Robert Schumann: Manfred

A dramatic poem in three parts by Lord Byron, op. 115 Live from the Tonhalle Düsseldorf, 2010 Direction and Visualisation: Johannes Deutsch Düsseldorfer Symphoniker, Conductor: Andrey Boreyko Johann von Bülow as Manfred
DVD ARTHAUS Musik, 2011
Cat.No. NTSC 101 575

Das Ganze müßte man dem Publikum nicht als Oper oder Singspiel oder Melodram, sondern als ,dramatisches Gedicht mit Musik’ ankündigen. – Es wäre etwas ganz Neues und Unerhörtes,“ schreibt Robert Schumann im November 1851 an Franz Liszt, der eine Aufführung des Manfred in Weimar plante, und umreißt damit das wohl auffälligste Moment seines Werkes: Vereint doch Manfred dramatische und oratorische Elemente gleichermaßen. Und gerade in jener auf solche Weise verunklarten Position zwischen den Gattungen liegt seine Faszination. Aber auch offenbar der Grund dafür, dass Manfred immer noch ein Schattendasein in den Konzertsälen der Welt führt.

Die dramatische Handlung des Stückes muss als inneres Theater, gleichzeitig aber ohne Theatralik veranschaulicht werden. Vermeintlich ein Widerspruch, den Schumann ganz bewusst aufnimmt, um ihn dann gerade in und mit diesem Stück zu lösen. Er geht dabei auf ebenso eigenwillige wie für die damalige Zeit progressive Weise vor. Indem er stellenweise eine verbindliche Art der Deklamation in der Partitur festlegt, unterwirft er den Dramentext musikalischen Parametern. Einerseits hat sich die Manfred-Musik zwar von der Pragmatik des Theaters entfernt, dennoch kann man sie andererseits nicht als Schauspielmusik im herkömmlichen Sinne bezeichnen; dagegen spricht allein schon die wiederholte Verwendung des Melodrams. Die besondere Problematik ist ohnehin durch die literarische Vorlage gegeben, da Byron sein Stück ausdrücklich als Lese-Drama, als „mental theatre“ deklariert.

So ist es freilich keine schlechte Idee, dass der Regisseur Johannes Deutsch speziell für die Tonhalle Düsseldorf im Schumann-Jubliäumsjahr 2010 eine Visualisierung zu Manfred entwirft, die einerseits auf die Besonderheiten des Werkes und andererseits auf jene architektonischen des Aufführungsortes reagiert. Die Tonhalle, ein 1926 ursprünglich als Planetarium gebauter runder Kuppelbau, lieferte jahrzehntelang reichlich Stoff für akustische Kritik und beschäftigte ebenso lange Zeit Fachleute mit der Suche nach Lösungsmöglichkeiten. Johannes Deutsch sieht für sein Projekt gerade darin eine Inspirationsquelle und deutet „die Blickrichtung in den realen architektonischen Raum zur Blickrichtung nach Innen, in den mentalen Raum. Über dem Orchester wird eine schwebende Panoramaprojektion installiert, die in Form eines Sehschlitzes den Blick auf Manfreds Vorstellungen freigibt.“

Das Konzept ging nicht nur im Live-Erlebnis auf, sondern lässt sich auch durch die vorliegende DVD erfahren. Der Zuschauer erkennt in der Projektion mit den Augen des Titelhelden die visuell verfremdete Welt einer Schweizer Alpenlandschaft. Die Hauptfigur Manfred, bzw. dessen Darsteller Johann von Bülow, schwebt eingeschlossen in einer Kapsel, verborgen vor den Blicken des Publikums und wird nur gelegentlich via Kameraaufnahme in die Szene hineingemischt, farblich und formal von Deutsch jeweils passend adaptiert.

Die Düsseldorfer Symphoniker musizieren der jeweiligen Stimmung wunderbar angemessen, die Nuancen von verhalten-melancholisch bis hochdramatischwild mühelos ausfüllend. Problemlos fügt sich der Chor des Städtischen Musikvereins dem musikalischen Gesamtbild ein, wirkt auch in den pointiert kurzen Einwürfen überzeugend. Beide Klangkörper gemeinsam führten Schumanns Manfred in der Vergangenheit mehrfach auf und versprühen dennoch eine lebendige Frische, als würden sie das Werk zum ersten Mal „entdecken“. Musikalisch packend wirkt das Stück durch diese Interpretation von Anfang bis Ende, manche Passage gerät sogar zu einem echten Höhepunkt, den man gern mehrfach anhören möchte! Auch die Solisten, Sprecher wie Sänger, gestalten ihre Rollen ausgezeichnet und runden das Gesamtgeschehen auf ebenso eindrucksvolle wie gelungene Weise ab. Besonders hervorzuheben ist die breite Palette an Ausdrucksmitteln, die Johann von Bülow als „Manfred“ seiner Stimme entlocken kann.

Ein kleiner technischer Makel liegt in der Klangabmischung, die streckenweise die Sprecher zu leise und daher schlecht verständlich werden lässt.

Wenngleich man Manfred in der von Schumann vorgesehenen musikdramatischen Version auch quasi „semi-szenisch“ als großartiges Werk genießen kann und dies unbedingt in Zukunft verstärkt tun sollte, so ist doch die vorliegende visualisierte Form eine durchaus beachtenswerte Möglichkeit.


(Irmgard Knechtges-Obrecht)