Tonkunst - Schumann Ehetagebücher

Rezension aus „Die Tonkunst“, Juli 2008, Nr. 3, S. 391-393

Robert und Clara Schumann, Ehetagebücher,
hrsg. von Gerd Nauhaus und Ingrid Bodsch, Frankfurt a.M. und Basel 2007, StadtMuseum Bonn & Stroemfeld Verlag, ISBN 3-86600-002-2 / 978-3-86600-002-5; 332 Seiten, mit Personen- und Werkregister, Ortsregister, 38 Abbildungen, Preis: 16.00 €

Die Zeiten einer unangemessenen Heroisierung und Hypostasierung von Künstlerpersönlichkeiten ganz allgemein sollten vorüber sein. Lange genug haben Mythen, Anekdoten und Histörchen und nicht zuletzt auf diese sich gründende, seichte Filme den Zugang zu vielen Lieblingen des kulturbeflissenen Publikums verstellt. Nun könnten auch jene Zeiten endlich ihr Ende finden, in denen abgeschmackte Spekulationen über Leben und Eheleben des „Traumpaares“ Clara und Robert Schumann in höchst fragwürdigen Biographien herumgeistern und auflagenstark zu durchaus unrühmlicher Popularität avancierten. Die vorliegende – um es gleich vorweg zu sagen –, äußerst verdienstvolle und editorisch vorzügliche Publikation der Ehetagebücher von Clara und Robert Schumann ist der seriöse Kontrapunkt zu jener schrillen und reißerischen Melodie. Der mündige und interessierte Leser ist aufgefordert ad fontes (zu den Quellen) zu gehen, sich durch die Lektüre und – das freilich ist unabdingbare Voraussetzung – durch eigene Reflexion des Gelesenen, ein fundiertes, abgesichertes Wissen über Leben- und Lebensumstände der ersten Ehejahre von Clara und Robert Schumann anzueignen.

Warum führt man ein Tagebuch?
Die Gründe mögen vielfältig sein. Der Wunsch Erlebtes, Erlittenes, Erfahrenes und Erdachtes nicht der Furie des Vergessens anheim fallen zu lassen, sondern „fest zu halten“, auf Papier zu „bannen“ und in einem elementaren Akt der Formung sprachlich Gestalt zu verleihen, manchmal nur in Stichworten, gelegentlich aphoristisch gedrungen, dann aber auch eleviert und ausgebaut zur großen Lebensszene stellt ganz zweifellos ein bedeutendes causa movens für das Tagebuch-Schreiben dar. Ein zweiter Beweggrund, der auf die besondere geistig-psychische Konstitution des Menschseins verweist, ist die Selbstreflexion und auch – in deutlichem Unterschied zur Selbstbespiegelung – der Dialog mit sich selbst, in dem eigene und fremde Lebens- und auch Weltumstände diskutiert werden. So besteht eine wesentliche Funktion des Tagebuches auch darin vertrauter Gesprächs­partner über Inneres und Äußeres zu sein.

Alle skizzierten Aspekte, Details und Funktionen kann man in den Tagebüchern von Clara und Robert Schumann finden, die sie in jungen Jahren und bis zu ihrer Hochzeit – jeder für sich allein geführt haben (Claras Tagebuch wird in den ersten Jahren von ihrem Vater Friedrich Wieck geschrieben). Beide waren also zum Zeitpunkt ihrer Heirat in der Führung eines Diariums durchaus „geübt“. Beide setzen diese Praxis des „virtuellen“ Dialogs nun erweitert um das reale Gegenüber im Lebenspartner fort. Der Leser begleitet ein faszinierendes, von Robert Schumann auf den ersten Seiten in seinen Regeln umrissenes Experiment, hinter dem nicht mehr und nicht weniger als ein klar definierter Entwurf einer gemeinsam zu gestaltenden Zweisamkeit steht. Die Klarheit, mit der dies geschieht, auch zukünftige Schwierigkeiten im Dialog und Zusammenleben antizipierend, ist bezaubernd und bestürzend zugleich. Nicht mehr kann und soll an dieser Stelle dem potentiellen Leser verraten werden.

Sind Tagebücher im 19. Jahrhundert durchaus nicht selten überliefert, so bleibt doch das „Ehetagebuch“ eine eher singuläre Erscheinung. Erinnert sei, um wenigstens ein weiteres Beispiel zu nennen, an das 1997 von Peter Ward Jones herausgegebene Tagebuch der Hochzeitsreise von Cécile und Felix Mendelssohn, das ebenfalls von den jungen Eheleuten gemeinsam verfasst wurde.

Warum führt man ein Ehetagebuch?
Bezogen auf das Ehepaar Schumann könnte dieser Fragestellung immer noch eine eigene größere Untersuchung gewidmet werden. An dieser Stelle müssen einige Schlaglichter genügen. Zunächst – um an die einleitend dargelegten Aspekte anzuknüpfen – muss man sich die geradezu existenziell zu nennende Bedeutung des Schreibens für Robert Schumann vergegenwärtigen.

Beim Versuch, sich der Person Robert Schumanns zu nähern, sie zu verlebendigen, soweit das für uns Nachgeborene möglich ist, Charakteristisches auszuloten und sowohl die innere als auch die äußere Dynamik seines Handelns, zu ergründen, stößt man bald auf jene Eigenschaft ohne die der Mensch Schumann umfassend nicht gedacht werden kann: Schumann ist ein Schreibender. In seinen Musikkritiken wandte er sich nach außen an die musikalisch interessierte Welt. In seinen zahllosen Briefen kann man beobachten, wie er Stil und Ausdruck auf den jeweiligen Korrespondenzpartner abstimmt. Oft fand die Feder jene Worte, die sein Mund verschwieg, oder was Schumann aus Gründen, die in seiner Persönlichkeit lagen, hörbar auszusprechen nicht fähig war. Seine von Zeitgenossen und Weggefährten manchmal verwundert, manchmal auch als befremdlich beschriebene Schweigsamkeit ist also nicht zu verwechseln mit Sprachlosigkeit. Dies widerlegen sehr entschieden die zahllosen und umfangreichen Dokumente seiner virtuosen schriftlichen Eloquenz. Sie bilden die dem Wesen Schumanns gemäße, in den handschriftlichen Zeugnissen oftmals die Konnotation mit dem Schriftbild verschmelzende Form, sich mitzuteilen. Mit anderen Worten: Für Schumann ist das Ehetagebuch – auch – ein Instrument des Dialoges mit seiner neun Jahre jüngeren Ehefrau.

Wie liest man Tagebücher? Man lese sie mit Respekt! Denn in den allermeisten Fällen – so auch im vorliegenden Fall – sind sie wohl nicht für den Marktplatz geschrieben, gehören sie eigentlich nur dem Autor, der Autorin.
Wie sollte man nun gar Ehetagebücher lesen? Die Antwort könnte befremden, denn die zu bezeichnende Haltung mag in einer oftmals voyeuristischen Öffentlichkeit als unzeitgemäß angesehen werden. Gleichwohl muss sie nach Ansicht des Rezensenten gegeben werden. Man lese sie mit Behutsamkeit und Pietät.

Die Ehetagebücher stellen ein menschliches und historisches Dokument ersten Ranges dar. Wir nehmen teil am Denken, Fühlen und Handeln zweier junger Menschen, die im Begriff sind, sich ihr gemeinsames Leben zu gestalten. Wir erfahren wer im Hause Schumann ein- und ausgeht und werden Zeugen der geführten Gespräche. Zahllose Dichter, Künstler, Musiker und Gelehrte zählen zu den Gästen (Das mit Lebensdaten und kurzen Kommentaren versehene Personen- und Werkregister umfasst nahezu 60 Seiten). Wir begleiten das Paar auf Konzertreisen innerhalb der deutschen Lande und vor allem auch auf die große Reise nach Russland, die Claras Ruhm als international gefeierte Pianistin in Europa festigt und ausbaut. Wir nehmen Anteil an der Entstehung von Kompositionen, nehmen in vielen Fällen mit Staunen wahr, mit welcher Rasanz sie entstehen (z.B. die 1. Sinfonie in nur vier Tagen) und erfahren von Schumanns Freude über die Fertigstellung einer Komposition – übrigens allen diesbezüglich kolportierten Vorurteilen zum Trotz: auch der Kompositionen von Clara –, die nicht selten dazu Anlass gibt eine Flasche Champagner zu öffnen. Diese kleine Auswahl an inhaltlichen Aspekten mag als erster Einblick genügen.

Die beiden Herausgeber, Ingrid Bodsch als Direktorin des Stadtmuseums Bonn und natürlich vor allem Gerd Nauhaus, der erfahrene Schumannforscher und ehemalige Direktor des Schumann-Archivs in Zwickau, sind Garanten für einen makellosen, ungekürzten Text, der im Wesentlichen auf der wissenschaftlich–kritischen Ausgabe der – auch die Ehetagebücher umfassenden – Tagebücher Robert Schumanns beruht, die von Gerd Nauhaus im Jahre 1987 herausgegeben wurde.

Die Texte werden bereichert und veranschaulicht durch 38 Abbildungen, die überwiegend aus den Archiven des Schumann-Museums Zwickau und dem Stadt Museum Bonn stammen und neben Bildern von den Eheleuten, ihren Freunden und Bekannten u.a. auch einige wichtige handschriftliche Dokumente umfassen, an Hand derer sich der Leser einmal selbst in der Entzifferung der Schumannschen Handschrift erproben kann, die wohl mit Fug und Recht zu den philologischen Königsdisziplinen zählt. Darüber hinaus erschließen nicht weniger als 230 Anmerkungen des Herausgebers zahlreiche Details und Zusammenhänge.
Erfreulich stabil und solide ist die Aufmachung der gebundenen Ausgabe in gelumbeckter Form, die auch nach längerem Lesen Freude an diesem Buch gewährleistet. So ist diesem Buch eine weite Verbreitung unter Musikliebhabern und Kennern zu wünschen, die sich sozusagen an der Quelle über Ereignisse und Lebensumstände im Hause Schumann informieren möchten.

Bodo Bischoff