Carl Reinecke (1824–1910)
Carl Reinecke, 1893 (Photographie von Alfred Naumann)
In Carl Reinecke fand Robert Schumann einen Pianisten, der ihn auf besondere Weise musikalisch verstand und seine Werke so interpretierte und auffasste, wie Schumann sie sich wohl dachte. Als Carl Reinecke 1848 einige Lieder Schumanns für Klavier solo transkribierte, zeigte sich der Komponist erfreut: „Unter Ihren Händen aber, lieber H. Reinecke, fühlt’ ich mich ganz wohl, und dies kömmt daher, weil Sie mich verstehen, wie Wenige.“ (zit. nach Schumann-Briefedition, S. 687). Auch Reineckes eigene Kompositionen schätzte Schumann sehr und zählte ihn 1847 zu den „Jüngere[n] Componisten nach meinem Sinn.“ (zit. nach Seibold, S. 219).
Carl Reinecke erhielt schon in seiner Kindheit und Jugend in Altona Unterricht von seinem Vater, dem Musikpädagogen Rudolf Reinecke (1795–1883), im Klavier- und Geigenspiel sowie in der Komposition und Musiktheorie. Als er 1838 eine Ausgabe von Schumanns „Kreisleriana“ geschenkt bekam, war es geschehen: „Es warf sofort einen Funken in meine musikalische Seele…“ (zit. nach ebd., S. 219) – Reinecke setzte sich spätestens ab den 1840ern durch seine Konzerte und Kammermusikensembles, später in seiner Position als Gewandhauskapellmeister, für die Verbreitung der Schumann’schen Werke ein und versuchte 1841 auch Kontakt zu Schumann herzustellen, indem er ihm eine Komposition von sich zusandte, die jedoch von Schumann in der Neuen Zeitschrift für Musik unberücksichtigt blieb.
1843 reiste Reinecke nach Leipzig, wo er bis 1846 blieb – ein lang gehegter Wunsch, den er sich durch mehrere kleine Konzertreisen und ein Stipendium des dänischen Königs Christian VIII. finanzierte. Durch die Unterstützung von Felix Mendelssohn Bartholdy trat Reinecke am 16. November 1843 zum ersten Mal, mit Mendelssohns Serenade und Allegro giojoso op. 43, im Leipziger Gewandhaus auf – im selben Konzert spielte auch der 12-jährige Joseph Joachim. In Leipzig erlebte Reinecke außerdem die Uraufführung von Schumanns Oratorium Das Paradies und die Peri op. 50, er besuchte musikalische Gesellschaften Livia Freges, Raymund Härtels, Carl Voigts und machte nun auch die persönliche Bekanntschaft mit Robert Schumann, der sich bei der ersten Begegnung, auf einer Soiree des Leipziger Musikverlegers Friedrich Hofmeister, „sehr gütig und sogar gesprächig zeigte“ (zit. nach ebd., S. 219).
1846 unternahm Reinecke einige Konzertreisen und war von 1846 bis 1848 Kgl. Hofpianist in Kopenhagen. Schon 1848/49 kehrte er auf Einladung des Kapellmeisters Julius Rietz kurzzeitig nach Leipzig zurück und gab einige Konzerte im Gewandhaus, zudem machte er in Weimar die Bekanntschaft mit Franz Liszt. Weitere berufliche Stationen waren ab 1849 Bremen – hier konzertierte er 1850 zusammen mit Clara Schumann, vierhändig Schumanns Variationen für 2 Pfte. op. 46, auch mit der Sängerin Jenny Lind trat er gemeinsam auf –, Anfang 1851 hielt er sich einige Monate in Paris auf und war von 1851 bis 1854 Lehrer für Klavier und Komposition am Kölner Konservatorium. Durch die räumliche Nähe zu Düsseldorf konnte Reinecke Schumann wieder öfter persönlich treffen. Am 18. Mai 1851 trat Reinicke im 10. Abonnementkonzert des von Schumann geleiteten Düsseldorfer Allgemeinen Musikvereins auf, er spielte als Solist das Klavierkonzert Nr. 2 d-Moll op. 40 von Mendelssohn und dirigierte die Uraufführung seiner Ouvertüre d-Moll. Von 1854 bis 1859 war Reinecke Musikdirektor und -lehrer in Barmen sowie 1859/60 Universitäts-Musikdirektor und Leiter der Singakademie in Breslau, 1860 kehrte Reinecke schließlich wieder nach Leipzig zurück, wo er bis 1895 als Gewandhauskapellmeister wirkte. Unter seiner Leitung fanden im Gewandhaus u.a. die Uraufführungen von Brahms Violinkonzert D-Dur op. 77 und Deutschen Requiem op. 45 statt, viele Werke Schumanns fanden unter Reinecke ihre Leipziger Erstaufführung wie z.B. das Cellokonzert a-Moll op. 129 oder das Requiem op. 148. Außerdem wurde 1878 Clara Schumanns 50-jähriges Künstlerjubiläum im Gewandhaus begangen, mit Kompositionen Robert Schumanns, sowie 1881 das 100-jährige Jubiläum des Gewandhaussaals gefeiert und 1884 das neue Konzerthaus eingeweiht. Am Leipziger Konservatorium unterrichtete Reinecke von 1860 bis 1902 Klavierspiel und Komposition, Solo- und Ensemblespiel sowie Chorgesang. Ab den 1880ern war Reinecke auch musikschriftstellerisch tätig.
Robert Schumann widmete Carl Reinecke seine 1850 erschienenen Vier Fugen für Klavier op. 72: „Beifolgendes Heft [op. 72] nehmen Sie als Zeichen meiner Lieb- und Werthschätzung freundlich an!“ (zit. nach ebd., S. 221). Beide Musiker verband eine Freundschaft, die durch reges Interesse und Wertschätzung für das Schaffen des jeweils anderen geprägt war. Reinecke widmete Schumann 1853 sein Klaviertrio D-Dur op. 38.
Nach dem Tod Schumanns fertigte Reinecke neben weiteren Bearbeitungen und Transkriptionen ein vierhändiges Arrangement zu Schumanns Klaviersonate g-Moll op. 22, Klavierquartett Es-Dur op. 47 und eine Orchestrierung der Bilder aus Osten op. 66 an. 1907 spielte Reinecke zwei Klavierwerke Robert Schumanns auf Klavierrolle ein: Nr. 3 aus Fantasiestücke op. 12 und Nr. 6 aus Kreisleriana op. 16. Wilhelm Joseph von Wasielewski, Freund und Kammermusikpartner Reineckes, veröffentlichte 1892 die Biografie „Carl Reinecke. Sein Leben, Wirken und Schaffen. Ein Künstlerbild“.
Vgl. Carl Reinecke. Erlebnisse und Bekenntnisse. Autobiographie eines Gewandhauskapellmeisters, hrsg. v. Doris Mundus, Leipzig 2005.
Vgl. Ludwig Finscher und Katrin Seidel: Artikel „Reinecke, Carl Heinrich Carsten“, in: Ludwig Finscher (Hg.), Die Musik in Geschichte und Gegenwart, Personenteil Bd. 13, Kassel u.a. 2005, Sp. 1513–1517.
Vgl. Schumann-Briefedition, Serie II, Bd. 20: Briefwechsel mit Freunden und Künstlerkollegen (Briefwechsel Robert und Clara Schumanns mit Korrespondenten in Leipzig 1830 bis 1894), Editionsleitung: Thomas Synofzik und Michael Heinemann; Herausgeber: Annegret Rosenmüller und Ekaterina Smyka, Köln 2019, S. 655–662, 733 Anm. 2.
Vgl. Wolfgang Seibold: Familie, Freunde, Zeitgenossen. Die Widmungsträger der Schumannschen Werke (= Schumann-Studien 5), Sinzig 2008, S. 217–222.
(Theresa Schlegel, 2020)