Sonaten für Violine und Klavier, Urtext

Die Tonkunst
Magazin für Klassische Musik und Musikwissenschaft
Oktober 2007, Nr. 4, Jg. 1 (2007)

Seite 479-481
Ute Bär (Hg.): Schumann, Sonaten für Violine und Klavier
Band 2, Wien (Wiener Urtext Edition, Schott/Universal Edition) 2007

Robert Schumanns dritte Violinsonate: Zweifellos nach wie vor eines der am besten gehüteten Geheimnisse der romantischen Violinmusik – und zugleich das am wenigsten bekannte Werk innerhalb der Serie von Schumanns späten Duokompositionen, die zwischen 1849 und 1853 für Oboe, Klarinette, Horn, Cello, Bratsche und Violine im Verein mit dem Pianoforte entstanden. Ende Oktober 1853 in Düsseldorf als eine der letzten musikalischen Äußerungen Schumanns überhaupt komponiert, stellt sich die Entstehungs- wie auch Publikationsgeschichte dieses Werkes, einhergehend mit einer recht unübersichtlichen Quellenlage, höchst komplex dar. Hervorgegangen war sie aus einem anderen Werk, der F.A.E.-Sonate, einer für den Geiger Joseph Joachim bestimmten Gemeinschaftskomposition mit Johannes Brahms und Albert Dietrich. Das darin enthaltene Intermezzo und Finale ergänzte Schumann nur wenige Tage nach Niederschrift durch zwei weitere, nachkomponierte Sätze zu einer neuen dritten Sonate. Joachim, dem damit gleich zwei neue Sonaten beschert wurden, bedankte sich umgehend bei Schumann für die unerwartet verdoppelte Sonatenüberraschung (wie es Schumann anlässlich der privaten Erstaufführung der F.A.E.-Sonate selbst in seinem Haushaltsbuch vermerkte): »Die Ergänzung der Sonate paßt prächtig in ihrer concentriert-energischen Weise zu den übrigen Sätzen. Das ist jetzt freilich ein anderes Ganzes!«

Dennoch fand die öffentliche Uraufführung dieses Werkes erst 1956, genau hundert Jahre nach Schumanns Tod, statt. Im gleichen Jahr erschien die Erstausgabe, die 1988 als revidierte Titelauflage erneut herausgegeben wurde. Im Jahre 2002 schließlich zeigte sich die Sonate in wiederum neuem Licht. Beruhend auf weiterführenden Forschungsergebnissen präsentierte die Herausgeberin Ute Bär innerhalb der Neuen Schumann-Gesamtausgabe in beeindruckender Weise einen Notentext, der zunächst durch bedeutende Abweichungen gegenüber dem Erstdruck auffällt. So konnte aufgrund eines erstmals publizierten Briefes von Clara Schumann die bislang undeutliche Abfolge der Mittelsätze überzeugend begründet und rekonstruiert werden. Im Erstdruck an exponierter Stelle fälschlicherweise angegebene Wiederholungstakte für den dritten Satz wurden nach Maßgabe von Schumanns Arbeitsmanuskript gestrichen. Dass die nun nach dem Urtext der Neuen Schumann-Gesamtausgabe vorliegende praktische Ausgabe Reinhard Kapps die überaus stimmige Ergänzung eines durch Schumann nicht notierten Klaviertaktes im ersten Satz (T. 100) vorschlägt, spricht ebenfalls für Sorgfalt und Umsicht dieses Unternehmens, das auch einige geringfügige Errata des gewichtigen Gesamtausgabenbandes stillschweigend korrigiert. Herausgeberin und Verlag sind zu dieser bedeutenden Neuerscheinung nur zu gratulieren. Band 1 der praktischen Ausgabe mit den Sonaten opp. 105 und 121 erschien in vergleichbarer Ausstattung bereits 2003 innerhalb der Wiener Urtext Edition.

Es mag zunächst widersprüchlich erscheinen: Neben den offensichtlichen Korrekturen liegt die eigentliche Bedeutung der längst überfälligen Publikation in den unzähligen dynamischen und artikulatorischen Detailpräzisierungen, die hier in ihrem vollen Ausmaß erstmals deutlich werden. Schumanns peinlich genaue Spielanweisungen berühren oft Bereiche, die von Interpreten einfach und gerne übersehen werden. Intensive Artikulation bei Ausweitung der Melodiebögen – vielleicht ist das die zentrale Forderung zur Auslotung der interpretatorischen Möglichkeiten dieser Musik, die aus kleinsten musikalischen Zellen große Zusammenhänge entwickelt.

Instruktiv kommentierte »Kritische Anmerkungen« der Herausgeberin sowie in den Notentext eingearbeitete Hinweise und Vorschläge bestätigen das Niveau dieser Ausgabe, mit der neue Maßstäbe in Sachen Schumann-Edition gesetzt werden. Die »Hinweise zur Interpretation« sowie Fingersätze und Vorschläge zur Bogeneinteilung (Peter Roggenkamp und Christiane Edlinger) geben wertvolle Ratschläge für eine adäquate Umsetzung auf modernen Instrumenten. Wie sehr sich gleichwohl diese Instrumente von Schumanns ursprünglicher Klangvorstellung entfernt haben, wird in der problematischen klanglichen Balance im Verhältnis von Klavier zu Violine deutlich. Bei der Aufführung auf modernen Instrumenten bleibt dies aufgrund des veränderten Klangvolumens ein grundsätzliches Problem.

Ein Vorwort, das detailfreudig und durch zahlreiche Zitate sehr lebendig auf Entstehung, Drucklegung, Rezeption und Aufführungsgeschichte eingeht, lädt unmittelbar zu einer von Joachim Draheim mustergültig revidierten Neuausgabe vorliegt.
Was nun noch zu wünschen ist: Interpreten, die sich dieser Musik verantwortungsvoll annehmen, und dies ganz und durchaus auf den Spuren Clara Schumanns, die zwei Tage nach Einweisung ihres Mannes in die Endenicher Heilanstalt notierte: »Abends musizierten wir, Joachim und ich […]. Wir spielten Roberts dritte Sonate in A=moll, und heute haben wir sie erst so recht mit dem Animus gespielt, wie es sein muß. Ich hatte sie schon früher in mich aufgenommen, aber Joachim konnte sich noch das letztemal in Hannover gar nicht recht hereinfinden. Heute war er begeistert und ich mit.«

[Tobias Koch]