Tendenzen der Schumann-Forschung

Gerd Nauhaus


Der Beginn einer eigenständigen Schumann-Forschung ist – will man nicht auf Artikel in zeitgenössischen Journalen und Nachschlagewerken zurückgreifen – mit dem Erscheinen von W. J. v. Wasielewskis Schumann-Biographie (1858) zu datieren. Es erscheint übertrieben (wie das Joachim Draheim einmal pointiert-ironisch getan hat), auf dieses Buch und seinen Verfasser das bekannte Bonmot Oscar Wildes anzuwenden, wonach die Biographie eines Großen immer der Judas unter seinen Jüngern schreibt. Was nämlich die Faktizität von Wasielewskis Darstellung anlangt, so muß man seinen Fleiß, seine Findigkeit und Akribie hervorheben, die den Blick in sein Buch auch heute noch unentbehrlich machen, ohne dass man es freilich – bequemlichkeitshalber, wie das Dieter Schnebel tat – als alleinige biographische Quelle benutzen darf. Denn es gibt natürlich hier, wie überall, Fehlurteile und Verzerrungen im Detail, die in einer von Brahms und Clara Schumann (die den Biographen nicht mit Material unterstützt hatte) lebhaft gebilligten Rezension von Hermann Deiters bereits kurz nach Erscheinen des Buches aufgelistet wurden. Die von Wasielewski getroffenen musikalischen Urteile sind ohnehin relativ häufig anfechtbar, was uns insofern Wunder nimmt, als er ja – wie auch aus seinem späteren Buch Schumanniana und seinen Lebenserinnerungen Aus siebzig Jahren hervorgeht – über mehrere Jahre den persönlichen Umgang des Komponisten genoß und zu dessen bevorzugten musikalischen Interpreten zählte. Positiv zu werten ist jedoch unbedingt der Dokumenten- und Briefanhang, den Wasielewski darbot und der wiederum häufig persönlichen Kontakten zu den noch lebenden Zeitzeugen entsprang. In zwei weiteren Auflagen (1869, 1880) hat der Autor seine Darstellung ergänzt und verbessert , während die heute meist benutzte und 1995 im Reprint zugänglich gemachte 4. Auflage (1906) von Wasielewskis Sohn Waldemar, einem Naturwissenschaftler und Goethe-Herausgeber, besorgt wurde.

Gegenüber der Arbeit Wasielewskis bieten die zeitlich folgenden, knapper angelegten Schumann-Biographien von August Reißmann, Philipp Spitta und Heinrich Reimann (von kürzer gehaltenen Werken wie denen von Richard Batka , Ernst Wolff oder Hermann v. d. Pfordten abgesehen) nur wenig neue Fakten, hingegen aber leicht variierte Aspekte der Werkbetrachtung. Erst Hermann Aberts souverän entworfene Darstellung (1903) bezeichnete einen neuen Standard der Schumann-Biographik, die sich in den Arbeiten von Walter Dahms, Ernst Bücken, Werner Korte, Karl H. Wörner sowie Paula und Walter Rehberg bis nach dem II. Weltkrieg fortsetzte. In die Phalanx der biographisch orientierten Werke reihte sich jedoch mit dem Werk Die Davidsbündler von F. Gustav Jansen (1883) eine Detailstudie über einen begrenzten Lebensabschnitt, nämlich die „Sturm- und Drangperiode“ Schumanns, ein, die sich auf höchstem Forscherniveau bewegt und in weitere Arbeiten desselben Verfassers einmündete.

Es handelte sich dabei um vorwiegend, d. h. in ihrem Hauptinhalt, dokumentarisch angelegte Veröffentlichungen, nämlich Editionen von Originalquellen, denen freilich wertvolle und detaillierte Einschätzungen sowie reichster Anmerkungsstoff beigegeben sind. Das trifft bereits für die Davidsbündler zu, in denen Jansen neben einer gründlichen Überblicksdarstellung der behandelten Lebensphase, einigen „Davidsbündleraufsätzen“ und wertvollen „Portrait-Skizzen aus Schumann’s Freundeskreise“ wiederum knapp 60 bis dahin ungedruckte Briefe darbot. Dieses Material erweiterte er mit dem Ziel der Vollständigkeit in seinen beiden großen Editionen der Briefe und Schriften Schumanns, denen bis heute exemplarischer Wert zukommt und die für lange Zeit eine wesentliche Basis der Schumann-Forschung bilden sollten.

Im Mai 1885 hatte Clara Schumann mit Unterstützung des Freundes Heinrich v. Herzogenberg die von ihr gesammelten Briefe ihres Mannes durchgesehen und eine Auswahl für eine Druckausgabe getroffen, die lediglich „Jugendbriefe“ an Schumanns Mutter, einige Freunde und Clara sowie weitere Auszüge aus Brautbriefen an letztere enthalten und auch so betitelt werden sollte. Die im Herbst desselben Jahres erschienene, in ihrer Wirkung sehr erfolgreiche Ausgabe entschlug sich jeglichen editorischen Beiwerks außer einem Vorwort, verzichtete also auf Erläuterungen und enthielt zahlreiche Kürzungen. Bemerkenswert ist allerdings, dass Clara auch im Konzept überlieferte Briefe aufnahm, von denen nicht klar war, ob sie ihren Empfänger erreicht hatten. An diese Edition knüpfte F. Gustav Jansen geschickt an, indem er seine 1886 in 1. Auflage erschienene Briefsammlung „Briefe. Neue Folge“ benannte, obwohl sie einen völlig anderen Charakter und Anspruch repräsentierte (das Personenregister erstreckt sich auf beide Ausgaben). Wie der schon in den Davidsbündlern enthaltene, hier übernommene Bestand wurden die Briefe sorgfältig kommentiert, wenn auch nicht selten ebenfalls gekürzt dargeboten. Die 2. Auflage von 1904 ist wesentlich ergänzt, an anderer Stelle aber auch geringfügig reduziert.

Ein Jahr darauf erschien, quasi in Konkurrenz zu Jansens Ausgabe, die von Hermann Erler nach etwas anderen Prinzipien, aber ebenfalls mit großer Akribie vorbereitete zweibändige Dokumentarausgabe Robert Schumann’s Leben. Aus seinen Briefen geschildert, die Überschneidungen, vorwiegend aber Ergänzungen an Material und Erläuterungen brachte und die wie jene von Jansen häufig auf Zeitzeugenberichten beruhten. Erlers Arbeit ist bis heute unverzichtbar , ebenso wie die beiden Auflagen von Jansens Werk, gibt es doch, trotz hoffnungsvoller Ansätze, beklagenswerter Weise noch immer keine „moderne“, halbwegs umfassende Schumann-Briefausgabe, sieht man von der durch Daniel V. Zitomirskij in russischer Sprache vorgelegten (2 Bde., 1971, 1982) ab. Hingegen existieren zahlreiche, gern benutzte Auswahlausgaben wie z. B. Der junge Schumann. Dichtungen und Briefe (Hg. Alfred Schumann, 1910), die jedoch wissenschaftlichem Anspruch nicht genügen. Letzterer wird noch zu überprüfen sein an der von Eva Weissweiler vorgelegten Kritischen Ausgabe des Braut- und Ehebriefwechsels zwischen Clara und Robert Schumann, deren bisher 3 Bände (1984, 1987, 2001) noch jedes philologische Hilfsmittel vermissen lassen, während die amerikanische Version wenigstens über Personenregister verfügt. Immerhin ersetzt die Edition die in den Veröffentlichungen W. Boettichers (s. u.) in unverantwortlicher Weise verstümmelte Darbietung dieses Quellenbestands.

Bereits zu Schumanns Lebzeiten (1854) erschien, von ihm selbst ausgewählt, redigiert und zum Druck befördert, als Gesammelte Schriften über Musik und Musiker ein repräsentativer Querschnitt durch sein musikliterarisches Œuvre, der etwa die Hälfte des von ihm früher Veröffentlichten enthielt. Weitere Auflagen erschienen, geringfügig ergänzt, 1871 und 1875; ein Reprint der Erstausgabe liegt seit 1985 vor. Erst 1891 konnte F. Gustav Jansen dann eine völlig neu gestaltete Edition der Schriften („4. Auflage“) vorlegen, die auf Vollständigkeit (d. h. Wiedereingliederung der von Schumann ausgeschiedenen Stücke) und strikt chronologische Abfolge angelegt und umfänglich kommentiert wurde. Auf ihr fußt Martin Kreisigs bis heute maßgebliche „5. Auflage“, in die ein Großteil von Jansens Kommentaren übernommen, seine Ordnungsprinzipien aber zugunsten einer separaten Darbietung von Erstausgabe und sog. „Nachträgen“ wieder aufgegeben wurden. Auch hier stellt eine wissenschaftlich-kritische Ausgabe ein dringendes Desiderat heutiger Schumann-Forschung dar. Am Rande erwähnt sei, dass die von Jansen und Kreisig vorgelegten Editionen auch erstmalig weitere, nicht musikalisch geprägte literarische Äußerungen vor allem des jungen Schumann wie Gedichte und Schulaufsätze enthalten.

Betrachtet man im Rückblick die biographischen Arbeiten über Schumann, so kann an einem Werk nicht vorbeigegangen werden, das zwar explizit seiner Lebenspartnerin Clara gewidmet ist, dennoch aber auf weite Strecken zugleich eine Biographie Robert Schumanns von bemerkenswertem Rang darstellt: Berthold Litzmanns Clara Schumann. Ein Künstlerleben nach Tagebüchern und Briefen, erschienen in 3 Bänden 1902–1908, mehrfach wiederaufgelegt und seit 1971 im Reprint greifbar. Zwar erscheint die im Titel genannte dokumentarische Grundlage eingeschränkt durch Vorauswahl der Schumann-Tochter Marie (die beim 1927 gleichfalls durch Litzmann edierten Schumann-Brahms-Briefwechsel als „Auftraggeberin“ fungierte) und ist der Tenor der Darstellung zeitbedingt apologetisch, doch repräsentieren die beiden ersten Bände des Werkes als materialreiche, literarisch geformte Doppelbiographie eine Leistung, wie sie auf dem Felde der Schumann-Biographik bisher unerreicht blieb. Dass „der Litzmann“ infolge der häufig unchronologischen Darstellung und fehlender Registerangaben (z. B. zu den zahlreichen erwähnten Kompositionen) nicht immer ganz leicht zu benutzen ist, schmälert nicht seinen Wert.

Auf einem Felde der Schumann-Forschung, das in jüngster Zeit zu einem besonderen Schwerpunkt avanciert ist, wurden im späten 19. Jahrhundert und unter der Ägide Clara Schumanns zumindest die Grundsteine gelegt: Gemeint ist die Editionsphilologie, der die „alte“, 1878–1883 sowie 1891/93 erschienene Schumann-Gesamtausgabe entsprang, ohne dass man dies an den repräsentativen Bänden im Detail nachvollziehen könnte, existiert doch kein Kritischer Bericht und besitzen wir nur indirekte, meist briefliche Zeugnisse über editorische Prinzipien und Entscheidungen sowie selbst über die Person der einzelnen Bandherausgeber, unter denen Johannes Brahms eine Schlüsselstellung einnahm. Clara Schumann selbst hat sich jedenfalls an den Arbeiten zur Gesamtausgabe, deren Titel das bekannte Rietschelsche Doppelporträt zeigt, de facto kaum beteiligt, veröffentlichte allerdings im Anschluß an die Ausgabe, wie das auch heute üblich ist, „praktische“ Versionen der Klavierwerke (Instructive Ausgabe) und Lieder „nach den Handschriften und persönlicher Überlieferung“, womit sie für sich die oberste Autorität der Schumann-Tradition in Anspruch nahm.

In Litzmanns großer Clara-Schumann-Biographie fanden sich neben Auszügen aus den Tagebüchern Clara Schumanns auch solche aus den gemeinsam geführten „Ehetagebüchern“ der Jahre 1840–1844 und gelegentlich, jedoch sehr sparsam herangezogen, einzelne Tagebuchäußerungen Robert Schumanns. Bis weit ins 20. Jahrhundert sollte es jedoch dauern, bis auch diese umfangreichen und wertvollen Lebenszeugnisse in breiterem Umfang an die Öffentlichkeit gelangten. Aus den erwähnten Ehetagebüchern – die deutsche Ausgabe erscheint 2006 – hat die jüngste Schumann-Tochter Eugenie in dem 1931 erschienenen „Lebensbild“ ihres Vaters (an den die 1851 Geborene kaum persönliche Erinnerungen bewahrte) längere Auszüge dargeboten. Die von ihrer Schwester Marie bereits 1921 dem Zwickauer Schumann-Archiv anvertrauten sonstigen Tagebücher und Reisenotizen sowie die seit 1936 in der Berliner Staatsbibliothek befindlichen sog. Haushaltbücher Schumanns wurden – so wie zahlreiche weitere autobiographische Dokumente – vor allem in den Arbeiten W. Boettichers (RS. Einführung in Leben und Werk, 1941 und RS in seinen Schriften und Briefe, 1942) (teil)veröffentlicht und zitiert, allerdings mit so horrenden Lesefehlern, sinnentstellenden Auslassungen und Umstellungen sowie irreführenden Kommentaren, dass sie letztlich nicht ohne zeitraubende Nachprüfung im Einzelfalle benutzbar waren. Das trifft für die von Boetticher herangezogenen Briefe und sonstigen Aufzeichnungen sinngemäß ebenfalls zu. Darüber hinaus sind die von ihm erstellten Verzeichnisse z. B. der Schumann-Korrespondenz oder noch unveröffentlichter Materialien in der Regel unzuverlässig. Was zeitweise als Fortschritt der Schumann-Forschung aufgefaßt werden konnte, erwies sich also letztlich als ihr wesentlicher Hemmschuh. (Der „Fall Boetticher“ wird noch zu erörtern sein.)

Eine wissenschaftlich-kritische Ausgabe namentlich der Tagebücher war ebenso unerläßlich wie schwierig herzustellen. Während Georg Eismann (1899–1968) eher für eine auszugsweise Darbietung – wie in seinem zweibändigen Quellenwerk praktiziert – eintrat, setzte sich beim damaligen Deutschen Verlag für Musik in Leipzig die Einsicht durch, dass nur die vollständige, ungekürzte und wissenschaftlich kommentierte Publikation die zeitgemäße editorische Präsentationsform sein konnte. Damit verwirklichte man unter den mehr als schwierigen DDR-Bedingungen (wo es zwar eine Zensur, doch immerhin noch funktionierende Verlagslektorate gab) und im Vor-Computerzeitalter wenigstens einen Teil der in den 1950er Jahren unter gesamtdeutschem Aspekt ins Auge gefaßten neuen Schumann-Gesamtausgabe, lange bevor an die Neuherausgabe der musikalischen Werke auch nur gedacht werden konnte. Eismann bereitete den Band I mit den Jugendtagbüchern und frühen Reisenotizen vor, verstarb jedoch vor dessen Erscheinen (1971), so dass Martin Schoppe (1936–1998) und der Referent, verlagsseitig unterstützt von Renate Bormann(-Hofmann), die Endredaktion übernahmen. Langwierig gestalteten sich die Arbeiten für Band II und III, ersterer die übrigen Tagebücher einschließlich der Ehetagebücher, letzterer die Haushaltbücher umfassend, die in umgekehrter Reihenfolge 1982 und 1987 unter der Herausgeberschaft von Gerd Nauhaus (* 1942) erschienen. Dass damit erstmals ein solider Standard für die Dokumenten-Edition und zugleich eine verläßliche Arbeitsgrundlage der weiteren biographischen und werkgeschichtlichen Forschung geschaffen war, ist heute allgemein anerkannt.

Kehren wir noch einmal zu W. Boetticher (1916–2002) zurück, so ist festzustellen, dass auf ihn das erwähnte Oscar-Wilde-Zitat ohne weiteres anwendbar wäre. Damit sollen guter Wille und immenser Fleiß, die sich in seinen Schumann-Veröffentlichungen (einschließlich der 3 Bände „Quellenstudien“ zu den Klavierwerken, deren letzter postum erschien, und seiner Edition des frühen Klavierquartetts c-Moll) manifestieren, nicht negiert werden, doch sind die Ergebnisse qualitativ wahrhaft niederschmetternd, und ein Rezensent, der von einem „umgestürzten Zettelkasten“ sprach, hat den Nagel auf den Kopf getroffen: Die philologische Unzuverlässigkeit durchweg aller Schumann-Arbeiten Boettichers ist eklatant. In seiner voluminösen Einführung (1941/2004 wieder aufgelegt!) wird darüber hinaus ein verblasenes philosophisch-ästhetisches Konzept mit unverkennbaren ideologischen Einflüssen der NS-Zeit verfolgt. – Seine aktive Tätigkeit für den „Einsatzstab Rosenberg“ während des II. Weltkriegs, die er noch in postum erschienenen Memoiren ohne Unrechtsbewußtsein zu verschleiern suchte, steht auf einem anderen Blatt; ebenso, dass er bis ins hohe Alter ungehindert lehrend tätig sein konnte.

Ungefähr gleichzeitig mit dem Abschluß der Tagebücher-Gesamtausgabe liefen die vorbereitenden Arbeiten für eine neue Gesamtausgabe der musikalischen Werke (RSA) an. Sie wurden von Bernhard R. Appel (* 1950) geleistet, den man neben K. W. Niemöller und A. Mayeda als eigentlichen spiritus rector des ganzen umfänglichen und ambitionierten Projekts ansprechen muss, dessen Eröffnungsbände, die Missa sacra op. 147 und das Requiem op. 148 enthaltend, er vorlegen und damit hohe Maßstäbe für den Fortgang der Edition setzen konnte. Zur wichtigen Voraussetzung und Grundlage der Editionsarbeit wurden dabei neben der Tagebücher-Edition die Arbeiten einiger amerikanischer Forscher, von denen besonders Linda Correll Roesner (Studies in Schumann manuscripts) und Jon W. Finson (RS and the Study of Orchestral Composition) genannt seien. Es steht außer Frage, dass nach der von den Mitarbeitern des Robert-Schumann-Hauses Zwickau geleisteten wissenschaftlichen Aufarbeitung der bedeutsamsten biographischen Quellen nunmehr die Schumann-Gesamtausgabe mit ihren Arbeitsstellen in Düsseldorf und Zwickau die heutige Schumann-Forschung weitgehend bestimmt und eine Vielzahl ergänzender Arbeiten nach sich zog, ohne dass das Feld damit voll und ganz ausgeschritten wäre. Vielmehr existiert und entfaltet sich nach wie vor auch die biographische und werkhistorische Detailforschung, wenngleich die Zeit des „großen Überblicks“ seit den – ihrerseits ganz unterschiedlich intendierten und strukturierten – Arbeiten von Arnfried Edler (1982, Neuausgabe 2005), Akio Mayeda (1992) und dem tragisch ums Leben gekommenen John Daverio (1997) erst einmal vorbei zu sein scheint.

Arnfried Edlers Buch war und ist die bemerkenswerteste Erscheinung der monographischen Schumann-Forschung im letzten Drittel des 20. Jahrhunderts, und man könnte lediglich bedauern, dass es keine landläufige Biographie ist (da die Fakten nur in einer Zeittafel abgehandelt werden), enthielte es nicht eine solche Fülle an scharfsinnigen und zutreffenden Einschätzungen, böte es nicht eine so kluge Gesamtschau auf das Phänomen „Schumann und seine Zeit“. (So war es nur folgerichtig, dass der Autor auch den Schumann-Artikel für die neue MGG zu schreiben übernahm. ) Akio Mayedas in langem Anlauf gereifte Darstellung von Schumanns Sinfonieschaffen stellt dagegen die umfassendste Monographie eines der wichtigsten, lange unterschätzten Schaffensgebiete des Komponisten dar, und John Daverios bisher leider nicht ins Deutsche übersetzte Biographie spricht, wenn nicht das letzte, so doch ein entscheidendes Wort auf dem lange unterbelichteten Feld der Schumann-Biographik, auf dem zuvor die populär gehaltene, dokumentarisch gestützte, aber im Detail oftmals anfechtbare Biographie der Rehbergs den letzten größeren Versuch dargestellt hatte.

Aber ist nicht die Überschau über das kompositorische Schaffen ebenfalls lange vernachlässigt worden? Vor Arnfried Edlers Buch gab es zwar eine Fülle von wertvollen Detailstudien, angefangen von den Arbeiten Viktor Ernst Wolfs (Lieder), Wolfgang Gertlers (Klavierwerke) und Werner Schwarz’ (Variationen) bis hin zu denen Bernhard R. Appels (Humoreske, Jugendalbum), Hans Kohlhases (Kammermusik), Kazuko Ozawas (Chamisso-Lieder), Ulrich Mahlerts (spätes Liedschaffen), Gerhard Dietels (spätes Klavierschaffen), Reinhold Brinkmanns (RS und Eichendorff) und mancher anderer, doch vollzog sich die zusammenfassende Werkbetrachtung und -analyse mehr in verkürzter, populärwissenschaftlicher Form (z. B. Günther Spies, Reclams Musikführer RS). Dem ist nun dauerhaft abgeholfen durch das umfangreiche Kompendium Robert Schumann. Interpretationen seiner Werke (Hg. Helmut Loos, Laaber 2005).

Die ersten Beispiele solcher Sammelwerke boten in mehr summarischer, nicht auf Vollständigkeit angelegter Gliederung die „Symposionsbände“ von Gerald Abraham (1951), RS. Aus Anlaß seines 100. Todestages (1956) von H.-J. Moser und Eberhard Rebling und Alan Walkers RS. The Man and His Music (1972), denen die Bände RS. Universalgeist der Romantik (1982) von Julius Alf/Josef A. Kruse und Schumann and His World (1994) von R. Larry Todd anzureihen wären. Dagegen bieten die seit 1961 und 1966 vorgelegten Sammelbände der (Zwickauer) Robert-Schumann-Gesellschaft eine mehr zufällige Folge von Einzelstudien, was sich in den 1976–1987 erschienenen Tagungsberichten wissenschaftlicher Konferenzen in Zwickau und in den bisher 8 Bänden Schumann-Studien (1988–2006) trotz gelegentlich verfolgter General-Thematik ebenso fortsetzte wie in den Düsseldorfer Schumann-Forschungen (8 Bde., 1984–2004). Während letztere auch umfangreiche Einzelstudien wie die von Claudia de Vries und Olga Lossewa inkorporierten, erschienen solche in Zwickau als Sonderbände (bisher 4). Unter derselben Bezeichnung erschienen 1981/82 zwei Bände in der von H.-K. Metzger und R. Riehn herausgegebenen Reihe Musik-Konzepte, in denen sich grundlegende Aufsätze der Vergangenheit (Abert, Gülke) zu vorwiegend von jüngeren Forschern geleisteten Aufarbeitungen bestimmter Detailfragen und -gebiete gesellten. Der literarische Bezug des Schumannschen Schaffens wurde dabei breit ausgewertet; ästhetische Fragen spielten eine Schlüsselrolle. In jüngster Zeit erschien ein weiterer Sammelband mit breit gefächertem Themenspektrum als Festschrift für den Referenten (Schumanniana nova, 2002). Neben den Sammelwerken finden sich aber auch, verstreut an verschiedensten Orten, zahlreiche solide Einzelstudien, nicht zuletzt zum Komplex “Schumann und ...“, d. h. zu relevanten biographischen und musikalischen Bezügen, von denen besonders akribisch angelegte Renate Federhofer-Königs (vorwiegend zu Wiener Persönlichkeiten wie A. J. Becher, C. Debrois van Bruyck u. a.) zu danken sind, die zudem den Schumann-Biographen Wasielewski “im Spiegel seiner Korrespondenz“ (1975) darstellte. Neuerdings hat Wolfgang Seibold eine umfassende Aufarbeitung des zuvor stiefmütterlich behandelten Themas Schumann und Liszt (Diss. Karlsruhe 2005) geleistet.

Die schier unübersehbare Fülle von – nicht immer in Buchform zugänglichen – Graduierungsarbeiten zur Schumann-Forschung gipfelte 1984 in zwei sehr unterschiedlich gearteten Dissertationen von Reinhard Kapp (Studien zum Spätwerk RSs) und Michael Struck (Die umstrittenen späten Instrumentalwerke Schumanns), womit der bis dahin gelegentlich versuchte, aber nicht auf breiter Front angestrebte Durchbruch zu neuer Beleuchtung und Bewertung der bis dahin fast durchweg vom Odium der Krankheit überschatteten „späten“ Kompositionen Schumanns gelang. Auch wenn sich die in akribischer Detailforschung erarbeiteten neuen Kriterien zur biographischen Einordnung wie zur stilanalytischen Einschätzung dieser Werke nur zögernd durchsetzten, konnte man von da an nicht mehr zu deren früher üblicher pauschaler Abwertung zurückkehren. Das schlug sich allmählich auch in häufigeren Aufführungen und Tonaufnahmen der zuvor weithin vernachlässigten Kompositionen nieder, und in der Programmatik der 1956 begründeten, seit 1963 in Zwickau etablierten Internationalen Robert-Schumann-Wettbewerbe (2004: 14. Wettbewerb) begannen die einschlägigen Klavier- und Gesangswerke mehr und mehr ihre Rolle zu spielen, was man als praktischen Erfolg der Schumann-Forschung werten kann. Die grundlegende Wichtigkeit der beiden genannten Arbeiten ist daher jener des Buches von Edler (das ebenfalls eine differenziertere Betrachtung des Schumannschen Spätwerks einschließt) anzureihen.

Mit der Spätwerk-Problematik im Zusammenhang steht die Literatur über Schumanns Krankheit, die mit den Veröffentlichungen seines Arztes Franz Richarz beginnt und zeitweise labyrinthische Formen angenommen hat. Es geht nicht an, sie zum Komplex der Schumann-Forschung zu rechnen, weil sie in der Durchdringung des biographisch-dokumentarischen Materials in der Regel ebenso große Defizite aufzuweisen hat wie im Grundverständnis für die Persönlichkeit eines außerordentlichen Menschen und Künstlers. Eine Ausnahme macht hier das Buch des Psychiaters, Musiktherapeuten und Musikers Peter F. Ostwald (Schumann. The Inner Voices of a Musical Genius, 1985), das zwar in der Deutung biographischer Zusammenhänge nicht frei von psychoanalytischen und künstlerischen Kurzschlüssen ist, in der sehr diskreten Diagnostik jedoch weit über alle bisherigen Versuche hinaus überzeugt. Die Darstellung F. H. Frankens (Krankheiten großer Musiker) wirkt demgegenüber verkürzt und prädisponiert, während die Dissertation von C. Engel (Göttingen 1995) wenigstens eine knappe Zusammenfassung des medizinischen Forschungsstands bietet. Die einzig erfolgversprechende Möglichkeit, sich der Krankheits-Problematik verantwortlich zu nähern, bietet die seit langem fällige Dokumentation sämtlicher verfügbarer – medizinischer wie biographischer – Quellen, nachdem endlich bestimmte Restriktionen beim Umgang mit der 1994 wieder aufgetauchten Endenicher Krankenakte weggefallen sind. Sie wird von Bernhard R. Appel für das Jubiläumsjahr 2006 vorbereitet, womit der Anschluß dieses Sondergebiets an die Schumann-Forschung erreicht werden dürfte.

Bereits kurz angesprochen wurde die Publikation literarischer Arbeiten Schumanns in den Jansen- und Kreisig-Ausgaben der Gesammelten Schriften. Erstmals vollständig veröffentlichte G. Eismann die in Moskau 1844 entstandenen Gedichte, die dann in Tagebücher II in kritischer Ausgabe erschienen. Ein Teil der Jugendlyrik fand Aufnahme in die (ungedruckte) Leipziger Diplomarbeit von Corina Wenke, das Hauptkorpus (Allerley aus der Feder Roberts an der Mulde) enthält in wissenschaftlicher Aufarbeitung die Dissertation von Aigi Heero (Schumann-Studien, Sonderband 3, 2003). In Vorbereitung befindet sich eine Edition der größtenteils ungedruckten Schulaufsätze und Gedichte aus der Primanerzeit 1826–1828 (Prosa und Poësie, Schumann-Studien Sonderband 5, Hg. U. Tadday/G. Nauhaus). Theoretisch setzten sich mit diesem Komplex Josef A. Kruse, Frauke M. Otto (RS als Jean-Paul-Leser, 1984) und M. Schoppe auseinander. Mit den ausgedehnten literarischen Kenntnissen und Beziehungen des Komponisten befaßten sich grundsätzlich eine Ausstellung (RS und die Dichter, 1991; Katalog von Bernhard R. Appel und Inge Hermstrüwer) und die Edition der sog. Mottosammlung (1998) von Leander Hotaki, der z. Z. die Schumannsche Anthologie Dichtergarten für Musik zur Publikation vorbereitet.

Läßt sich die heutige Forschung zu Schumann als vorwiegend international geprägt (mit Schwerpunkt in Deutschland und den angelsächsischen Ländern) charakterisieren, so war das im 19. und frühen 20. Jahrhundert, ja noch bis in die Zeit nach 1945 hinein nicht der Fall. Vorwiegend in England und Frankreich, später auch in Italien, den Niederlanden und einigen osteuropäischen Ländern einschließlich Rußlands, entwickelte sich auch eine eigenständige Biographik und Dokumenten-Edition. Waren es in England die Arbeiten von J. H. Fuller-Maitland und F. Niecks, zu denen die Briefedition des Erstgenannten, die Edition der Schriften Schumanns von F. R. Ritter tritt, so taten sich in Frankreich vor allem M. Brion und A. Boucourechliev mit teils auch ins Deutsche übersetzten Biographien hervor (die 1956 erschienene Rowohlt-Monographie von Boucourechliev wurde erst 1995 durch die von Barbara Meier ersetzt!) und erschien 1967 sogar eine (Teil-)Ausgabe der Ehetagebücher (Journal Intime, hg. von Y. Hucher). In den USA erschien 1945 die Biographie von Robert Haven Schauffler, gefolgt von hervorragenden Einzelstudien wie der von L. Plantinga (Schumann as Critic, 1967) oder Rufus M. Hallmark (The Genesis of ‚Dichterliebe’, 19..). Am intensivsten wurde in Rußland durch den schon erwähnten D. Zitomirskij, der trotz aller politischen Limitationen den Kontakt zur ost- und westdeutschen Forschung pflegte, zu Schumann geforscht und publiziert: Er veröffentlichte neben einer Biographie (deren geplante 2. Auflage er nicht mehr vollenden konnte) einen Dokumentenband zur Rußlandreise der Schumanns, die bereits genannte umfassende Brief-Ausgabe sowie eine ebenso sorgfältige Ausgabe der Gesammelten Schriften. Seine Arbeit wird fortgeführt von Olga Lossewa, die neben einem russischsprachigen Erinnerungsband (Vospominanija o Roberte Sumane, 2000) eine neue umfassende Dokumentation jener Rußlandreise (Schumann-Forschungen 8, 2004) vorlegen konnte. In den Niederlanden veröffentlichten J. de Hartog eine materialreiche Biographie und J. H. Sikemeier biographische Ergänzungen. In Polen, Tschechien, Ungarn und Bulgarien erschienen kürzere biographische Darstellungen, ebenso in China und Japan (Kenkichi Wakabayashi), wobei der bedeutendste japanische Schumann-Forscher, Akio Mayeda, seit langem in Europa ansässig ist.

Kehren wir noch einmal zur editorischen Arbeit an Schumanns Kompositionen zurück, so kann an der vierbändigen, später durch weitere Einzelausgaben ergänzten Urtext-Auswahlausgabe (Henle) der Klavierwerke durch W. Boetticher nicht vorüber gegangen werden. Dank ihrer vorzüglichen Lektorierung durch Ernst Herttrich weist sie nicht dieselben gravierenden Mängel auf wie bspw. die Erstausgabe des Klavierquartetts c-Moll (Heinrichshofen), die jüngst Joachim Draheim einer vernichtenden Kritik unterzog. Deshalb ist es folgerichtig, dass neuerdings sukzessiv die Boetticher- durch Herttrich-Ausgaben ersetzt werden. Mit J. Draheim ist der fleißigste, produktivste, umsichtigste und findigste Schumann-Editor außerhalb der RSA (zu der er gleichwohl, gemeinsam mit B. R. Appel, den gewichtigen Band Vierhändige Klavierwerke beisteuerte) benannt, dem eine Reihe erstrangiger Entdeckungen wie die der Violinfassung des Cellokonzerts gelang, der das Spektrum der Detailforschung in zahlreichen Beiträgen bereichert und darüber hinaus Ausgaben nahezu aller Klavierwerke (als Revisionen der Clara-Schumann-Ausgabe), wesentlicher Kammermusik- und Orchesterwerke einschließlich der Sinfonien (ergänzt durch Jon W. Finsons Erstausgabe der d-Moll-Sinfonie in ursprünglicher Fassung ) für die musikalische Praxis vorgelegt hat. Auch dem kompositorischen Schaffen Clara Schumanns widmete er (wie auch Janina Klassen und G. Nauhaus, der mehrere Erstausgaben vorlegte) seine editorischen Bemühungen, so dass dieses erstmals seit dem späten 19. Jahrhundert in annähernder Vollständigkeit vorliegt.

In Parenthese sei hier kurz auf das Clara-Schumann-Schrifttum der letzten Jahrzehnte eingegangen, das sich nach Litzmanns Arbeit fast nur auf dem populären bzw. belletristischen Felde (Höcker, Quednau) bewegte. Hier haben die angelsächsischen Länder, später z. T. ausgehend von der Frauenbewegung (Pamela Susskind), bahnbrechend gewirkt: Bereits 1912 hatte die Clara-Schülerin Florence May ihr Buch The Girlhood of CS veröffentlicht, 1940 erschien von John N. Burk eine in Europa unbekannt gebliebene umfängliche biographische Darstellung (CS. A Romantic Biography) , der 1983 und 1984 die Biographien von Joan Chissell (CS. A Dedicated Spirit) und Nancy B. Reich (CS. The Artist and the Woman) folgten, von denen die letztere auch in deutscher Fassung (CS. Romantik als Schicksal) weite Verbreitung fand. B. Borchards soziologisch orientierte Dissertation (1983) und ihre Dokumentarbiographie (1991) ergänzten das Spektrum. Die erste Monographie über die Komponistin Clara Schumann legte Janina Klassen (1990) vor; es folgten eine Reihe Brief- und Dokumentenbände, und in Vorbereitung ist die vollständige, kommentierte Ausgabe der Jugendtagebücher (Nancy B. Reich, G. Nauhaus). Seit dem Jubiläum (100. Todestag) von 1996 mehren sich auch die Aufführungen und Tonaufnahmen der Werke Clara Schumanns.

Während für andere Komponisten wie Mozart, Bach, Beethoven, schließlich auch Brahms seit längerer oder kürzerer Zeit thematisch-bibliographische Werkverzeichnisse vorlagen, gestaltete sich die Erarbeitung eines solchen für Schumann außerordentlich schwierig. Der Komponist selbst war sich durchaus dessen bewußt, wie wünschenswert eine derartige Publikation sei, und begleitete die ersten (Teil-)Verzeichnisse mit Rat und Tat, sofern er sie nicht selbst anregte. Das schließlich vom Hamburger Verlag Schuberth publizierte und in mehreren Auflagen stets ergänzte Werkverzeichnis behielt bis ins 20. Jahrhundert seine Bedeutung, da ihm nichts Gleichwertiges an die Seite trat, und wurde letztmalig 1982 durch Kurt Hofmann (der zuvor sein wichtiges Verzeichnis der Schumann-Erstdrucke als bibliographisches Kompendium publiziert hatte) und Sigmar Keil vorgelegt. 1966 hatte sich Georg Eismann um eine Auflistung der Autographen-Standorte bemüht, wobei sich in der Folge als besondere Crux der Verweis auf die bis 1945 in Zwickau-Weißenborn, dann in Bayern situierte wichtige Privatsammlung Wiede erwies, da diese in den 1970er Jahren teils dokumentiert, teils „unter der Hand“ in den Handel gelangte (ein wesentlicher Restbestand wird heute meist mit „Süddeutscher Privatbesitz“ umschrieben). Zwar konnte dank konzertierter Aktionen ein hoher Prozentsatz der zum Verkauf stehenden Handschriften in öffentliche Sammlungen (Heinrich-Heine-Institut Düsseldorf und UB Bonn) überführt werden, doch kamen Einzelstücke auch erneut in Privatbesitz, wo sie nicht in jedem Falle der Forschung zugänglich blieben. Unabhängig davon ist festzustellen, dass sich die Autographen-Standorte bei Schumann seit jeher, besonders aber nach dem und z. T. infolge des II. Weltkrieg(s) als extrem weit verstreut darstell(t)en. Ein eklatantes Beispiel ist die kriegsbedingte Auslagerung von Beständen der ehem. Preußischen Staatsbibliothek Berlin nach Schlesien, von wo sie in die Universitätsbibliothek (Biblioteka Jagiello´nska) Krakau/Polen gelangten, jahrzehntelang nicht zugänglich waren und heute – ungeachtet erfreulich freier Forschungsmöglichkeiten – Gegenstand zäher zwischenstaatlicher Restitutionsverhandlungen sind. Ein weiteres, positiveres Beispiel der “Verlagerung“ ist der Verkauf des Autographs von Schumanns C-Dur-Sinfonie (ehem. Besitz des Verlags Breitkopf & Härtel) in europäischen, dann amerikanischen Privatbesitz und seine Deponierung in der Pierpont Morgan Library New York. Abgesehen davon sind selbst die hauptsächlichsten gegenwärtigen Standorte (Berlin, Düsseldorf, Bonn, Zwickau, Dresden, Wien, Paris, London, New York und Washington) breit gestreut, von dem teils “zerstückelten“ Zustand einzelner Autographen und ebensolchen Besitzverhältnissen ganz abgesehen.

Das verdeutlicht die extreme Schwierigkeit der Erstellung eines Werkverzeichnisses nach modernen wissenschaftlichen Kriterien, doch wurde andererseits durch die intensive Forschungsarbeit im Vorfeld der Neuen Schumann-Gesamtausgabe schon ein Großteil unverzichtbarer Informationen zusammengetragen. Dies bedeutete einen Glücksfall für die Bearbeiterin des Verzeichnisses, die kanadische Forscherin Margit L. McCorkle, die zuvor bei der Vorlage des gemeinsam mit ihrem Gatten Donald McCorkle begonnenen, von ihr zuende geführten Brahms-Verzeichnisses reiche Erfahrungen sammeln konnte. Unter Mitarbeit von Akio Mayeda und mit Unterstützung der Schumann-Forschungsstelle Düsseldorf und des Robert-Schumann-Hauses Zwickau legte sie nach mehrjähriger akribischer Vorarbeit 2003 ein mehr als 1000-seitiges Kompendium vor, das zugleich in die RSA eingegliedert wurde. Es kann mit Fug und Recht als die wesentlichste Forschungsleistung des beginnenden 21. Jahrhunderts gewertet werden und stellt den Fortgang der Gesamtausgabe zugleich auf eine noch festere Basis.

Unmittelbar vor Beginn des neuen Jahrhunderts wurde auch ein wichtiger Durchbruch auf einem anderen, wenn man will am Rande der Schumann-Forschung angesiedelten Sektor erzielt, nämlich dem der Ikonographie. Der Pianist und Musikforscher Ernst Burger, der nach selbst erarbeitetem Konzept bereits zwei ähnlich geartete Werke über Chopin und Liszt publiziert hatte, veröffentlichte 1999 unter Mitarbeit von Gerd Nauhaus und mit Unterstützung das Zwickauer Robert-Schumann-Hauses seine Schumann-Lebenschronik “in Bildern und Dokumenten“. Mit immensem Fleiß und ebensolcher Findigkeit spürte er nahezu alle wesentlichen Bildzeugnisse zum Leben Robert Schumanns einschließlich eines Großteils von Noten- und Briefautographen auf und montierte sie mit detaillierten Kommentaren seinem ausgeklügelten Layout ein, wobei es ihm nicht in erster Linie um einen “Bildband“ ging, wie ihn Georg Eismann 1956 und 1964 in unterschiedlichen Auflagen dargeboten hatte. Vielmehr strebte Burger ein übergreifendes Konzept an, das die Dokumentation in Bild und Wort einschloß, wozu er sowohl Originaldokumente als auch erläuternde Essays (einige davon vom Referenten beigesteuert) treten ließ. Hervorgehoben zu werden verdient, dass die weltweit einmaligen Bild- und Dokumentenbestände des Robert-Schumann-Hauses Zwickau den wesentlichen Grundstock des in hoher Druckqualität erschienenen Bandes bildeten, der wie das Werkverzeichnis der Schumann-Gesamtausgabe eingegliedert wurde. Es sei noch erwähnt, dass die durch Burger umfassend vorangetriebene Sammlung der Bildzeugnisse einen Vorläufer auf dem Gebiet der zeitgenössischen Porträts (über die Georg Eismann 1961 einen ersten Überblick unternommen hatte) in Gestalt einer umfänglichen Ausstellung aufwies, die 1994 in Düsseldorf, Bonn, Leipzig und Zwickau (Katalog: Bernhard R. Appel, Inge Hermstrüwer und Gerd Nauhaus, unter Mitarbeit von Ute Bär) präsentiert wurde, wobei auch die an Anzahl wesentlich umfangreicheren Clara-Schumann-Porträts in Teilen einbezogen waren.

(Es mag an dieser Stelle gestattet sein, die Würdigung einiger der wesentlichsten hier erwähnten Forschungsleistungen der letzten Jahre und Jahrzehnte durch die Auszeichnung der Forscher mit dem seit 1964 an verdiente Künstler und Wissenschaftler verliehenen Robert-Schumann-Preis der Stadt Zwickau zu erwähnen; ihn erhielten Bernhard R. Appel, Ernst Burger, Joan Chissell, Linda Correll Roesner, Georg Eismann†, Joachim Draheim, Olga Lossewa, Gerd Nauhaus, Nancy B. Reich und Martin Schoppe†.)

War die Editionsarbeit der seit 1992 im Gange befindlichen Neuen Schumann-Gesamtausgabe bereits als wesentlichster Zweig heutiger Schumann-Forschung bezeichnet worden, so erweist sich diese These allein schon anhand des Umfangs und des wissenschaftlichen Tiefgangs dieses von der Union der deutschen Akademien der Wissenschaften durch die Mainzer Akademie aus Bundes- und Ländermitteln (Nordrhein-Westfalen und Sachsen) geförderten Langzeitprojekts als zutreffend. Ohne die bereits erschienenen Bände im einzelnen würdigen zu können, kann festgestellt werden, dass sie die Fülle und Vielfalt des Schumannschen Gesamtschaffens bereits jetzt ansatzweise repräsentieren: die Kirchenmusik durch Messe und Requiem (B. R. Appel), die Sinfonik durch die Es-Dur-Sinfonie (Linda C. Roesner) und Ouvertüre, Scherzo und Finale (Sonja Gerlach), die Konzerte durch das Klavierkonzert (B. R. Appel), die Klaviermusik durch den Band mit 4-händigen Werken (J. Draheim/B. R. Appel), die instrumentale Kammermusik durch die Violinsonaten (Ute Bär), die vokale durch die Liederspiele (Th. Synofzik), die Chormusik durch die Frauenchöre (I. Knechtges-Obrecht), das kompositorische Frühwerk durch den 150. Psalm (M. Wendt) und, damit kombiniert, die Chorsinfonik durch die Motette op. 93 (B. Kohntz/M. Wendt). Dass die gemeinhin als Hauptschaffensgebiete aufgefaßte solistische Klaviermusik und das Liedschaffen bisher noch nicht in der Edition präsent sind, hat seine Ursache im projektierten Beginn mit den “späten“, interpretatorisch und rezeptiv vor allem aufzuarbeitenden Kompositionen, doch werden auch hier demnächst erste Editionen folgen. Einige zusätzliche und wertvolle “Beigaben“ wie das Werkverzeichnis und die Burgersche Bild-Text-Dokumentation wurden bereits genannt; Erwähnung finden sollten jedoch auch reine Textausgaben wie die der literarischen Vorlagen zum Vokalwerk (H. Schanze/K. Schulte) oder der Studien zur Kontrapunktlehre (H. Federhofer/G. Nauhaus). Dass in das Konzept der Einzelbände jeweils eine umfassende Darbietung der verbalen Primär- und Sekundärzeugnisse eingebunden ist, versteht sich von selbst – so birgt der Textteil der Bände geradezu Monographien zu den jeweiligen Werken, in die auch die explizite Darbietung der einschlägigen Schumann- und der Gegenbriefe sowie charakteristischer Zeugnisse der Werkrezeption einbezogen ist. Dies nimmt zwar teilweise eine künftige Schumann-Briefedition vorweg – die wir als wichtiges Forschungs-Desiderat charakterisiert hatten und die bisher leider über in Zwickau geleistete Vorarbeiten besonders zum Verlegerbriefwechsel nicht hinaus gelangte –, kann einer solchen aber auch als Muster- und Experimentierfeld, was editorische Entscheidungen betrifft, dienen.

Wird also der Fortgang der Gesamtausgabe in ihren verschiedenen Zweigen und Aspekten auch die künftige Schumann-Forschung stark beeinflussen, so kann sich diese jedoch nicht allein daran Genüge tun. Die Zukunft – und warum sollten nicht die Schumann-Jubiläumsjahre 2006 und 2010, aber auch die Zeit dazwischen und danach Impulse in dieser Richtung geben? – sollte eine neue umfassende Schumann-Biographie ebenso hervorbringen wie neue Dokumenten- und Briefausgaben sowie weitere Detailstudien auf allen Gebieten einschließlich der Ästhetik, der bisher nicht besonders kräftig entwickelten Rezeptionsforschung , der Bibliographie und der (in jüngster Zeit durch H. Moßburger [Poetische Harmonik in der Musik RS.s, 2005] bereicherten) Musiktheorie. Und wenn man abschließend noch ein weiteres Desiderat erwähnen darf, so ist es der Wunsch nach mehr qualitätvollen Faksimilia von Werkmanuskripten, die ja keineswegs nur ästhetischen Bedürfnissen Rechnung tragen, sondern (wie Bernhard R. Appel mit seiner Faksimileausgabe des Klavierkonzerts gezeigt hat) „neue Bahnen“ der Werkanalyse eröffnen.

Aller Forschung über und zu Schumann aber – davon bin ich überzeugt – fehlte das Zentrum, wenn sie nicht der immer neuen Auseinandersetzung mit seiner Musik, ihrer vertieften Kenntnis, ihrer authentischen Interpretation, der Aufdeckung ihrer Wurzeln in der Entstehungszeit sowie ihrer Wirkung in der Gegenwart diente.


Gekürzte und bearbeitete Veröffentlichung in Vorbereitung in: Schumann-Handbuch, hg. von Ulrich Tadday, Stuttgart/Weimar: J. B. Metzler (erscheint 2006).

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