Schumann-Journal 7/2018
Vgl. S. 324 ff. in Schumann-Journal 7/2018:
SchumannJournal2018.pdf [Download gesamtes Heft]
Neue Schumanniana / New Schumanniana
CDs, DVDs*
Ausgewählt/selected von/by
Irmgard Knechtges-Obrecht & Ingrid Bodsch
(English translations by Florian Obrecht (F. O.) or Thomas Henninger (Th. H.))
Auszug aus dem PDF:
Schumann
Symphonies 1-4 . Overture to Manfred
London Symphony Orchestra
Yondani Butt, conductor
2 Audio CDs
Nimbus Records, Wyastone Estate Ltd.
Erscheinungsdatum/released: 7.7.2017
So erfreulich es zweifellos ist, dass Schumanns Sinfonien mittlerweile in unzähligen Einspielungen vorliegen, wobei der Umfang jedes Jahr noch durch Neuerscheinungen erweitert wird, so sehr fragt sich der Rezipient aber inzwischen manchmal auch, ob sich da für ihn wirklich jedes Mal noch neue Klangerlebnisse, Erfahrungen, Höreindrücke ergeben, und ob er überhaupt in der Lage sein wird, die Unterschiede zwischen den einzelnen Interpretationen zu bemerken. So hört man jede neu auf dem Markt erscheinende Einspielung mit durchaus kritischer Erwartungshaltung.
Das renommierte London Symphony Orchestra legt nun ein Doppelalbum mit Schumanns Sinfonien vor und stellt ihnen die Manfred-Ouverture op. 115 zur Seite. Das wird häufig so gemacht, weil es einfach gut passt. Nicht nur aus musikalischer Sicht, sondern wohl auch, weil man die zur Verfügung stehende Gesamtdauer einer CD ausnutzen möchte. Die Aufnahmen erfolgten bereits 2011 bzw. 2012 in den berühmten Abbey Road Studios in London und wurden zunächst einzeln veröffentlicht. Warum sie jetzt neu und im Doppelpack auf den Markt kommen, wird an keiner Stelle erklärt.
Das Orchester spielt unter Leitung des chinesischen Dirigenten Yondani Butt (1945–2014), der Schumanns Sinfonien hier einen recht eigenwilligen interpretatorischen Stempel aufdrückt. Dass er sehr viel Gefühl investiert, sich bestimmt mit Schumanns Sinfonik auseinandergesetzt hat und das Orchester mit echter Emphase durch die auch noch so komplizierten musikalischen Strukturen führt, merkt man vom ersten Ton an. Aber leider merkt man ebenso vom ersten Ton gleich der 1. Sinfonie in B-Dur op. 38 an, dass Butt ein ungewöhnlich langsames Tempo wählt. Da wird er deren im Booklet erwähnten und ausführlich erklärten Beinamen „Spring“ nun gar nicht gerecht. Das zieht sich streckenweise wie Knetgummi und flattert nicht frühlingshaft leicht und fröhlich, sondern wirkt eher betulich.
Der in Schumanns Schaffenschronologie eigentlich an zweiter Stelle stehenden 4. Sinfonie in d-Moll op. 120, die wie meist in ihrer späteren sog. Düsseldorfer Fassung erklingt, kommen die Butt’schen Tempi schon eher entgegen, allerdings vermisst man hier doch die geheimnisvolle Spannkraft, die den Hörer normalerweise vom ersten bis zum letzten Ton trägt und an Schumanns ursprüngliche Idee der „Sinfonie in einem Satz“ erinnert. In permanenter rhythmischer Steigerung entwickelt sich die gewaltige doppelte Coda des grandiosen Finales. Schumann beschließt mit furiosen Akkordschlägen diese Sinfonie, die neben der Frühlingssinfonie zu seinen populärsten Orchesterwerken zählt, was sich in vorliegender Interpretation allenfalls erahnen lässt.
„In mir paukt und trompetet es seit einigen Tagen sehr ... ich weiß nicht, was daraus werden wird“, kündigt Schumann im Dezember 1845 seinem Freund und Kollegen Felix Mendelssohn Bartholdy die ersten Ansätze seiner später als Nr. 2 op. 61 gedruckten Sinfonie in C-Dur an. Und rückblickend äußert er: „Die Symphonie schrieb ich im Dezember 1845 noch halb krank; mir ist‘s, als müßte man ihr dies anhören“. Muss man das wirklich, auch heute noch und zwar im negativen Sinne? Eigentlich doch nicht, zumal die erstgenannten Pauken und Trompeten mit ihrem charakteristischen fanfarenartigen Motiv dabei stark an Lebendigkeit und Frische verlieren. Der quirlige Perpetuum mobile-Charakter im Scherzo klingt wie gebremst, ebenso im Finale das abschließende Paukensolo der grandiosen Stretta.
Viel zu behäbig, fast träge fließt der Rhein im 1. Satz von Schumanns 3. Sinfonie op. 97 mit dem charakterisierenden Beinamen,den der Komponist selbst durch entsprechende Äußerungen mit angeregt hat. Das eigenwillig hemiolisch rhythmisierte, in weiten Sprüngen explodierende markante Hauptthema büßt seinen Schwung ein, den Schumann ganz bewusst hier vorlegte. Der ländlerartigen Behaglichkeit im Scherzo, gepaart mit einem guten Schuss Humor, fehlt der rechte Antrieb, jene der Sinfonie nachgesagte „rheinländische“ Aura empfindet man gewöhnlich gerade hier am stärksten.
Der ursprünglich „Im Character der Begleitung einer feierlichen Ceremonie“ überschriebene, choralartig angelegte und sozusagen ‚überzählige‘ 4. Satz in es-Moll entfaltet unter Butts Dirigat seine volle Ernsthaftigkeit, der eigentümliche Religioso Charakter kommt überzeugend zur Geltung. Generell lassen sich die langsamen Sätze aller vier Sinfonien wesentlich besser anhören. Da schimmert viel Wärme und Innigkeit durch, was aber letztlich den Gesamteindruck nicht belebt. Häufige Tempowechsel, Stauchungen und Dehnungen ebenso wie übertriebenes Rubato und Akzentuierungen wirken unvermittelt und oft unpassend, lassen kein interpretatorisches Konzept erahnen.
Die Ouvertüre zu Manfred nimmt viele Details des nachfolgenden Dramas vorweg, baut vor allem die unverwechselbare Atmosphäre im musikalischen Ausdruck auf. Ein trotziges Sich-Aufbäumen gegen das Schicksal wechselt mit starrer Resignation ab, zwei gegensätzliche Pole, die Schumann kompositorisch durch auffallend schroffe Kontraste umsetzt. Auch diese Musik hat man schon fesselnder gehört, als auf vorliegender CD. Was ist da passiert? Das Orchester spielt ausgezeichnet, der Gesamtklang ist rund, sauber und durchaus schön. Der Dirigent gibt sich viel Mühe. Vielleicht zuviel? Und bringt zu viel hinein in Schumanns Musik, die doch gar keinen Verstärker braucht, die einfach so für sich spricht. Weniger wäre sicher mehr gewesen!
(Irmgard Knechtges-Obrecht)
As welcome the constantly increasing number of recordings of Schumann‘s symphonies is, by now one has to wonder whether there truly are new listening experiences to be found each time, and if listeners would even be able to perceive any differences between the individual interpretations.
The renowned London Symphony Orchestra has now released a double album with Schumann‘s symphonies, accompanied by the Manfred overture op. 115. The recordings were made at the famous Abbey Road Studios in 2011 and 2012 respectively and were originally sold seperately. No explanation is given as to why they are now re-released as a double CD set.
The orchestra, conducted by the Chinese conductor Yondani Butt (1945-2014), delivers are rather peculiar interpretation of Schumann‘s symphonies. The fact that he invested a great amount of sentiment, that he definitely contemplated Schumann‘s symphonic work and that he emphatically guides the orchestra through even the most complicated musical structures, is noticeable right from the start. It is however equally noticeable right from the start, that Butt opts for an unusually slow tempo. Many a passage drags on with glacial pace, leisurely and long-winded. Frequent changes in tempo, shortenings and lenghtenings as well as excessive rubato and accentuations appear abruptly and often times inappropriately, betraying a lack of overall concept. What happened there? The orchestra performs excellently, the overall sound is well-rounded, clean and beautiful throughout. The conductor is trying very hard. Too hard, perhaps? He adds too much to Schumman‘s music, which is not in any need of amplification since it simply speaks for itself. Surely, less would have been more. (Summary by I.K.-O., translated by F. O.)
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