Vom Leben, Leiden und Sterben in der Romantik.

Roland Schiffter:

Neue Pathografien zur romantischen Medizin.
180 S., zahlr. Abb. Broschur.
Würzburg: Verlag K¨onigshausen & Neumann GmbH, 2008
ISBN: 978-3-8260-3868-6



So verdienstvoll es auch ist, dass sich Roland Schiffter, Mediziner und Professor für Neurologie, der speziellen Problematik des „Leidens und Sterbens” im romantischen Zeitalter annimmt, dessen Medizin er als „vorwissenschaftlich und weitgehend hilflos gegen ernsthafte Krankheiten” bezeichnet, vergisst man doch nicht, dass gerade zu diesem Thema bereits unzählige, kontroverse und in Ansatz, Ergebnis sowie Qualität höchst divergierende Studien vorgelegt wurden. Schiffter benennt auch die wichtigsten dieser Ausführungen, hält aber eine erneute Auseinandersetzung für erforderlich.

Zumindest hinsichtlich der letzten, todbringenden Krankheit Schumanns glaubte man die Flut der Deutungen und Spekulationen mit Erscheinen des herausragenden, prämiierten Buches Robert Schumann in Endenich (1854-1856) im Jahre 2006 endlich eingedämmt. Der verdienstvolle Schumannforscher Bernhard R. Appel legte darin auf gut 600 Seiten umfassend und in wissenschaftlich unanfechtbarer Weise Schumanns Krankenakten aus der Endenicher Heilanstalt, Briefzeugnisse und zeitgenössische Berichte zum größten Teil in Erstveröffentlichung vor, die durch medizinhistorische Stellungnahmen von Fachleuten analysiert und ausgewertet werden. Nun also zwei Jahre später doch wieder eine Auseinandersetzung mit diesem Thema, die dem „Leiden des Robert Schumann” knapp 20 Seiten widmet und sich im übrigen mit „Karl Friedrich Schinkels Leben, Krankheit und Tod”, mit „Lebenslust, Krankheit und Tod der Christiane von Goethe”, mit Ernst Theodor Amadeus Hoffmann und Moritz Heinrich Romberg sowie dem „Lieben und Leiden des Heinrich Heine” befasst. Vorausgehend widmet der Autor sich der „Romantischen Medizin”, „dargestellt am Beispiel des alltäglichen Briefwechsels von Bettina und Achim von Arnim”.

Einführend liefert Schiffter einen Diskurs über die ebenso bedeutende wie auch zwiespältige Rolle, die Leiden und Sterben bei Theologen, Philosophen, Ärzten, Malern, Musikern, Dichtern und Denkern der Romantik spielte. Die Betrachtung dieser Phänomene fiel naturgemäß je nach Perspektive unterschiedlich aus, was bis hin zur Verklärung mit heiliger Aura und kosmischer Überhöhung führen konnte. Andererseits mussten auf Grund der unzulänglichen medizinischen Möglichkeiten „viele Menschen dieser Epoche schrecklich leiden und vorzeitig sterben”. Einige der solchermaßen geplagten Persönlichkeiten stellt Schiffter nachfolgend vor. Natürlich sollte nicht außer Acht gelassen werden, dass betroffene Künstler der Romantik jenes durchlebte Leiden in ihren Werken verarbeiteten. Dennoch erscheint es fragwürdig, diese gegenseitige Beeinflussung von Leben und Werk aus heutiger Sicht konkret nachweisen und aussagekräftige Rückschlüsse vom einen auf das andere ziehen zu wollen. Insbesondere bei Robert Schumann wurde gerade dies immer wieder versucht, ohne bemerkenswerte Erkenntnisse über seine Werke oder hinsichtlich seiner Krankheiten zu Tage zu fördern. Ist es demnach wirklich notwendig, dass Schiffter hier die Geschichte zum wiederholten Male aufrollt, wieder die erbliche (familiäre) Vorbelastung Schumanns durch psychische Störungen und Erkrankungen hervorholt, erneut den einzelnen, von Schumann schriftlich fixierten Launen, Befindlichkeiten und Symptomen nachgeht, Teile der Krankenakten und des Obduktionsprotokolls aus Endenich zitiert und zuletzt der „klinischen Diagnose” noch seine „Konklusion” hinzufügt?

Letztlich lässt sich die von Schiffter entschieden abgelehnte, von anderen Autoren aber immer noch vehement vetretene Diagnose einer zur progressiven Paralyse führenden syphilitischen Vorerkrankung Schumanns tatsächlich nicht eindeutig nachweisen. Doch ebensowenig kann man sie überzeugend ausschließen. Schiffter attestiert stattdessen eine Periodische Katatonie sowie (beides nicht neu) schwere Psychosen und Schizophrenie. Erfreulicherweise bemerkt er abschließend, dass „die überwiegende Meinung in der heutigen Musik-Literatur” dahin geht, dass „die psychiatrische Krankheit Robert Schumanns kompositorisches Schaffen offensichtlich nicht erkennbar negativ beeinflusst hat”. Trotzdem meint er aber, darauf hinweisen zu müssen, dass „Clara Schumann […] immerhin [!] bezüglich seiner letzten Werke durchaus Bedenken” hatte -- eine bekannte, aber heute längst nicht mehr beweiskräftige Tatsache, war doch selbst die Ehefrau des Komponisten nicht frei von zeitbedingten Vorurteilen.