Wunderliche Wundertüte
Fritz Wunderlich
Fono Forum, Oktober 2010, Seite 94
Singen klang bei ihm immer, als sei es die leichteste Sache der Welt. Seine strahlende Stimme machte Fritz Wunderlich zu einer Legende und einem der prominentesten Tenöre der Vergangenheit. Mehrere CDs erinnern an seinen 80. Geburtstag und einen unvergleichlichen Künstler.
Am 26. September würde er 80 Jahre alt – und die Erinnerung an den 1966 so tragisch früh gestorbenen Fritz Wunderlich ist lebendiger denn je. Das überrascht umso mehr, als dem begnadeten Sängern nur gerade einmal zehn Jahre vergönnt waren von seinen frühesten Anfängerjahren bis zu den großen Triumphen. Zum Glück haben sich Schallplatte und Rundfunk früh schon für den aufstrebenden Tenor interessiert, und so sind vergleichsweise viele Aufnahmen entstanden, die seither in immer wieder neuen Zusammenstellungen wieder-, aber auch erstveröffentlicht wurden.
Zum 80. Geburtstag wartet Universal mit einer bunten Wundertüte auf. Zum einen enthält sie 6 CDs mit Wunderlich-Einspielungen – insgesamt ein repräsentativer Überblick über Oper, geistliche Musik, populäre Songs und Schlager sowie Liedaufnahmen, wobei auch frühe Rundfunkaufnahmen mit eingeschlossen sind. Wieder einmal kann man staunen über die stilistische Vielfalt, die diesem Ausnahmesänger zu Gebote stand: Pure Gesangskunst ohne jede Künstelei, als wäre Singen überhaupt die leichteste Sache auf dieser Welt.
Dass dem nicht so ist – und auch für Wunderlich nicht so war –, erfährt man auf einer weiteren CD: einem Hörbuch, das auf einer Rundfunksendung des SWF basiert. Hier gibt es einige bislang unveröffentlichte Trouvaillen zu hören: Wunderlich in einer Probe und Aufführung von Frank Martins „In terra pax“, Wunderlich als männlicher und gleichzeitig wunderbar bekanntester Ottavio in einem von Karajan dirigierten „Don Giovanni“ sowie einige rührende Schlaflieder und sein selber komponiertes und getextetes „Pfälzer Heimatlied“. Zudem gibt Barbara Wunderlich, des Sängers Tochter, Einblicke in ihres Vaters Alltag, welcher von Arbeit und nochmals von Arbeit geprägt war: Nein, Fritz Wunderlich fiel nichts in den Schoß. Das wird auch deutlich anhand eines Interviews mit Wunderlichs Witwe, und zur vielleicht größten Freude aller Fans ins Fritz Wunderlich selbst ausführlich in Ausschnitten aus seinen Rundfunkinterviews zu hören.
Abgerundet wird diese Hommage mit einem 120-seitigen Buch mit unzähligen Fotos aus dem Privatalbum, die meisten hier zum ersten Mal öffentlich gemacht. Die Aufnahmen und Bilder zeigen, wie sehr ihm daran gelegen war, Lebensmomente festzuhalten – als hätte er geahnt, dass ihm nur eine kurze Lebensspanne beschieden sein würde. Ergänzt werden alle diese Dokumente durch Statements von Zeitgenossen und Nachgeborenen: Nicolai Gedda, Peter Schreier, Anneliese Rothenberger, Christa Ludwig, Jonas Kaufmann, Piotr Beczala, Rolando Villazón, Plácido Domingo und anderen. Ein Lob reiht sich hier nahtlos ans andere, ein Superlativ an den nächsten – vielleicht fast etwas zu viel des Guten. Auch Nostalgie von anno dazumal kommt zu ihrem Recht mit einer echten Polydor-Vinyl-Single, 45 RPM: Schuberts „Wiegenlied“ und „Gute Nacht, mein holdes süßes Mädchen“. Wer möchte nicht so in den Schlaf gesungen werden …
Auch EMI hat zum 80. Geburtstag ihre wichtigsten Wunderlich-Aufnahmen neu in eine neue 6-CD-Box verpackt. Sie decken ein denkbar weites Repertoire von Bach bis Mahler ab. Besonders wertvoll sind auch einige Operetten-Auszüge sowie Ausschnitte aus deutschen Spielopern. Wie sehr Fritz Wunderlich gerade in diesem stilistisch recht diffizilen Genre brillieren konnte, zeigt unmittelbar berührend seine Einspielung von „Selig sind, die Verfolgung leiden“ aus Kienzls „Evangelimann“. Zum Weinen schön – doch, ja.
Werner Pfister
Aktuelle CDs
Der unvergessene Fritz Wunderlich; DG/Universal 0028948037346
(Deluxe-Edition: 6 CDs, Hörbuch, Bonus-Vinyl-Single und 120-seitiges Buch)
Fritz Wunderlich – A Poet Among Tenors; EMI 6 CDs 50999622952521