Schumanns Intermezzi bei G. Henle

Vorwort

Die Bezeichnung „Intermezzo“ für eine eigenständige Komposition ist eine typische Neuprägung des 19. Jahrhunderts, verwandt mit den vielen anderen Neubenennungen wie „Impromptu“, „Moment musical“, „Nocturne“, „Rhapsodie“ usw. Der Name scheint tatsächlich erstmals bei Schumann aufzutauchen und wurde später auch von Brahms (in den Klavierstücken op. 76, 116 und 118), von Reger (6 Intermezzi op. 45) und anderen aufgenommen. In der alten Bedeutung eines „Zwischenspiels“ verwendete Schumann die Bezeichnung „Intermezzo“ auch noch im Faschingsschwank aus Wien op. 26 und für den langsamen Satz des Klavierkonzerts op. 54.

Über den Anlass zur Entstehung von Schumanns Intermezzi op. 4 ist nichts bekannt. Frühe Skizzen dazu finden sich im so genannten Studienbuch III (Universitätsbibliothek Bonn), das wohl in die Jahre 1828 bis 1831/32 zu datieren ist. Neben vielen Einzelfragmenten sind darin hauptsächlich Studien zu den Abegg-Variationen op. 1, den Papillons op. 2, den Paganini-Bearbeitungen op. 3 und 10, der Klaviersonate op. 11 und den später als op. 124 veröffentlichten Albumblättern enthalten. Die Skizzen zu op. 4 sind auf fünf verschiedenen Seiten notiert und betreffen die Stücke Nr. 1, 4 und 5. Die Nummer 4 ist dabei noch als Papillon bezeichnet, eine Benennung, die auch später noch einmal im Zusammenhang mit den Intermezzi auftaucht. An anderer Stelle im Studienbuch III findet sich dagegen der folgende Titelentwurf: Pieces fantastiques pour le Pianoforte par Rob. Schumann.
1. A maj. D maj. [= Nr. 1] / 2. D moll B maj [= Nr. 5] / 3. C maj. E min. [?].

Das von Schumann als Leipziger Lebensbuch betitelte Tagebuch für die Jahre 1831 (ab 13. Oktober) bis 1838 (28. November), das von Georg Eismann herausgegeben wurde, enthält zahlreiche Anmerkungen zu den Intermezzi op. 4. Sie beginnen mit einer Eintragung vom 29. Januar 1832: „Von jeden der Intermezzi steht das Bild lebend in mir; an kleinen Strichen fehlt’s nur noch. Das war eine schöne Woche; rein, fromm, nüchtern u. belebt.“ Die „kleinen Striche“ nahmen dann aber doch fast die ganze erste Jahreshälfte 1832 in Anspruch. Erst im Mai finden sich wieder Bemerkungen, die sich auf die Intermezzi beziehen. Am 14. Mai heißt es: „Aprilwetter am ganzen Tag – bis 3 Uhr spatzieren aber ohne Genuß – auch in den Fingern war Gewitterluft. Schöne Correcturen am 4ten Alternativo [gemeint ist offenbar das Zwischenstück im Intermezzo Nr. 6]“, am 19. Mai: „Am Clavier viel Ideen, aber ohne Combinationsfähigkeit.

– Die Intermezzi sollen etwas werden – jede Note soll in die Waage gelegt werden.“ Am 10. Juni wird wieder „eine glükliche Veränderung am Alternativo“, diesmal zum ersten Intermezzo, vorgenommen, am 22. Juni ist erstmals von einem „pudelnärrischen Intermezzo“ die Rede, das ihn Tag und Nacht verfolge. Gemeint ist damit wohl Nr. 3. Das Stück beschäftigte Schumann offenbar auch noch während einer kurzen Reise nach Dresden, denn nach seiner Rückkehr am 4. Juli schreibt er ins Tagebuch: „Während der ganzen Zeit war ich wenig zu Worten aufgelegt. Das ‚pudelnärrische‘ Intermezzo ist im Grunde ein Schrei aus tiefstem Herzen. Mit der Stellung der einzelnen bin ich noch nicht im Reinen.  Gedanken hatte ich manche.“
Auch mit dem Intermezzo Nr. 5 scheint er sich in dieser Zeit noch einmal intensiv beschäftigt zu haben, offenbar in besonders guter Stimmung, wie aus dem folgenden Eintrag vom 13. Juli hervorgeht: „Mein glüklich Leben u. Selbstgefühl hat wenig Worte – Ich fühle eine Regung in mir, die vielleicht die Tugend ist. Aber mein ganzes Herz steht in dir, liebes fünftes Intermezzo, das mit so unsäglicher Liebe geboren ward. Wie fügte sich gestern Alles!“ Am 22. Juli schließlich war die Arbeit abgeschlossen und Schumann hielt im Tagebuch fest: „Intermezzi … durchaus fertig gebracht, abgeändert u. an Hecker [Kopist, Leipzig] abgegeben.“
In enger Nachbarschaft zu den Intermezzi tauchen im Tagebuch auch immer wieder Bemerkungen zu zwei Themen auf, die für Schumanns künftige Entwicklung eine große Rolle spielten und die beide bereits im Zusammenhang mit den zitierten Tagebuchnotizen anklangen.

Einerseits die immer stärker fortschreitende Lähmung des zweiten und vor allem dritten Fingers seiner rechten Hand, die auch der Grund für die erwähnte Reise nach Dresden war und die schließlich seine pianistischen Fähigkeiten stark einschränkte, und andererseits die immer intensivere Beschäftigung mit Bach im Besonderen und kontrapunktischen Studien im Allgemeinen: „Sind die Intermezzi’s fertig,“ heißt es am 15. Mai, „so wird Marpurg wieder vorgenommen [wohl die Abhandlung von der Fuge] u. der doppelte Contrapunct bey Dorn beendigt.“ Wie aus einer Eintragung vom 22. Juni hervorgeht, sollte das Opus ursprünglich sogar mit einer Doppelfuge enden. Stilistisch haben Schumanns kontrapunktische Studien dieser Zeit vor allem in den Nummern 1 und 5 der Intermezzi ihren Niederschlag gefunden.

Auffallend sind auch die zahlreichen in den Intermezzi enthaltenen Zitate aus eigenen oder fremden Werken, in Nr. 6 zum Beispiel die Erinnerung an das ABEGG-Thema und an Paganinis La Campanella, in Nr. 2 das Zitat von Gretchens Klage „Meine Ruh’ ist hin“ aus Goethes Faust, dazu Übernahmen aus Jugendwerken, die zu seinen Lebzeiten unveröffentlicht blieben, so in Nr. 4 aus dem Lied Der Hirtenknabe von 1828 (McCorkle Schumann Werkverzeichnis Anh. M2 Nr. 9) und aus dem Klavierquartett in c-moll von 1829 (Mc- Corkle Anh. E1). Noch vor dem endgültigen Abschluss der Arbeiten an dem neuen Opus begann Schumann bereits, sich um einen Verleger zu bemühen. So bat er seinen Lehrer Friedrich Wieck bereits am 3. Juni 1832, sich bei dem Leipziger Verleger Hofmeister für ihn und die Intermezzi einzusetzen; als Honorar verlangte er einen Louisdor. Am 17. Dezember schickte er schließlich die Stichvorlage an den Verlag und schrieb dazu: „Nehmen Sie denn die Intermezzi in Gunst auf … Ich habe noch sorgsam gefeilt und gelichtet, hoffe mir damit auch mehr den Dank des Künstlers, als des Publikums zu erwerben.“ Bis zur Veröffentlichung des neuen Werkes dauerte es dann aber noch ein dreiviertel Jahr. Erst im Juli 1833 erhielt Schumann erste Korrekturfahnen. Erschienen sind die Intermezzi dann wohl im September 1833. Trotz des nicht allzu großen Umfangs und obwohl zwischen Nr. 3 und 4 ein attacca-Anschluss vorgesehen ist, wurden sie in zwei Hefte, Part I (Nr. 1– 3) und Part II (Nr. 4–6), aufgeteilt. Gewidmet sind sie Johannes Wenzeslaus Kalliwoda (1801–1866, Komponist und Violinvirtuose).

Auf dem Titelblatt des Autographs ist allerdings noch Clara Wieck als Widmungsempfängerin genannt, außerdem ist als Opuszahl noch die Ziffer „III“ angegeben. Widmung und Opuszahl wurden auf Schumanns Wunsch vom Verlag geändert. Die Kritik nahm die Intermezzi recht unterschiedlich auf. War die Besprechung im ALLGEMEINEN MUSIKALISCHEN ANZEIGER eher wohlwollend, so meinte Rellstab in der Zeitschrift IRIS, Schumann befinde sich „auf einem völligen Irrwege“ und versuche lediglich, „originell durch Seltsamkeit zu seyn“. Einer Eintragung vom 20. Februar 1838 ins Tagebuch könnte man entnehmen, dass auch Schumann selbst dem Werk später ablehnend gegenüber stand; es heißt dort: „Knorr [Leipziger Pianist und Klavierlehrer] u. Intermezzi – hu – gräulich – Spieler u. Composition.“ Es ist jedoch nicht ganz klar, ob er mit „Intermezzi“ wirklich sein eigenes Opus 4 meinte oder nicht doch ein anderes Werk (Knorrs?) mit gleichem Titel. Dass Schumann freilich seinen ersten veröffentlichten Werken bereits nach wenigen Jahren sehr kritisch gegenüberstand, geht aus vielen Tagebuch- und Briefstellen hervor. Genauere Angaben zu den Quellen und zur Edition finden sich in den Bemerkungen am Ende des Bandes. Zeichen, die in den Quellen fehlen, aber musikalisch notwendig oder durch Analogie begründet sind, wurden in Klammern gesetzt. Kursive Fingersätze stammen aus dem Erstdruck. –
Allen Bibliotheken, die Quellenkopien zur Verfügung gestellt haben, sei herzlich gedankt.

Remagen, Herbst 2006 Ernst Herttrich

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