Tendenzen der Schumann-Forschung

Gerd Nauhaus


Der Beginn einer eigenständigen Schumann-Forschung ist – will man nicht auf Artikel in zeitgenössischen Journalen und Nachschlagewerken zurückgreifen – mit dem Erscheinen von W. J. v. Wasielewskis Schumann-Biographie (1858) zu datieren. Es erscheint übertrieben
(wie das Joachim Draheim einmal pointiert-ironisch getan hat), auf dieses Buch und seinen Verfasser das bekannte Bonmot Oscar Wildes anzuwenden, wonach die Biographie eines Großen immer der Judas unter seinen Jüngern schreibt. Was nämlich die Faktizität von Wasielewskis Darstellung anlangt, so muß man seinen Fleiß, seine Findigkeit und Akribie hervorheben, die den Blick in sein Buch auch heute noch unentbehrlich machen, ohne dass man es freilich – bequemlichkeitshalber, wie das Dieter Schnebel tat – als alleinige biographische Quelle benutzen darf. Denn es gibt natürlich hier, wie überall, Fehlurteile und Verzerrungen im Detail, die in einer von Brahms und Clara Schumann (die den Biographen nicht mit Material unterstützt hatte) lebhaft gebilligten Rezension von Hermann Deiters bereits kurz nach Erscheinen des Buches aufgelistet wurden. Die von Wasielewski getroffenen musikalischen Urteile sind ohnehin relativ häufig anfechtbar, was uns insofern Wunder nimmt, als er ja – wie auch aus seinem späteren Buch Schumanniana und seinen Lebenserinnerungen Aus siebzig Jahren hervorgeht – über mehrere Jahre den persönlichen Umgang des Komponisten genoß und zu dessen bevorzugten musikalischen Interpreten zählte. Positiv zu werten ist jedoch unbedingt der Dokumenten- und Briefanhang, den Wasielewski darbot und der wiederum häufig persönlichen Kontakten zu den noch lebenden Zeitzeugen entsprang.
In zwei weiteren Auflagen (1869, 1880) hat der Autor seine Darstellung ergänzt und verbessert , während die heute meist benutzte und 1995 im Reprint zugänglich gemachte
4. Auflage (1906) von Wasielewskis Sohn Waldemar, einem Naturwissenschaftler und Goethe-Herausgeber, besorgt wurde.

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