beide im Dezember 1854 im Rahmen einer am 14. Oktober in Begleitung ihrer Schülerin Agnes Schönerstedt in Hannover angetretenen Konzerttournee Clara Schumanns, die sie über Leipzig, Weimar, Frankfurt am Main, Hannover, Hamburg, Lübeck und Bremen nach Berlin führte, wo sie am 23. November eintraf, drei Kammermusiksoireen im Saal der Singakademie in Berlin.[27]
Über die Vorbereitung der Berliner Soireen gibt der Briefwechsel beider Künstler detailliert Auskunft. [28] Auf dem Programm standen neben verschiedenen, von beiden separat gespielten Solostücken die Sonate für Klavier und Violine A-Dur von Johann Sebastian Bach und die Kreutzer-Sonate A-Dur op. 47 von Ludwig van Beethoven am 10. Dezember 1854, die 2. Violinsonate op. 121 von Robert Schumann und Beethovens Violinsonate G-Dur op. 30 am 16. Dezember sowie die Schumanns Fantasiestücke für Klavier und Clarinette (ad. libit. Violine od. Violoncell) op. 73 und Beethovens Violinsonate c-Moll op. 30 in der dritten Soiree am 20. Dezember. Wie der Rezension in den Signalen für die musikalische Welt zu entnehmen ist, verliefen die Konzerte sehr erfolgreich: »Zwei Soireen von Frau Clara Schumann und Herrn Joachim, welche dieselben am 10. und 16. Dec. im Saale der Singakademie in Berlin gaben, waren sehr zahlreich besucht, das Programm ein ausgewähltes und die Executirung der einzelnen Nummern von rauschendem Applaus begleitet. […] Die Nationalzeitung sagt unter anderen: Indem sich ein paar künstlerische Persönlichkeiten, aus so edlem Stoffe gebildet wie diese Beiden, zum Vortrag der Bach’schen A dur-Sonate und der Kreutzer-Sonate von Beethoven vereinigten, mußte natürlich die Wirkung eine überwältigende sein. Wir hatten überall den Eindruck der getreusten Reproduktion und sahen einmal wieder von Angesicht zu Angesicht jene beiden größten Meister, welche die entgegengesetzten Grenzen eines langen, entwicklungsreichen Zeitraums bezeichnen und doch durch die innerste Verwandtschaft verbunden sind.«[29]
Über die dritte, in der Rezension nicht erwähnten Soiree vom 20. Dezember schrieb Clara in ihr Tagebuch: »[…] sehr besucht – unerhört für diese ungünstige Zeit (so kurz vor Weihnachten)! herrliches Programm, nur Bach, Beethoven und Robert. Joachim war so innig beglückt, dass wir Robert mit diesen beiden ausschließlich zusammengebracht; ich war auch recht selig dabei. Joachim spielte ganz herrlich.«[30] Auf diesem Konzertabend geht das, von dem Maler Adolph von Menzel gemalte und von ihm selbst auf den 20. Dezember 1854 datierte Pastellporträt zurück, das die konzertierenden Clara Schumann und Joseph Joachim zeigt (vgl. Abb. auf S. 249). »Menzel war«, wie Bernhard R. Appel in dem Katalog zur Ausstellung Clara und Robert Schumann. Zeitgenössische Porträts schrieb, »von Jugend an ein begeisterter Musikliebhaber. Schon 1836 äußerte er: ›Ich bin durch das Hören all dieser herrlichen Werke zu der Überzeugung gekommen, daß Musik, wenn sie nicht vielleicht die erste Kunst, so doch unstreitig die am unmittelbarsten aufs Herz wirkende ist‹ (Brief Adolph Menzels vom 5. März 1836 an Carl Heinrich Arnold).«[31] Clara ihrerseits konnte die Bedeutung Menzels nicht einschätzen. An Brahms schrieb sie noch kurz vor ihrem Tod [32]: »Sehr überrascht hat mich Deine Äußerung über Menzel. Ist er wirklich ein so großer Künstler? Ich kenne fast nichts von ihm.« Brahms, der in persönlichem Kontakt mit dem Maler stand, schickte ihr daraufhin Zeichnungen und versicherte, dass der Maler zu den größten Künstlern der Zeit gehöre.[33]
Auch im Frühjahr 1855 begleitete Joachim Clara Schumann auf einer Konzertreise. Ursprünglich sollte es eine längere gemeinsame Tournee in den Norddeutschen Raum werden, aber Joachim wurde vom Hannoverschen Hof, wo er seit 1853 als Konzertmeister wirkte, nicht ausreichend beurlaubt. Daher reisten beide gemeinsam nur nach Danzig und fanden hier herzliche Aufnahme bei der Witwe von Robert Reinick und im Kreise des Danziger Kommerzienrats Behrend. Sie gaben zwischen dem 28. Februar und dem 6. März erfolgreich drei Konzerte, obwohl Clara wie so häufig wieder einmal »Flügelsorgen« plagten. Gerade in diesen Tagen, in denen es sich zum erstenmal jährte, dass Robert Schumann nach Endenich gebracht wurde, wusste sie die Nähe eines ihr zur Seite stehenden Freundes besonders zu schätzen. In ihr Tagebuch schrieb sie in dieser Zeit über ihren Konzertpartner: »Joachim, wie er immer so liebenswürdig gegen mich ist, so auch als Kollege, Konzert-Leidens-Gefährte! […] Welch ein seltner Mensch dieser Joachim, voller Edelsinn als Mensch wie als Künstler.«[34]
In Danzig weilten beide Künstler im November 1855 erneut. Auf Einladung von Behrend konzertierten sie dort an drei Abenden gemeinsam mit Johannes Brahms. Wieder gab es Sorgen mit den Instrumenten, die Brahms besonders hart trafen, denn er musste im zweiten Konzert am 16. November mitten im Spiel das Instrument wechseln. »Mir ging’s sehr nahe«, schrieb Clara ins Tagebuch, »und hat mir eigentlich diese ganze Reise vergällt.«[35] Weitere gemeinsame Auftrittsorte 1855 waren Elberfeld, Berlin, Potsdam und Leipzig. Hinzu kam ihr gemeinsames Spiel am Detmolder Hof Ende Juni 1855. Hier weilte Clara im Juni 1855, um der Prinzessin Friederike einige Stunden zu geben. Der Fürst lud in dieser Zeit ebenfalls Joachim nach Detmold zu einem Besuch ein, so dass beide Künstler mehrere gemeinsame, in der Programmsammlung aber nicht verzeichnete Soireen am Hofe gaben. Auch in den folgenden zwei Jahren fanden gemeinsame Konzerte in verschiedenen Städten Deutschlands statt. Dagegen ist 1858 kein gemeinsamer öffentlicher Auftritt nachzuweisen. Im Frühjahr hielt sich Clara in der Schweiz auf, Joachim ging nach England, und eine für den Herbst geplante gemeinsame Reise nach Wien und Pest musste die Pianistin allein antreten, da Joachim wieder einmal keinen Urlaub in Hannover bekam.
1859 konzertierten beide Künstler dann erstmals gemeinsam in England. Während jeder in den Jahren zuvor allein auf der Insel weilte (Clara Schumann 1856/57 und Joseph Joachim 1858), führten ihre Wege sie seit 1859 mehrfach zusammen dorthin. So bilden die Konzerte in London und in den englischen Provinzen das Kernstück ihrer gemeinsamen Konzerttätigkeit in den folgenden Jahren, während Auftritte in Deutschland vor allem seit 1865 mehr und mehr eine Seltenheit wurden. Für ihre Englandreisen konnte die erfahrene ältere Pianistin in vielen Fällen auf die Erfahrungen ihres jungen Freundes und Kollegen zurückgreifen, der bereits 1844 zusammen mit Felix Mendelssohn Bartholdy in England konzertiert hatte. Dagegen trat Clara Schumann erst 1856 erstmals dort auf. Zuvor gehegte gemeinsame Reisepläne mit Robert hatten sich immer wieder zerschlagen.[36] So wies Joachim bereits 1860 mit sehr viel Takt darauf hin, dass man jährlich an den Unternehmungen teilnehmen müsse, um von bestimmten Personen Engagements zu erhalten, denn mehr als in anderen Städten Europas wurde in England das Musikleben vom Engagement bestimmter Personen geprägt. Und 1860 schrieb er auf eine Bitte Clara Schumanns, sich bei Arthur Chappell, dem Direktor der PopularConcerts, der ihr zwei Engagements anbot, für weitere Konzerte zu verwenden, an Clara: »Natürlich will ich an Chappell schreiben; nur fürchte ich, daß es nicht viel nützen kann. Sein Interesse ist es zu sehr, für Künstler thätig zu sein, die ihm Jahr aus Jahr ein dienstlich für seine Unternehmungen sind, als daß er viel Mühe daran verwenden sollte, einer fremden, noch so bedeutenden Erscheinung zu nützen.«[37] Auch auf eine Anfrage Clara Schumanns vom 25. Juli 1864, [38] was Joachim davon halte, wenn sie wieder einmal nach England gehen würde (letztmalig war sie 1859 dort), schrieb er in gleicher Weise: »Wenn Sie die Absicht haben, mehrere Saisons nacheinander nach London zu gehen, würde ich Ihnen dennoch entschieden dazu rathen; einer Saison wegen würde es nicht lohnen.«[39] So basieren die stete Wiederkehr beider Künstler nach England und die daraus resultierende verstärkte gemeinsame Konzerttätigkeit in diesem Land nicht zuletzt auf diesen Gegebenheiten. Zudem trafen sich hier zwei »englandreisende« Künstler, zudem noch Freunde, und konzertierten, wenn es Gelegenheit gab, zum gegenseitigen Vorteil zusammen. Aber auch in Deutschland waren beide öffentlich zu hören und wurden in den Konzertankündigungen mit vielen Vorschusslorbeeren und in den Rezensionen stets mit positiver Kritik bedacht.
Die Gründe für diese intensive Zusammenarbeit – immerhin trat Clara Schumann von den 980 in der Programmsammlung für die Zeit von 1854 bis zum 12. März 1891 (Clara Schumanns letztem öffentlichen Auftreten) nachgewiesenen Konzerten in 235 (das sind etwa 25 Prozent), zusammen mit Joseph Joachim auf – sind vielfältig. Zum einen spielten finanzielle Gesichtspunkte zweifellos eine Rolle. Vor allem England war diesbezüglich ein wichtiger Faktor, denn wie Janet Rittermann bemerkt, »war England wohlbekannt dafür, daß es diejenigen Künstler großzügig belohnte, die es bewunderte«[40] - und Clara Schumann und Joseph Joachim gehörten zu diesen.
Andererseits war aber auch zweifellos die gegenseitige Anerkennung und Wertschätzung der künstlerischen Leistungen und Fähigkeiten ein wesentlicher Aspekt. Joachims Spiel und seine Musikalität imponierten Clara Schumann schon in den frühen Jahren ihrer Bekanntschaft. Auch später hob sie seine Leistungen immer wieder hervor. So heißt es in einem an Johannes Brahms gerichteten Brief nach dem Auftritt im Rahmen des 38. Niederrheinischen Musikfestes 1861 in Aachen, bei dem Clara am 21. Mai das Klavierkonzert ihres Mannes, Joachim das Beethovensche Violinkonzert vortrugen: »Joachim spielte göttlich, wir wurden beide belorbeert, er noch außerdem von den Damen mit Buketts förmlich bombardiert. Ich meine, ich hatte ihn noch nie so herrlich gehört, doch das meint man ja immer.«[41] Ebenso positiv urteilte Joachim. In Vorbereitung der Berliner Konzerte 1854 schrieb er an seine Konzertpartnerin: »Wie bin ich Ihnen und Woldemar [Bargiel] zu Dank verpflichtet, daß Sie mir alle Mühe vorweg nehmen und mir nur das Schöne von der Sache aufbewahren [die Konzertvorbereitungen machte Clara Schumann], mit Ihnen an drei Abenden zu musiciren, um das mich viele Kollegen beneiden […].«[42] Und in einem späteren Brief heißt es: »Sie wissen ja, wie gerne ich, selbst öffentlich, mit Ihnen musicire!«[43] Dabei reiste aber nicht der jüngere Joseph Joachim lediglich mit der erfahrenen und berühmten Clara Schumann und profitierte von deren Namen und Anerkennung. Vielmehr handelte es sich um ein Zusammenspiel von zwei selbständig und unabhängig voneinander wirkenden Künstlern, deren individuelle Pläne und Vorhaben im Vordergrund standen und die wenn irgend möglich versuchten, zusammen zu konzertieren. Das gelang allerdings nicht immer. So sahen sich beide wie z. B. bei ihrem gemeinsamen Englandaufenthalt im Frühjahr 1867 längere Zeit nicht. »Frau Schumann habe ich«, schrieb Joachim an seine Frau, »in den ganzen 1½ Wochen nicht gesehen; sie war in Edinburg, immer anderswo als ich beschäftigt.«[44] Auch gelang es aus den erwähnten Gründen nicht immer, bereits geplante gemeinsame Reisen, wie die im Herbst 1858 nach Wien und Pest, durchzuführen. Hinzu kam, dass Clara in den 1870er und 1880er Jahren oft aus gesundheitlichen Gründen Konzerte absagen musste. So gab es Jahre, in denen beide Künstler nicht zusammen öffentlich auftraten, zu anderen Zeiten aber um so häufiger gemeinsam konzertierten, wobei die Frage der Rentabilität nicht aus den Augen verloren wurde, was folgender Hinweis Joachims an Clara verdeutlicht: »Auf ihrer Reise nach Weimar [45] (denn die Genoveva müssen Sie in jedem Fall hören) sehen wir uns hoffentlich. Für ein Concert bin ich jetzt nicht; Spohr und andere Musik haben des Publikums Empfänglichkeit nicht frisch genug gelassen, um daß wir bestimmt auf glänzenden Erfolg rechnen könnten, und in Hannover muß man nur brillante oder gar keine Concerte geben!«[46] Nicht zuletzt waren die Auftritte für die Freunde oftmals ein guter Anlass, sich nach langer Trennung wiederzusehen.
Organisatorin der gemeinsamen Konzerte war in vielen Fällen Clara Schumann, worüber auch der Briefwechsel beider Künstler Auskunft gibt. Sei es die Programmgestaltung, die Frage des Konzertsaales, der Billettes – vielfach hatte Clara Schumann, vor allem bei den Konzerten in Deutschland, die Fäden in der Hand. So schrieb Joachim in Vorbereitung der Konzerte vom Dezember 1854 betreffs des Termins an die Pianistin, die bereits zu Vorbereitungen in Berlin weilte: »Bestimmen Sie; Sie wissen ja meine Schwäche, mit der Qual der Wahl nicht gerne zu verkehren!«[47] Aber es war ein gegenseitiges Geben und Nehmen, und Nancy Reich bemerkt in ihrer Biographie über Clara Schumann: »Clara fragte Joachim gern um fachlichen Rat wegen ihrer Karriere. Er ging, ebenso wie Brahms, teilnehmend auf sie ein, fand auch auf die banalsten Fragen eine Antwort […].«[48] So verwundet es dann auch nicht, dass Joachim als Direktor der Königlichen Akademie der Künste [49] versuchte, Clara Schumann als Dozentin zu gewinnen, was allerdings immer wieder an den zu hohen Bedingungen Clara Schumanns scheiterte. [50]
Für die gemeinsame Konzerttätigkeit darf folgender Aspekt ebenfalls nicht außer Acht gelassen werden: Obwohl Clara seit ihrer Reise nach Russland 1844, wo sie auf die Unterstützung des Orchesters und anderer Künstler verzichtete, ihre Konzerte immer mehr allein bestritt und somit dem Beispiel Franz Liszts folgte, der schon 1840 in London ein Virtuosenkonzert ohne Unterstützung veranstaltete, [51] konnte und wollte sie auch dem Publikumsgeschmack, der nach wie vor mehrere Künstler im Konzert forderte, ebenso wie Joachim , Rechnung tragen. Auch in den 1870er und 1880er Jahren, als sich ihr Ruf besonders in England bereits so gefestigt hatte, dass auch ihre Soloabende erfolgreich waren, konzertierte sie nach wie vor zusammen mit Freunden wie Joachim, Brahms und Stockhausen. Auf die Gründe hierzu verwies Nancy B. Reich: »Diese Entscheidung mag ihr durch gesundheitliche Probleme und die wachsenden familiären Verpflichtungen diktiert worden sein, denn Claras Aufgaben verringerten sich, anders als bei den meisten arbeitenden Frauen, mit dem Heranwachsen ihrer Kinder keineswegs. Die Erkrankungen und Todesfälle in der Familie und die Verantwortung für die Kinder ihres Sohnes Ferdinand, die sie sich auch noch auflud, wirkten körperlich und seelisch sehr belastend. So fand sie sich mit der Tatsache ab, dass ein gemeinsames Programm die einzig möglich Form der Konzertarbeit war, und trat regelmäßig mit hochrangigen Kollegen wie Joseph und Amalie Joachim, Brahms und Stockhausen auf. Die Künstler boten Solo- und Ensemblestücke im Wechsel und beendeten gewöhnlich das Programm mit gemeinsamem Musizieren; interessanterweise hielten sie sich meist das ganze Konzert hindurch auf dem Podium auf. Ein Berichterstatter von Dwight’s Journal erwähnt, daß Clara und Joachim in den Pausen zusammen plauderten und einander beim Spielen aufmerksam zuhörten.«[52]
Abschließend sei noch ein Blick auf das Repertoire der gemeinsamen Konzerte beider Künstler geworfen. Eine Analyse der zusammen gespielten Werke [53] macht deutlich, dass Beethovens Kompositionen in den Programmen eindeutig dominieren, was angesichts der Wertschätzung, die beide Interpreten dem Beethovenschen Schaffen entgegenbrachten, nicht verwundet. Beide zählten zu den bedeutendsten Beethoven-Interpreten im 19. Jahrhundert. Ebenso ist die seit den 1830er Jahren von Paris ausgehende intensiv einsetzende Beethoven-Rezeption sowie die Auseinandersetzung mit dem Werk des Meisters, die Robert Schumann auch in der Neuen Zeitschrift für Musik immer wieder als vorrangige Aufgabe darstellte, als wesentlicher Aspekt für die verstärkte Hinwendung beider Künstler zu den Kompositionen Beethovens zu sehen. Letztlich spiegelt sich hier die Wende vom durch Bravourstücke, Arrangements und Variationen gekennzeichneten Virtuosentum zur Werkinterpretation gehaltvoller Originalkompositionen Bachs, Beethovens, Chopins, Mendelssohns, Schumanns usw. wieder.
Am häufigsten gespielt wurde, wie die Auswertung der Programme zeigt, die Kreutzer-Sonate A-Dur op. 47, was wiederum nicht verwundert, denn das Werk zählt bis heute zu den beliebtesten und publikumswirksamsten Kammermusikkompositionen Beethovens. So schrieb Clara Schumann 1863 an Joseph Joachim im Zusammenhang mit einem Konzert in Braunschweig, wo beide bereits am 26. Januar 1860 die Kreutzer-Sonate interpretierten: »Kreutzer-Sonate haben wir in Braunschweig gespielt (das ist freilich immer das beste Schlußstück) – was meinen Sie zu G dur? oder C moll? […].«[54]
Variabilität in der Werkauswahl wurde auch in der Rezension der Didaskalia über das Frankfurter Konzert vom 31. Oktober 1865 gefordert: »Die zur Eröffnung des Concertes gewählte Kreutzer-Sonate wurde zwar von den Concertgebern in seltener Vollendung vorgetragen, dennoch waren wir mit dieser Wahl nicht vollkommen einverstanden. Gewiß wäre es dem größten Theil des Publikums erwünschter gewesen, von den 130 [sic!] Beethoven’schen Sonaten für Clavier und Violine eine weniger bekannte zu hören, als die gerade bei uns schon so oft und immer wieder gespielte Kreutzer-Sonate, ohne damit dem hohen Werth derselben zu nahe treten zu wollen, denn darüber dürfte wohl jedes Wort überflüssig sein.«[55] Neben der Kreutzer-Sonate standen auch die anderen Violinsonaten Beethovens ebenso wie verschiedene Klaviertrios (diese vornehmlich in England) wiederholt auf dem Programm.
Aber natürlich nahm auch das Werk Robert Schumanns eine bestimmende Position im Repertoire ein.[56] »Clara hielt es«, so Nancy Reich, »nicht nur für ihre heilige Pflicht, seine [Schumanns] Musik zu vertreten, sondern auch für ihr heiliges Recht, und sie war eifersüchtig, wenn seine Musik irgendwo von jemand anders gespielt wurde.«[57] Das traf nicht nur auf die Klavierwerke, sondern auch auf die Kammermusikkompositionen mit Klavier zu, so dass es nicht verwundert, dass auch in den Konzerten mit Joachim Schumanns Werke immer wieder erklangen. Neben Duos wie den beiden Violinsonaten op. 105 und 121, den Fantasiestücken op. 73 spielten beide mit Beteiligung anderer Musiker das Klavierquintett op. 44 und das Klavierquintett op. 47. Auch Kammermusikkompositionen von Clara Schumann, wie die Drei Romanzen für Pianoforte und Violine op. 22 und das Klaviertrio op. 17, wurden in das Repertoire aufgenommen. Daneben spielten beide Werke von Wolfgang Amadeus Mozart und Joseph Haydn und ab 1872 Kompositionen des gemeinsamen Freundes Johannes Brahms. Besonders in England setzten sie sich für die Anerkennung seiner Werke ein.
Die Repertoireanalyse macht außerdem deutlich, dass das Duett seit 1873 gegenüber größeren Besetzungen mehr und mehr in den Hintergrund trat. Das hängt sicherlich nicht zuletzt damit zusammen, dass sich der Schwerpunkt Joachim in England immer mehr auf das Gebiet der Kammermusik verlagerte und er im Verein mit Louis Ries, Ludwig Strauß und Alfred Piatti auftrat, »daß«, wie Moser schrieb, »die Entscheidung schwer fiel, ob seinem Quartett-Ensemble in der Berliner Singakademie oder dem der ›Monday Popular Concerts‹ an der Themse die Palme gebührte«[58]. Hierzu gesellte sich zu gegebener Zeit Clara Schumann. Weiterhin nahm die Zahl der gemeinsamen Konzerte zu, in denen beide unabhängig voneinander solistisch agierten bzw. Joachim im Quartett spielte oder dirigierte.
Letztmalig trafen beide Künstler am 24. März 1888 in London in einem Konzert zusammen und traten am 23. Januar 1889 in Berlin überhaupt letztmalig zusammen öffentlich auf. Mit Sicherheit aber musizierten sie auch später noch privat zusammen. Schließlich gehörte es zu den Freuden der letzten Lebensjahre Clara Schumanns, Joachim musizieren zu hören. So schrieb sie am 12. Juni 1890 an den Freund: »Liebster Joachim, wie war das gut, mich wieder einmal zu besuchen! wie werde ich an diesen, ach nur so kurzen Tag zehren! trotzdem ich körperlich recht arge Schmerzen litt, vergaß ich bei Ihrem Spiele Alles! […] Wie war es doch herrlich, dass wir Sie einmal wieder hörten , wie entzückt waren alle, die zuhören durften.«[59] Aber nicht nur sein Spiel bedeutete ihr viel. Ebenso wichtig war ihr der Mensch. Es verwundert daher nicht, dass sie unter dem 22. November 1894 in ihr Tagebuch schrieb: »Den 22. besuchte uns auf der Durchreise Joachim noch ein paar Stunden, wo wir endlich mal gemüthlich plauderten. Die Geige hatte er mitgebracht, aber ich wollte mal den Menschen den Freund, nicht den Geiger haben!«[60]
Letztmalig weilte Joachim am 25. November 1895 bei Clara Schumann in Frankfurt, die ihn um diesen Besuch gebeten hatte: »Den 25. kam der liebe Joachim noch mal hier durch. Ich hatte gehofft, mit ihm musiciren zu können, aber ich bin zu elend und zu traurig. So besuchte er mich noch auf ein gemüthliches Plauderstündchen, reiste Abend noch nach Berlin.«[61]
Das war den überlieferten Aufzeichnungen nach das letzte Mal, dass Joseph Joachim Clara Schumann, die am 20. Mai 1896 starb, lebend sah. Unverzüglich, nachdem er die Nachricht von ihrem Tode erhalten hatte, eilte er zusammen mit anderen Berliner Freunden nach Frankfurt, wo er am 23. Mai zusammen mit den nächsten Angehörigen und Freunden, der Lehrerschaft des Hoch- und des Raff-Konservatoriums sowie den Spitzen der Frankfurter Stadtverwaltung Abschied von der geliebten Freundin nahm. Bei der Beisetzung auf dem Bonner Friedhof am folgenden Tag war er nicht anwesend, da er von Frankfurt unverzüglich nach Trient reisen musste.
Auch nach Claras Tod blieb Joachim den Schumanns eng verbunden. Das zeigt nicht zuletzt seine Teilnahme an der Einweihung des Robert-Schumann Denkmals in Zwickau am 8. Juni 1901. Mehr noch, zusammen mit Carl Reinecke trat er im Rahmen des gleichzeitig in Schumanns Geburtsstadt veranstalteten Festes für den großen Sohn der Stadt auf. Wie nahe Joseph Joachim Robert und Clara Schumann nach wie vor stand, zeigen folgende Erinnerungen Carl Reineckes an das Festkonzert im Zwickauer Gewandhaus am 9. Juni 1901, in dem der nunmehr 70-jährige Geiger unter der Leitung von Carl Reinecke Robert Schumanns Phantasie für Violine mit Begleitung des Orchesters op. 131 spielte: »Als Joachim, während ich das Orchester führte, die Geigenphantasie des Meister vortrug und plötzlich vor übergroßer Rührung den Faden verlor, ward es auch mir weh um’s Herz, und es war wohl zu verstehen, wenn wir uns nach Beendigung des Stückes in den Armen lagen, des so trübe dahingeschiedenen, von uns so geliebten Meisters gedenkend. Das war mein letztes Zusammenwirken mit Joachim.«[62]
[1] Die gemeinsame Konzerttätigkeit Clara Schumanns und Joseph Joachims wurde bisher mehr allgemein und punktuell betrachtet. Erstmals hat die Autorin selbst in ihrem Aufsatz Zur gemeinsamen Konzerttätigkeit Clara Schumanns und Joseph Joachims, in: Clara Schumann. Komponistin, Interpretin, Unternehmerin, Ikone. Bericht über die Tagung anlässlich ihres 100. Todestages veranstaltet. von der Hochschule für Musik und Darstellende Kunst und dem Hochschen Konservatorium in Frankfurt, hgg. von Peter Ackermann und Herbert Schneider, Hildesheim [u.a.] 1999, eine ausführliche Darstellung hierzu gegeben.
[2] Robert-Schumann-Haus Zwickau, Archiv-Nr.: 10463-C3/A3/A4; im folgenden abgekürzt: PS.
[3] Auch mit anderen Interpreten arbeitete Clara Schumann intensiv zusammen. So sind mit Alfred Piatti 201, mit Louis Ries 165, Ludwig Strauß und mit dem Bratschisten Zerbini 111 gemeinsame Konzertauftritte nachzuweisen. Mit diesen drei Künstlern spielte sie – oftmals gemeinsam mit Joachim – ausschließlich in England zusammen.
[4] Von dieser Soiree befindet sich kein Programm in Claras Programmsammlung, die keinen Anspruch auf Vollständigkeit erheben kann, denn nachweislich fanden, wie Untersuchungen zeigten, weitere Auftritte (meist Soireen) statt, von denen dort keine Programme überliefert sind.
[5] Zitiert nach Andreas Moser: Joseph Joachim. Ein Lebensbild, 2 Bde., Bd. I: 1831-1856, Berlin 1908, S. 45
[6] Vgl. ebda., S. 54.
[7] NZfM, Bd. 19, Nr. 17, 28. August 1843, S. 68.
[8] Robert Schumanns Briefe. Neue Folge, hg. von F. Gustav Jansen, Leipzig ²1904, S. 253.
[9] Berthold Litzmann, Clara Schumann. Ein Künstlerleben. Nach Tagebüchern und Briefen, 3 Bde., Bd. II: Ehejahre 1840-1856, Leipzig ²1906, S. 111.
[10] Ebda., S. 111f.
[11] Ebda., S. 112.
[12] Vgl. Moser, Joseph Joachim (wie Anm. 5), Bd. II, S. 246ff.
[13] Litzmann, Clara Schumann (wie Anm. 9), Bd. II, S. 278.
[14] Ebda.
[15] Ebda.
[16] Bei diesem Werk handelt es sich um eine Gemeinschaftskomposition von Robert Schumann, Albert Dietrich und Johannes Brahms für den gemeinsamen Freund Joseph Joachim. In seinen Erinnerungen an Brahms vermerkte Dietrich: »Einmal wurde Joachim zum Besuch erwartet Schumann schlug uns in heiterer Stimmung vor, gemeinschaftlich eine Violinsonate zu componiren. Joachim sollte dann errathen, von wem jeder Satz wäre.« (Albert Dietrich: Erinnerungen an Johannes Brahms in Briefen aus seiner Jugendzeit, Leipzig 1898, S. 4f.). Die »FAE sonatenüberraschung«, wie Schumann die Aufführung des Werkes in seinem Haushaltbuch bezeichnete, fand am 28. Oktober statt – Joachim weilte in Vorbereitung des Konzertes vom 29. Oktober seit dem 26. in Düsseldorf; vgl. Robert Schumann. Neue Ausgabe sämtlicher Werke, Serie II, Werkgruppe 2, Bd. 3, Violinsonate opp. 105 u. 121; WoO 2; F.A.E.-Sonate, hg. von Ute Bär, Mainz 2000.
[17] Briefe von und an Joseph Joachim, hgg. von Johannes Joachim und Andreas Moser, Bd. I: Die Jahre 1842-1857, Berlin 1911, S. 144.
[18] Moser, Joseph Joachim (wie Anm. 5), Bd. I, S. 215.
[19] Briefe von und an Joseph Joachim (wie Anm. 17), Bd. I, S. 412.
[20] Brief Clara Schumanns an Joseph Joachim vom 27. Dezember 1857, ebda. S. 476.
[21] 1863 heiratete Joseph Joachim die Sängerin Amalie Schneeweiß.
[22] Beatrix Borchard nennt Gründe dafür: »Einerseits lag dies an Amalie Joachims häufigen Erkrankungen während der Ehejahre sowie ihren Kuraufenthalten, die sie immer wieder zu Absagen zwangen. andererseits ist die Ursache wohl auch darin zu sehen, dass die Musikerinnen bei Auftritten in dieser Konstellation in erster Linie als Frauen ihrer Männer wahrgenommen werden.«, in: Beatrix Borchard: Stimme und Geige. Amalie und Joseph Joachim (= Wiener Veröffentlichungen zur Musikgeschichte 5, hgg. von Markus Grassl u. Reinhard Kapp), Wien [u.a.] 2005, S. 329.
[23] Robert-Schumann-Haus Zwickau, Archiv-Nr. 11156-A2.
[24] »Das Band der ewigen Liebe«. Clara Schumanns Briefwechsel mit Emilie und Elise List, hg. von Eugen Wendler, Stuttgart/Weimar 1996, S. 349.
[25] Robert-Schumann-Haus Zwickau, Archiv-Nr. 6600-A2.
[26] So bat Clara Joachim um Rat in Honorarangelegenheiten, um Kontakte in England usw.
[27] Zwischen dem 2. und 3. Konzert traten beide außerdem in Potsdam auf und fuhren über Leipzig, wo am 21. Dezember noch ein Konzert im Gewandhaus stattfand, anschließend gemeinsam zum ersten Weihnachtsfest nach Düsseldorf, das erstmals ohne Robert stattfand.
[28] Die Briefe sind teilweise abgedruckt in Moser, Joseph Joachim (wie Anm. 5) und Briefe von und an Joseph Joachim (wie Anm. 17). Weitere, teilweise bisher unveröffentlichte Briefe Clara Schumanns befinden sich u. a. im Robert Schumann Haus Zwickau.
[29] Signale für die musikalische Welt, 12. Jg., Nr. 52, Dezember 1854, S. 429.
[30] Litzmann, Clara Schumann (wie Anm. 9), Bd. II, S. 359f.
[31] Clara und Robert Schumann. Zeitgenössische Porträts, hgg. von Bernhard R. Appel, Inge Hermstrüwer und Gerd Nauhaus unter Mitarbeit von Ute Bär, Düsseldorf 1994, S. 94.
[32] Litzmann, Clara Schumann (wie Anm. 9), Bd. II, S. 614.
[33] Vgl. ebda.
[34] Ebda., S. 367.
[35] Ebda., Ss. 391.
[36] Vgl. Janet Rittermann: Gegensätze, Ecken und scharfe Kanten. Clara Schumanns Besuche in England 1856-1888, in Clara Schumann 1819-1896. Katalog zur Ausstellung, hgg. von Ingrid Bodsch und Gerd Nauhaus, Bonn 1996, S. 236ff.
[37] Briefe von und an Joseph Joachim (wie Anm. 17), Bd. II, S. 84.
[38] Clara Schumann schrieb an Joseph Joachim: »Eine Bitte habe ich an Sie: zwar hätte die Beantwortung noch lange Zeit, müßte ich danach nicht meinen ganzen Winterplan einrichten. Ich sende Ihnen beifolgend einen Brief, den ich neulich erhielt und der, verhält sich Alles so, mich nur freuen könnte, da Sie mir jedoch kein Wort darüber sagten, indem Sie von dem Londoner Musiktreiben sprachen, so macht mich das zweifelhaft, und ich bitte Sie mir durch ein paar Worte zu sagen, ob sich die Sache verhält, wie Herr Grove schreibt? und, nun die Hauptsache, ob Sie es gerathen fänden, wenn ich nächstes Frühjahr ‚mal wieder nach London ginge um namentlich diese Sachen meines Mannes zu spielen? und ob Sie mir durch Chapell u. A. wohl Engagements verschaffen könnten.« (Robert Schumann-Haus Zwickau, Archiv-Nr.: 6467-A2).
[39] Briefe von und an Joseph Joachim (wie Anm. 17), Bd. II, S. 348.
[40] Rittermann, Gegensätze, Ecken und scharfe Kanten (wie Anm. 36), S. 254.
[41] Litzmann, Clara Schumann (wie Anm. 9), Bd. I, S. 365.
[42] Briefe von und an Joseph Joachim (wie Anm. 17), Bd. I, S. 232.
[43] Ebda., S. 266.
[44] Briefe von und an Joseph Joachim (wie Anm. 17), Bd. II, S. 425.
[45] Es handelt sich um eine auf Anregung Liszts geplante Reise nach Weimar, die letztlich aber aufgegeben wurde.
[46] Briefe von und an Joseph Joachim (wie Anm. 17), Bd. I, S. 275f.
[47] Ebda., S. 225.
[48] Nancy B. Reich: Clara Schumann. Romantik als Schicksal, Hamburg 1991, S. 289.
[49] 1868 ging Joachim nach Berlin und wurde beauftragt, an der Königlichen Akademie der Künste eine Schule für Instrumentalmusik zu organisieren, die spätere Königliche Hochschule für Musik. Vgl. dazu u. a. den Artikel von Dietmar Schenk im vorliegenden Heft.
[50] Reich vermutet, dass Clara sich an keine feste Stelle binden wollte; vgl. Reich, Clara Schumann (wie Anm. 48).[51] Vgl. ebda., S. 345.
[52] Ebda., S. 345f.
[53] Vgl. Bär, Konzerttätigkeit (wie Anm. 1), S. 52 u. 54.
[54] Robert-Schumann-Haus Zwickau, Archiv-Nr.: 6459-A2.
[55] Didaskalia. Blätter für Geist, Gemüth und Publizität, Nr. 305, 5. November 1865.
[56] Vgl. Bär, Konzerttätigkeit (wie Anm. 1), S. 56.
[57] Reich, Clara Schumann (wie Anm. 48), S. 356.
[58] Moser, Joseph Joachim (wie Anm. 17), Bd. III, S. 370, zitiert hier nach dem Original, Robert-Schumann-Haus Zwickau, Archiv-Nr.: 6659-A2.
[59] Briefe von und an Joseph Joachim (wie Anm. 17), Bd. III, S. 370, zitiert hier nach dem Original, Robert-Schumann-Haus Zwickau, Archiv-Nr.: 6659-A2.
[60] Litzmann, Clara Schumann (wie Anm. 9), Bd. III, S. 590.
[61] Ebda., S. 602.
[62] Carl Reinecke: … und manche lieben Schatten steigen auf. Gedenkblätter an berühmte Musiker, Leipzig 1910, S. 189-190.