„Töne sind höhere Worte“
Österreichische Musikzeitschrift
1/2009, Seite 87 bis 88
Johanna Fürstauer leitet das Buch mit einem überaus sachkundigen und differenzierten Vorwort zu Begriff und Geschichte der Romantik ein. Im Anschluss geht es allerdings weniger um ‚Romantik’ oder das ‚Romantische’. Vielmehr folgen (hauptsächlich) Gespräche und Interviews – weniger diskursiv als im Interview-Stil gehalten – aus den 90er-Jahren bis in die Gegenwart, in denen Harnoncourt zu Musik von Beethoven bis Berg Stellung nimmt. Für den Leser aber bedeutet das: Allgemeines mischt sich mit Detailliertem und somit fast zwangsläufig auch Nichtssagendes mit höchst spannenden Einzeleinsichten.
Ein Gespräch etwa (ganz aktuell) zur Aufführung von Bergs Violinkonzert (im Wiener Konzerthaus im Mai 2007) enthält Harnoncourts Feststellung, dass „die Zwölftonmusik […] von der Grundidee Schönbergs her ein Irrweg“ war – eine Bemerkung die (natürlich) undiskutiert und unkommentiert stehen bleibt. Auch erfährt man, dass die Stimmung in den Opern Verdis ein Problem sei, weil wir das a immer höher hinaufstimmen, oder Verdis Metronomangaben nicht für alle Sänger gleich verbindlich gelten. Statements also zu brisanten Themen, die aber in den kurzen Gesprächen – daher meist in „Frage-Antwort-Spiel“, das mehr eine Verbeugung, denn einer Auseinandersetzung gleicht – nicht eingehender diskutiert werden.
Und trotzdem fesselt dieses Buch mit überraschenden und spannenden Gedanken – vor allem an jenen Stellen, an denen Harnoncourts als ebenso intuitiver wie reflektierter großer Dirigent und Mensch bei einzelnen Kompositionen ins Detail geht. Wenn er etwa den zweiten Satz von Schuberts großer C-Dur Symphonie erklärt – mit Bildern und Geschichten, die uns helfen sollen die Tragik, aber auch die Vielschichtigkeit dieser Musik nachzufühlen. Harnoncourt weiß, wie gefährlich konkrete Bilder sind, aber er bleibt bei seinen Erklärungen so nah am Notentext (der dankenswerterweise dazu auch im Text abgedruckt wurde), dass seine Erklärungen niemals beliebig oder einengend wirken.
Neben den Details zu Schumann, Schubert, Smetana und Dvořák gibt es aber da immer wieder zwischendurch (vor allem im ersten, dem Biographischen gewidmeten Kapitel) zahlreiche allgemeine philosophisch-religiöse Äußerungen Harnoncourts zur Kunst. Hier erweist sich der inzwischen weltweit gefeierte Pionier der Aufführungspraxis in der Tradition derjenigen, die „Alte Musik“ in Europa erstmals entdeckten und verehrten, also in der Tradition eines E. T. A. Hoffmann oder Mendelssohn-Bartholdy. Immer wieder verweist Harnoncourt auf die göttliche Dimension der Kunst („Die Kunst ist für mich ein Geschenk Gottes“ – „eine unreligiöse Musik gibt es nicht“ u.a.) und differenziert zwischen „großer“ und „kleiner“ Kunst – wobei die „ganz große Kunst letztlich zeitlos“ sei. Solche Äußerungen entsprechen der Gedankenwelt der Romantik, nicht der eines Bach oder Monteverdi. Neben den höchst interessanten Überlegungen zur Musik des 19. Jahrhunderts spricht hier also weniger ein Musiker über das Romantische, als ein Romantiker über seine geliebte Musik.
Hans Georg Nicklaus
Nikolaus Harnoncourt: Töne sind höhere Worte. Gespräche über romantische Musik
Johanna Fürstauer (Hg.). Salzburg, Residenz Verlag 2007. 414 S. 22,90 €