Die „Neudeutsche Schule“ und Robert Schumann

Richard Wagner

[…]
Das Hauptingredienz bleibt aber eine gewissen sinnig dünkende Behutsamkeit gegen Das, was man nicht zu leisten vermag, mit Verleumdung dessen, was man gern leisten möchte. Es ist über Alles traurig, daß man in dieses Unwesen eine so tüchtige Natur, wie Robert Schumann verwickeln, ja schließlich sein Andenken zur Kirchenfahne für diese neue Gemeinde machen konnte. Das Unglück war eben, daß Schumann sich etwas zumuthete, dem er nicht gewachsen war, und gerade die hierdurch sich kundgebende verfehlte Seite seines künstlerischen Schaffens zum wohlgeeignet dünkenden Aushängeschilde für diese neueste Musik=Gilde gemacht werden konnte. Das, worin Schumann liebenswerth und durchaus anmuthend war, und was daher auch gerade unsererseits (ich nenne mit Stolz mich hier zu Liszt und den Seinigen gehörig) schöner und empfehlender gepflegt wurde, als von seinen eigenen Angehörigen, ward, weil darin sich wahre Produktivität beurkundete, von Jenen geflissentlich ungeachtet gelassen, vielleicht nur weil ihnen der Vortrag dafür abging. Dagegen wird heute Das, worin Schumann eben die Beschränktheit seiner Begabung aufdeckte, nämlich auf das größere, kühnere Konzeption Angelegte, sorgsam von ihnen hervorgezogen: wird es nämlich in Wahrheit vom Publikum nicht recht goutirt, so kommt es zu Statten, daran nachzuweisen, daß es eben schön sei, wenn etwas keinen „Effekt“ mache, und endlich kommt ihnen sogar noch der Vergleich mit dem, namentlich bei ihrem Vortrage immer noch so sehr unverständlich bleibenden Beethoven der letzten Periode zu Statten, mit welchem sie nun den schwülstig uninteressanten, aber von ihnen so leicht zu bewältigenden (nämlich seiner ganzen Anforderung nach nur glatt herunterzuspielenden) R. Schumann sehr glücklich in einen Topf werfen können, um zu zeigen, wie ja, selbst in Übereinstimmung mit dem kühnsten Ungeheuerlichen, ihr Ideal eigentlich mit dem Allertiefssinnigsten des deutschen Geistes zusammen gehe. So gilt denn endlich der leichte Schwulst Schumann’s mit dem unsäglichen Inhalte Beethoven’s als Ein und dasselbe, aber immer mit dem Vorbehalte, daß drastische Exzentrizität eigentlich unzulässig, und das gleichgiltig Nichtssagende das eigentlich Rechte und Schickliche sei, auf welchem Punkte dann der richtig vorgetragene Schumann mit dem schlecht vorgetragenen Beethoven allerdings ganz erträglich zu einander gehalten werden können.

Hiermit gerathen diese sonderbaren Wächter der musikalischen Keuschheit zu unserer großen klassischen Musik in die Stellung von Eunuchen im großherrlichen Harem, und deshalb scheint der Geist unseres Philisterthums ihnen auch gern die Bewachung des immerhin bedenklichen Einflusses der Musik auf die Familie anzuvertrauen, da man sicher zu sein glauben darf, von dieser Seite nichts bedenkliches aufkommen zu sehen.


Wo bleibt nun aber unsere große, unsäglich herrliche deutsche Musik? –
Was aus unserer Musik wird, darauf kann es uns hierbei am Ende einzig ankommen. Denn, daß andererseits in einer gewissen Periode einmal nichts Besonderes geleistet wird, das könnten wir nach einer hunderjährigen glorreichen Periode wundervollster Produktivität stolz genügsam zu verschmerzen wissen. Aber gerade daß diese Leute, mit denen wir hier zu thun haben, sich als die Behüter und Bewahrer des ächten „deutschen“ Geistes dieses unseres herrlichen Erbes gebahren, und als solche sich zu Geltung zu bringen bemüht sind, das läßt sie uns gefährlich erscheinen.

Ganz für sich betrachtet, ist an diesen Musikern nicht viel auszusehen; die meisten unter ihnen komponiren ganz gut. Herr Johannes Brahms war so freundlich, mir einmal ein Stück mit ersten Variationen von sich vorzuspielen, aus dem ich ersah, daß er keinen Spaß versteht, und welches mich ganz vortrefflich dünkte. Ich hörte ihn auch in einem Konzerte anderweitige Kompositionen auf dem Klaviere spielen, was mich nun allerdings weniger erfreute; sogar mußte es mir impertinent erscheinen, daß von der Umgebung dieses Herren aus Liszt und seiner Schule „allerdings eine außerordentliche Technik“, aber auch nichts weiter, zugesprochen wurde, während ich die Technik des Herrn Brahms, dessen Vortrag mich seiner Sprödigkeit und Hölzernheit wegen sehr peinlich berührte, so gern etwas mit dem Öle jener Schule befeuchtet gewünscht hätte, welches denn doch nicht der Tastatur selbst zu entfließen scheint, sondern jedenfalls auf einem ätherischeren Gebiete, als dem der bloßen „Technik“ gewonnen wird. Alles zusammen konstatirte jedoch eine ganz respektable Erscheinung, von der man nur einzig auf natürlichem Wege nicht zu begreifen vermag, wie sie, wenn nicht zu der des Heilandes, doch wenigstens zu der des geliebtesten Jüngers desselben gemacht werden konnte; es müßte denn sein, daß ein affektirter Enthusiasmus für mittelalterliche Schnitzereien in jenen steifen Holzfiguren das Ideal der Kirchenheiligkeit zu erkennen uns verleitet hätte. Jedenfalls müsten wir uns dann wenigstens dagegen verwahren, unseren großen lebendigen Beethoven in das Gewand dieser Heiligkeit verkleidet uns vorgeführt zu bekommen, um etwa ihn, den Unverstandenen, in dieser Verunstaltung neben den aus den natürlichsten Gründen unverständlichen Schumann stellen zu können, gleichsam als ob da, wo sie keinen Unterschied bemerklich zu machen verstehen, auch wirklich gar kein Unterschied stattfinde.
[…]

Aus: Richard Wagner’s gesammelte Schriften und Dichtungen
Leipzig, Verlag von G. W. Fritsch, 1888, S. 261 ff. (Über das Dirigieren),
hier: Seite 319-321

Im Büro des StadtMuseum Bonn für das Schumannportal neu abgeschrieben am 10.7.2008




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