Deutsche Genies kann man nicht lieben

DIE WELT, 29.07.2006, Nr. 175, S. 27
Ressort: FEUILLETON

Kai Luehrs-Kaiser

Frauen beschimpfen ihn, seine Geburtsstadt Zwickau feiert ihn mit Swing: Zu Robert Schumanns 150. Todestag

Von Kai Luehrs-Kaiser

Als "depressives Genie", letzten Romantiker und "deutsches Mißverständnis" von europäischem Rang feiern wir dieser Tage Robert Schumann. Feiern wir wirklich? Die Düsseldorfer Schumann-Tage sind längst vorbei. In Bonn, wo er am 29. Juli 1856 um 16 Uhr starb, wird ein Klumpkopf des österreichischen Bildhauers Alfred Hrdlicka enthüllt. Und seine sächsische Geburtsstadt präsentiert am Fuße seines Denkmals "Jazz und Swing bei gediegener Gastronomie". Fast hat man den Eindruck, Schumanns Ruhm beschränke sich wirklich darauf, er sei "Zwickaus größter Sohn". War da was?

Schumanns Meisterwerke wie "Dichterliebe", das Cellokonzert op. 129 oder "Kinderszenen" lassen keinen Zweifel daran, daß wir es mit einer der blauesten Blüten deutscher Musikgeschichte zu tun haben. Die frühe Ehe mit Clara Wieck, der blutjungen Tochter seines Klavierlehrers, prädestinierte ihn fürs Klatschalbum des 19. Jahrhunderts. Und für die Täterliste der Frauenbewegung. Mehr als die Namen kennt man kaum noch.

Tatsächlich hatte Clara bei ihm einen schweren Stand. Die zum Wunderkind gedrillte Jungpianistin durfte nur üben, wenn Robert außer Haus war. Es hatte still zu sein.

Aus der Obhut des Vaters, eines Dompteurs und Impresarios der eigenen Tochter, war sie in die Hände eines saufenden, auf ihre Erfolge eifersüchtig herabblickenden Eigenbrödlers geraten. Robert pflegte seine Neurosen. Clara sorgte, so lange sie durfte, mit Tourneen für den Lebensunterhalt der Familie. Die beiden hatten zusammen acht Kinder.

Nicht gerade ein Siegfried-Typ war er. Mit Knollennase und Doppelkinn, das teerige Haar über die Ohren gestrichen, weicht er den Blicken des Betrachters auf alten Daguerreotypien aus. Vom brauseköpfigen Davidsbündler, der im Leipziger Coffee-Baum einen "Damm gegen die Mittelmäßigkeit" gründen wollte, ist nichts mehr da. Früh hatte Schumann durch Selbstheilungsversuche seinen Mittelfinger ruiniert und damit die eigene Pianistenkarriere ausgelöscht.

Große Interpreten schumannisieren kaum mehr. Seine Domäne, die Klaviermusik, wird noch immer von Altmeistern wie Kempff, Arrau und Richter beherrscht. Martha Argerichs klassische "Kreisleriana" stammt aus dem Jahr 1983, beim Klavierkonzert blieben Dinu Lipatti oder Clara Haskil unerreicht.

Anders als bei Beethoven oder Schubert scheint das Feld zementiert - auch deshalb, weil jeder Klaviertitan der Vergangenheit das Seine zu Schumann beigetragen hat. Nur bei Randwerken wie "Bunte Blätter" (Martin Stadtfeld, Sony), den "Beethoven- Variationen" (Ragna Schirmer, Berlin Classics) oder den "Geister-Variationen" (Michael Endres, Oehms) scheint Schumann bis in die Gegenwart vorzudringen. Auch die Schumann-Liederedition von Graham Johnson (Hyperion) kommt nicht recht voran. Lediglich Michaela Kaune zwitschert sich neuerdings hübsch durch "Frauenliebe und -leben".

Als Robert Schumann 1844 nicht Nachfolger Mendelssohns am Leipziger Gewandhaus wurde, verzogen sich Clara und er nach Dresden. Glückliche Anfänge in Düsseldorf mündeten 1852 in Rücktrittsforderungen.

Ein Problem blieben auch seine Orchesterwerke. In den letzten Jahren haben Daniel Barenboim, David Zinman und Roger Norrington alle vier Symphonien gewagt. Einzig John Eliot Gardiner fand mit einer sanft historisierenden Sichtweise einen originellen Blick. Wer jüngst Claudio Abbados Versuch mit "Manfred" in Berlin oder Aufführungen von "Das Paradies und die Peri" oder "Der Rose Pilgerfahrt" erlebte, für den verschärft sich das Problem. Achim Freyers suggestive "Genoveva" 1999 in Leipzig tat wenig für den Repertoirewert von Schumanns einziger Oper.

Es bleibt der Eindruck: Je größer, desto problematischer. So behielt Schumann seinen kommerziellen wie ideellen Platznachteil. Mit Kleinigkeiten wie der "Humoreske", dem Klavierquartett op. 47 oder Liedern läßt sich nun einmal nicht so viel Publikum verwöhnen und Geld verdienen wie mit Mozarts Opern oder Mahlers Sinfonien. Wir identifizieren uns mit Bachs Oratorien oder Wagners Opern lieber als mit Schuberts "Musensohn". Größe zählt. Durch Triumphe im Nanobereich der Musikgeschichte hat Schumann nach und nach eine Untergeher-Positition gefestigt. Untrennbar verbunden ist sie mit dem Drama seines in Wahn und Depression verdämmernden Lebens. Am Rosenmontag des Jahres 1854 verließ Schumann im geblümten Schlafrock unbemerkt das Haus.

Als man ihn aus dem Rhein fischte, blieb ihm nur: eine Privatheilanstalt in Endenich (bei Bonn). Clara durfte ihn nicht besuchen. Ob manisch-depressive Zustände mit seiner Syphilis zusammenhingen, die nach neuestem wissenschaftlichem Stand seine Todesursache war, konnte nicht mehr geklärt werden. Oft war er zornig und neigte zur Gewalt. Er starb allein. Clara überlebte ihn um fast 40 Jahre.

Das Leben Robert Schumanns ist ein toller Filmstoff. Ob freilich Herbert Grönemeyer der beste Schumann in "Frühlingssinfonie" (1982) war? Immerhin zeigen 3sat und Arte zu seinem Todestag viel. Darunter Hans Neuenfels' Klavieroper "Schumann, Schubert und der Schnee" und das von Hélène Grimaud erzählte Tripelportrait "Robert Schumann - Clara Wieck - Johannes Brahms".

Begleitend zu den Schumann-Ausstellungen in Bonn und Zwickau gewährt das "Blumenbuch für Robert 1854-1856" berührende Einblicke ins Familiendilemma. Martin Demmlers Schumann-Biographie "Ich hab im Traum geweinet" (Reclam Leipzig), die von Bernhard R. Appel beschriebenen Krankenakten "Robert Schumann in Endenich 1854-1856" (Schott), die sich im Besitz Aribert Reimanns fanden, und die psychiatrisch fundierte Lebensbeschreibung von Theo R. Payk (Bouvier) bereichern das biographische Wissen um ihn, ändern aber nichts daran, daß es musikalisch kümmerlich genug um Schumann steht.

Vielleicht war er der Welt einfach zu düster. Vielleicht war sein Fehler, daß er nicht nach Wien ging. Zum trudelnden Wesen eines romantischen Hans-guck-in-die-Luft scheint Schumanns flüchtiger Ruhm zu passen.

Schon seine Zeitgenossen bevorzugten anderes. Beethoven wurde verehrt, Chopin und Scarlatti geliebt. Schumann dagegen konkurrierte eher mit seichten Kleinmeistern wie Thalberg, Kalkbrenner und Henri Herz. Und doch gab es nie einen schöneren Ausdruck deutscher Kümmernisse als ihn.

In seiner der Welt abhanden kommenden Eingeschnapptheit und "lyrischen Faulenzerey" ist er uns lieb und wert. Robert Schumann: Das ist die weltabgewandte Seite der Deutschen.

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