Stavanger Symphony Orchestra / de Vriend: Schumann-Sinfonien 1 & 2, Rezension von Christoph Vratz für das Schumannportal

Schumann: Sinfonien Nr. 1 & 2; Sinfonien Nr. 3 & 4
Stavanger Symphony Orchestra, Jan Willem de Vriend
Challenge. Vol. 1: CC79258, Vol. 2: CC72959 (2 CD s)

Drängende Ruhelosigkeit

Der Dirigent Jan Willem de Vriend war rund drei Jahrzehnte lang Konzertmeister und künstlerischer Leiter des Combattimento Consort in Amsterdam. Inzwischen ist er als Dirigent tätig und vornehmlich ein Mann der Zyklen. Mit dem Netherlands Symphony Orchestra hat er die sinfonischen Werke von Beethoven und Mendelssohn diskographisch erschlossen, mit dem Residentie Orkest The Hague hat er einen bemerkenswerten Schubert-Zyklus realisiert, jetzt liegen die vier Sinfonien von Robert Schumann in zwei Einzelfolgen mit dem Stavanger Symphony Orchestra vor.
Seinen bereits bei den anderen genannten Projekten gewählten Ansatz greift de Vriend auch hier auf, indem er das Orchester nach historisch informierten Grundsätzen spielen lässt, vor allem mit einem sehr sparsamen Vibrato, was sich beispielsweise signifikant im Larghetto der ersten Schumann-Sinfonie zeigt. De Vriend zeigt, dass ihm alle Verharmlosung fremd ist. Ein Dahinplätschern gibt es nicht. So verrät gerade dieses Larghetto immer auch eine gewisse, sozusagen subkutane Nervosität. Von Gelassenheit sui generis kann und soll hier nicht die Rede sein. Insofern erscheint das folgende Scherzo nicht als Gegensatz, sondern als zwangsläufige Fortsetzung.
Das Moment des Vorwärtsdrängens ist eine Konstante de Vriends, nicht nur bei diesem Schumann-Zyklus. Ein solcher Ansatz kann nur funktionieren, wenn der Klang entsprechend klar aufgefächert ist – und das gelingt dem Niederländer, ob am Ende der ersten Sinfonie oder gegen Ende des Kopfsatzes in der Zweiten, wo Bläser und Streicher zu spannenden Dialogen zusammenfinden. Im „Adagio espressivo“ der C-Dur-Sinfonie tritt eine gut hörbar eine kammermusikalische Komponente hinzu. Die einzelnen Instrumente oder Gruppen hören genau aufeinander, formen ineinander übergehende melodische Abschnitte und mischen sich zu markanten harmonischen Verbindungen.
Die zweite Folge des Zyklus schließt unmittelbar da an, wo die erste aufgehört hat. Auch in der dritten und vierten Sinfonie staffelt de Vriend den Klang genau, so dass sich hier wie dort Momente ergeben, die ungewohnt neuartig klingen. Die schlichte Bezeichnung „Lebhaft“ zu Beginn der „Rheinischen“ lässt in dieser Interpretation keine Zweifel aufkommen. Das flüssige, aber keineswegs rasende Tempo erlaubt immer wieder Seitenblicke: mal eine Streicherkantilene, mal einen beredten Kommentar der Holzbläser. Dass de Vriend nicht ausschließlich den Weg einer drängenden Ruhelosigkeit verfolgt, beweist er im Scherzo, dessen Vorgabe „Sehr mäßig“ hier in sich stimmig umgesetzt wird. So ergibt sich im weiteren Verlauf des Satzes gleichermaßen etwas Tänzerisches wie Irrlichterndes, bevor dann die Hörner eine andere Farbe herbeiführen.
Die Gelassenheit, die im langsamen Satz der „Frühlingssinfonie“ (bewusst) gefehlt haben mag, wird in der Dritten nun eingelöst und wirkt von daher wie das Ergebnis eines intensiven kompositorischen Weges. Hier entsteht eine lyrische Selbstverständlichkeit, die in Schuberts Klangsprache sicher einen Wahlverwandten haben könnte. Die signalhaften Motive zu Beginn des Finalsatzes klingen klar und präzise, die kurzen dynamischen Steigerungen gelingen ohne den Anschein von zu viel Innendruck. Gleiches gilt auch für den Übergang von der langsamen Einleitung zum schnellen Abschnitt im ersten Satz der Vierten. Gerade dieses „Lebhaft“ zeigt, wie rasch für de Vriend in dieser Musik Momente von Spannung und Entspannung einander abwechseln. Ob energischer Einsatz der Pauke oder entschlossene Impulse der Blechbläser – es sind Momente, in denen alles Spitz auf Knopf geschieht.
In der Romanze erleben wir, dass Schumann in seinen Sinfonien mitunter wie ein Komponist schreibt, der den Charakter von Fantasie- oder Nachtstücken in ein sinfonisches Gewand kleidet. Auch hier ergeben sich, etwa wenn die Violine ihr figuratives Solo spielt und jeweils andere Instrumente sich mit ihr verbinden, immer wieder spannende Dialoge. Das Finale ist ein stimmiger Abschluss eines in sich stimmigen Schumann-Zyklus.
Jan Willem de Vriend verfolgt seinen gewählten Ansatz konsequent und das Stavanger Symphony Orchestra ist bereit, ihm darin jederzeit zu folgen. Ob Feierliches, Andächtiges, Rasantes oder Intimes, ob gut organisiertes Tutti oder kammermusikalische Verkleinerung, diese Art des Musizierens führt zu einem kohärenten Ergebnis.

Christoph Vratz (November 2024)

Summary

Jan Willem de Vriend and the Stavanger Symphony Orchestra have recorded Robert Schumann's four symphonies in two separately released instalments. The result is marked by its inner coherence: a well-structured sound that provides new insights in some passages, an often propulsive gesture that is contrasted by all the more convincing composure in individual, carefully chosen moments. The individual instruments or orchestral groups listen attentively to one another, forming melodic sections that flow into each other and blending into striking harmonic combinations. It is not only in the Romance of the Fourth Symphony that we encounter Schumann as a composer who, in his symphonies, clads the character of fantasies or nocturnes in a symphonic guise.
(Translation of the summary in English: Daniel Höhr)