Schumann-Journal 4/2015
Vgl. S. 184 ff. in Schumann-Journal 4/2015:
SchumannJournal2015.pdf [Download]
Neue Schumanniana / New Schumanniana
CDs, DVDs*
Ausgewählt/selected von/by
Irmgard Knechtges-Obrecht & Ingrid Bodsch
(English translations by Florian Obrecht (F. O.) or Thomas Henninger (Th. H.))
Auszug aus dem PDF:
An die Sterne
Schumanns Chorgesänge für Dresden aus dem Palais Großer Garten
Sächsisches Vocalensemble
Leitung: Matthias Jung
Querstand, 2014
Bis heute genießen Robert Schumanns A-cappella-Chorwerke keine wirklich große Beliebtheit bei Chören und Chorpublikum, ja, sie sind trotz inzwischen mehrerer Gesamtaufnahmen dieser Werkgruppe (u.a. Studio vocale Karlsruhe bei Brilliant Classics) noch immer nicht wirklich bekannt. Über die Gründe kann man rätseln – an den oft sehr bekannten Texten, die auch anderweitig vertont wurden, kann es nicht liegen. Eher scheint offenbar der hohe musikalische und technische Anspruch ebenso eine Rolle zu spielen wie das nicht gerade „gängige“, vielmehr hoch-artifizielle Klangbild. So muss man erfreut jede Neuaufnahme Schumann’scher Chormusik registrieren, zumal wenn sie von einem so hochkarätigen Klangkörper dargeboten wird wie dem in Dresden ansässigen Sächsischen Vocalensemble unter seinem Gründer und Leiter Matthias Jung.
Im Konzert haben die Dresdner wohl die meisten Schumann-Chöre aufgeführt, bei ihrer 2011 und 2012 im Palais im Großen Garten aufgenommenen CD unter dem Titel An die Sterne (zugleich der Titel eines der vier Gesänge op. 141) beschränken sie sich auf „Schumanns Chorgesänge für Dresden“ (Romanzen und Balladen op. 67 und 75, Doppelchö185
rige Gesänge op. 141). Doch diese Deklaration entspricht nicht dem tatsächlichen Bestand, zu dem im Grunde sämtliche in Schumanns „fruchtbarstem Jahr“ 1849 komponierten A-cappella-Chöre – also auch die vermeintlich „nachgelassenen“, weil posthum veröffentlichten Opera 145 und 146 – gehören. Statt dessen wurden allerdings verdienstvollerweise die erst in jüngerer Zeit (1989) ans Licht gelangten Drei Geibel-Chöre Clara Schumanns aufgenommen. Und trotzdem wäre auf der Scheibe (TT 50:20!) noch reichlich Platz gewesen!
Die Vier doppelchörigen Gesänge für größere Gesangvereine op. 141 (dass sie auch ein Kammerchor adäquat interpretieren kann, beweisen Matthias Jung und seine Sänger) eröffnen die Folge – hochbedeutende Kompositionen, von denen besonders die (von Schumann bereits solistisch in den Myrthen op. 25 vertonten) Goethe’schen Talismane vollen Gestaltungseinsatz verlangen. Glockenreine Intonation, ausgewogene Artikulation und Dynamik – das gilt im übrigen für sämtliche Titel der CD – werden dem Anspruch der schwierigen Werke voll gerecht. Wirklich populär ist von den übrigen Chorsätzen vielleicht nur Schön Rohtraut (Mörike), doch halten der König in Thule und das Heidenröslein (Goethe) eigenen Reiz verborgen im Vergleich mit bekannten volksliedhaften Vertonungen. Als einziger Satz scheint Ungewitter (Chamisso) auch politischen Zündstoff zu bergen, doch könnte man Schnitter Tod auf einen anonymen geistlichen Volkslied-Text – wohl die bedeutendste Vertonung dieser beiden Hefte Romanzen und Balladen – ebenfalls dem Revolutionsjahr 1849 zuordnen. Clara Schumanns Drei Chöre nach Emanuel Geibel bieten dagegen wohl leichtere Kost, sind aber je für sich wie in der reizvollen Abfolge sehr wohlklingend und werden dementsprechend makellos dargeboten. Insgesamt ist diese CD sehr zu empfehlen.
(Gerd Nauhaus)
The choir Dresdner Kammerchor Sächsisches Vocalensemble, founded in 1996 by Matthias Jung and since then also conducted by him, delivers a representative selection of mixed choral scores created by Robert Schumann during his time in Dresden in 1849, under the title An die Sterne, an hommage to the lyrics of op. 141. The recording contains the Romanzen und Balladen op. 67 and 75 as well as the Doppelchörige Gesänge op. 141. The posthumously published op. 145 and 146 should, however, also be part of this collection. They are insted replaced by the Drei gemischte Chöre nach Emanuel Geibel, composed by Clara Schumann in 1848 for the choral society founded by Schumann. The explanations in the booklet were contributed by Thomas Synofzik and Gerd Nauhaus. (F. O.)
Robert Schumann: Orchester-und Kammermusikwerke für Klavier zu vier Händen, Vol. 3
Klavier-Duo Eckerle
NAXOS, 8.551322, 2014
Mit Spannung wartete man auf die Fortsetzung der von Schumann-Preisträger Joachim Draheim konzipierten Reihe mit Schumann‘schen Orchester- und Kammermusikwerken in autorisierten Bearbeitungen für Klavier zu vier Händen (vgl. Correspondenz 35, S. 221 ff.) und die Vorfreude wurde nicht enttäuscht: Folge 3 der Reihe wartet ausschließlich mit Welt-Ersteinspielungen von Orchesterwerken Schumanns auf, zu denen Draheim eine fundierte werkhistorische Einführung beigesteuert hat, deren Ausführlichkeit sich allerdings negativ auf ihre (optische) Lesbarkeit auswirkte, da zumal die Kursivschrift des deutsch, englisch und japanisch dargebotenen Booklettextes fast mikroskopisch klein erscheint!
Das tut natürlich der Qualität der Interpretationen des exzellenten Eckerle-Duos keinen Abbruch. Die Bearbeitungen stammen diesmal von Robert Schumann selbst sowie von seinem Freund und Adlatus Carl Reinecke und seinem Schwager, Clara Schumanns Halbbruder Woldemar Bargiel, also zwei gestandenen Komponisten, die Schumann schätzte und denen er selbst solche Arrangements anvertraute. Seine eigenen zwei-und vierhändigen Bearbeitungen der Ouvertüre zu Goethes Hermann und Dorothea op. 136 erschienen zwar erst posthum (1857), wurden aber schon im Zusammenhang mit der Komposition des Werkes 1851/52 fertiggestellt. Die vierhändige Version des mit mehrfachen Zitaten der Marseillaise (deren Sinn der Komponist in einer Vorbemerkung erläuterte) geschmückten Werkes wirkt in der Tat ebenso reizvoll wie authentisch. Auch bei den Arrangements der Manfred-Ouvertüre op. 115 (Carl Reinecke) und derjenigen zu den Faust-Szenen WoO 3 (Woldemar Bargiel) hatte Schumann die Hand im Spiel, wobei die letzgenannte wohl auf Skizzen von ihm fußte, und das der „Rheinischen“ Sinfonie op. 97 (Carl Reinecke) hat er kritisch und helfend begleitet. Während die Manfred-und Faust-Ouvertüren besonders in den lebhaften Hauptteilen zu überzeugen vermögen, bereitet das Anhören einer kompletten Sinfonie ohne den Reiz der orchestralen Einkleidung dem Hörer doch etwas Mühe – genannt seien nur die mehrfachen prononcierten Blechbläsereinwürfe in fast allen Sätzen, die das Klavier nur durch erhöhte Lautstärke wiedergeben kann. Darüber hinaus wirkt der Kopfsatz besonders „schwierig“, was den zur Auffüllung des Klangbildes notwendigen gehäuften Tremolo-Wirkungen geschuldet ist.
Die übrigen Sätze bereiten weniger Hörprobleme, was im Falle des „Feierlich“ betitelten, eingeschobenen 4. Satzes vom hervorragenden Rang des Arrangements (in das Schumann eingegriffen hat) zeugt – fast unbeschwert wirkt dann trotz seiner komplizierten Schluss-Aufgipfelungen das Finale. Nicht unerwähnt bleiben sollen die beiden kurzen „Einschübe“ nach der Manfred-Ouvertüre – 1866 gedruckte Arrangements von August Horn, die zwar der Autorisierung durch den Komponisten ermangeln, aber durchaus in seinem Sinne erfolgt sind: Sie betreffen die kurze „pastorale“ (Draheim) Zwischenaktmusik, die auch Clara Schumann in eigener Version gelegentlich im Konzert vortrug, und das Melodram „Rufung der Alpenfee“, das freilich ohne den gesprochenen Text wenig Sinn ergibt.
Die beiden Pianisten, Mariko und Volker Eckerle, zeigen sich der schwierigen Aufgabe wie stets gewachsen und überzeugen mit Kraft, Virtuosität und Differenzierungskunst. Zu vermuten ist, dass sie sich auch den übrigen Sinfonien Schumanns widmen müssen – noch stehen ja vier Folgen des Projekts aus –, wozu man ihnen viel Glück und Durchhaltevermögen wünschen kann.
(Gerd Nauhaus)
The recording of four-handed piano arrangements of Schumann‘s orchestra and chamber music works by the piano duo of Mariko and Volker Eckerle, following a concept by Joachim Draheim (who also provided the highly informative booklets), and slated for 7 CDs, can be held to a high standard. The third volume contains the entire Rhenish Symphony op. 97, the Ouvertüre zu Goethes Hermann und Dorothea op. 136 and the Ouvertüre zu Manfred op. 115, as well as the Faust-Szenen WoO 3. Partially edited by Schumann himself, partially by experienced editors such as Carl Reinecke and Woldemar Bargiel under the composer‘s supervision, the duo versions offer a great tool in order to explore these works more closely. (F. O.)
frauen.leben.liebe
Liederzyklen von Robert Schumann und Richard Wagner
Robert Schumann: Frauenliebe und Leben, Abschied, 7 Lieder von Elisabeth Kulmann, Warum?
Richard Wagner: Wesendonck-Lieder
Elisabeth Kulman, Mezzosopran
Eduard Kutrowatz, Klavier
Preiser Records Wien (2014)
Es hätte verwundert, wenn sich die Sängerin nicht irgendwann dieser Aufgabe gestellt hätte: Elisabeth Kulman singt Elisabeth Kulmann, sprich: Die österreichische Mezzosopranistin Elisabeth Kulman widmet sich jenen sieben Gedichten der russischen Dichterin und Namensvetterin Elisabeth Kulmann, die Robert Schumann als Opus 104 für Singstimme und Klavier vertont hat. Gerahmt werden die im heutigen Konzertbetrieb eher vernachlässigten Lieder von Schumanns Frauenliebe und Leben und den Wagnerschen Wesendonck-Liedern; das alles steht unter dem sprachspielerischen Motto „frauen.leben.liebe“.
Die Dichterin Elisabeth Kulmann (1808-1825) wird heute wahrscheinlich nur noch Spezialisten bekannt sein. In St. Petersburg geboren, als Tochter eines russischen Offiziers und einer deutschen Mutter, wächst Elisabeth nach dem frühen Tod des Vaters in ärmlichen Verhältnissen auf, gleichwohl erhält sie eine erstaunliche Ausbildung: Sprachen, Mathematik, Naturwissenschaften, Zeichnen, Tanz, Musik. Das sprachbegabte Mädchen beherrscht fließend Russisch, Deutsch, Französisch, Italienisch, Englisch, Spanisch, Portugiesisch und Neugriechisch, außerdem versteht es Latein, Altgriechisch und Kirchenslawisch. Elisabeth Kulmann schreibt Gedichte, knapp tausend an der Zahl, Jean Paul spricht von einem „strahlenden Nordstern“, Goethe prophezeit ihr einen „ehrenvollen Rang in der Literatur“. Als 1824 St. Petersburg von einer verheerenden Überschwemmungskatastrophe heimgesucht wird, erkrankt Elisabeth Kulmann, ein Jahr später stirbt sie im Alter von 17 Jahren an Schwindsucht. Kaiserin Alexandra Feodorowna und Großfürstin Helena Pawlowna lassen für sie ein Denkmal errichten. Darauf heißt es: „Die erste Russin, die Griechisch lernte, elf Sprachen verstand, acht sprach. Obgleich ein junges Mädchen, dennoch eine ausgezeichnete Dichterin“.
Robert Schumann macht im Mai 1851 in Düsseldorf Bekanntschaft mit den Gedichten von Elisabeth Kulmann; sehr spontan vertont er einige von ihnen: die Mädchenlieder für 2 Sopranstimmen oder Sopran und Alt und Klavier op. 103 sowie die Sieben Lieder op. 104. Der Tod und das junge Mädchen – das ist durchaus Stoff für die romantische Seele. Schumann widmet den Sieben Liedern ein überschwängliches Vorwort, über Elisabeth Kulman schreibt er: „Sie war vielleicht eines jener wunderbarbegabten Wesen, wie sie nur selten, nach langen Zeiträumen auf der Welt erscheinen. Der Weisheit höchste Lehren, in meisterhaft dichterischer Vollendung zur Aussprache gebracht, erfährt man hier aus Kindesmund.“
Was Schumann als „meisterhafte dichterische Vollendung“ bezeichnet, würde man heute ein bisschen vorsichtiger beurteilen – als Lyrik, die gänzlich dem klassischen Ebenmaß vertraut. Doch genau dies muss den Komponisten offenbar angesprochen haben, er sieht die Kulmann-Verse als „wahre Insel im Chaos der Gegenwart“. Die Vertonungen geben sich dementsprechend schlicht, bevorzugen den Volksliedton mit Wechsel von Moll nach Dur und gehen nur selten („Reich mir die Hand, o Wolke“) ins Dramatische mit einigen überraschenden harmonischen Wendungen. Elisabeth Kulman, die Mezzosopranistin, und ihr Begleiter Eduard Kutrowatz, lassen sich auf schönste Art auf dieses Spiel der Einfachheit ein: mit großer Zurückhaltung und absolut unforciert.
„Österreichs aufregendste Mezzosopranistin“ hat man Elisabeth Kulman genannt, die Fachzeitschrift „Opernwelt“ zählte sie zu den wichtigsten Sängerinnen der Saison 2013/14 – diese neue, überaus lohnende Einspielung bestätigt alle Hymnen auf die Sängerin. Wagners Wesendonck-Lieder leben hier von der Spannung zwischen Meditativem und Hochdramatischem. Pianist Kutrowatz, der solistisch mit dem „Abschied“ aus Schumanns Waldszenen und dem „Warum?“ aus den Fantasiestücken in dieser Einspielung passende Übergänge zu den Lieder-Zyklen herstellt, begleitet die Wesendonck-Lieder auf Wagners Érard-Flügel von 1858, einem Instrument, das über einen sehr hellen, unpathetischen Klang verfügt. Wagners „Treibhaus“-Musik hat hier weniger Schwüle als vielmehr zarte Zerbrechlichkeit.
Gegenüber Adelbert von Chamissos Texten zu Frauenliebe und Leben kann man wegen ihrer Unterwürfigkeits- und Demutshaltung heute durchaus einige Vorbehalte anmerken. Elisabeth Kulman wischt die Bedenken in einem kleinen Vorwort mit Blick auf die Vertonung hinweg: „Die tiefen Gefühle freilich, die in diesem unsterblichen Werk zum Leuchten kommen, gelten auch heute und in alle Ewigkeit. Gerade starke Frauen sind zur größten Schwäche fähig!“ Wie auch immer: Kulman findet für vieles in diesem Zyklus einen wunderbar sanften Ton, überrascht beispielsweise in „Er, der Herrlichste von allen“ mit warmer Innigkeit, wo die meisten Kolleginnen plakative Selbstgewissheit ausstellen. Das Meisterstück der Einspielung ist „Ich kann’s nicht fassen, nicht glauben“ in seiner szenischen Auffassung und Atemlosigkeit.
Das alles erschließt sich unmittelbar beim Hören und braucht nicht – einziger Einwand – die Anpreisungen im ansonsten liebevoll gestalteten Booklet. „In ihren herausragenden Interpretationen“, heißt es da von Elisabeth Kulman, „vereint die charismatische Sängerin gelassene Ruhe und feuriges Temperament, Humor und Intelligenz“. Und zu Eduard Kutrowatz darf man lesen: „Er ist Pianist mit dem Puls eines Schlagzeugers, der Führungskraft eines Dirigenten und dem Schöpfungsdrang eines Komponisten“. Das ist denn doch ein bisschen viel Donnerhall.
(Ulrich Bumann)
The Austrian mezzo-soprano Elisabeth Kulman compiled several works under the title „frauen.leben.liebe“: Robert Schumann‘s „Frauenliebe und -leben“ op. 42 and „Sieben Lieder“ op. 104 as well as the Wesendonck-Lieder by Richard Wagner. An amusing coincidence is the fact that the lyrics to op. 104 were created by the almost identically-named russian poet Elisabeth Kulmann (1808-1825), whose lines Schumann once called a „true island in the chaos of the present age“. The lieder, composed in 1851 in Düsseldorf, have an unostentatious veneer, they tend towards the tone of the Volkslied, and only rarely develop a more dramatic element with a few surprising harmonic modulations. Elisabeth Kulman, the mezzo-soprano, and her accompanying pianist Eduard Kutrowatz, take up this game of simplicity in the most beautiful manner: with great restraint and not forced at all. In „Frauenliebe und -leben“, Kulmann finds a wonderfully soft tone, surprises with warm intimacy in „Er, der Herrlichste von allen“, where most of her colleagues exhibit ostentatious self-assurance. The recording‘s masterpiece is „Ich kann’s nicht fassen, nicht glauben“ in its scenic perception of breathlessness. Wagner‘s Wesendonck-Lieder, played on the composer‘s Érard grand piano from 1858, live mostly on the tension between the meditative and highly dramatic; the employment of the historic instrument gives the music a less sultry air and instead replaces it with tender frailty. (F. O.)