Packende Inszenierung im Innsbrucker Landestheater

Robert Schumanns Oper „Genoveva“ im Tiroler Landestheater, Innsbruck, 2022

Bericht und Besprechung von Dr. Irmgard Knechtges-Obrecht von der letzten Aufführung am 18. November 2022

Foto: Tiroler Landestheater

Am 24. September 2022 feierte, natürlich auch auf dem Schumannportal angezeigt, Robert Schumanns einzige Oper „Genoveva“ als Saisoneröffnung des Tiroler Landestheaters (vgl. https://www.landestheater.at/produktion/genoveva/; https://www.landestheater.at/blog/genoveva/ ) in Innsbruck eine umjubelte Premiere, die auch begeisterte Kritiken erhielt, vgl. u.a. in der nmz: https://www.nmz.de/online/).
Bei der letzten der ingesamt 9 Aufführungen, der mit Ovationen bedachten Dernière am 18.11.2022, war die Schumann-Forscherin, Musikwissenschaftlerin, Musikhistorikerin und Clara Schumann-Biographin Dr. Irmgard Knechtges-Obrecht, die seit Gründung des Netzwerks Mitglied und Berichterstatterin für das Schumann-Netzwerk ist, und für das Schumannportal für die Einführungen zu den Werken Robert Schumanns verantwortlich zeichnet (vgl. https://www.schumann-portal.de/op-1.html ) live dabei.

Hier ist ihr Bericht:

Packende Inszenierung im Innsbrucker Landestheater

Robert Schumanns einzige vollendete Oper Genoveva (Text vom Komponisten nach Ludwig Tieck und Friedrich Hebbel) erlebt man nur höchst selten auf den Opernbühnen. Nach seiner mäßig erfolgreichen Uraufführung 1850 in Leipzig wurde das Stück einige Male aufgeführt, geriet aber dann am Ende des 19. Jahrhunderts weitgehend in Vergessenheit. Als Folge der Bemühungen in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts, Unbekanntes zu entdecken, kam es zwar zu Aufführungen, die aber leider oftmals das konzertante Format wählten.
Umso erfreulicher, dass Genoveva nun am Tiroler Landestheater in Innsbruck vom 24. September bis zum 18. November 2022 auf dem Spielplan stand! Intendant und Regisseur Johannes Reitmeier brachte die romantische Oper auf die Bühne, gemeinsam mit Lukas Beikircher, dem Chefdirigenten des Hauses. Beide waren spontan überzeugt von den Qualitäten des Werkes. Beikircher äußerte dazu: „Schumann ist einer der ganz Großen. Und auch die Musik der Genoveva ist über jeden Zweifel erhaben. Ich bin sicher, dass wir das Publikum für dieses unterschätzte Juwel gewinnen können.“ Reitmeier teilte diese Ansicht, zumal unter seiner Leitung am Tiroler Landestheater regelmäßig gerade jene Bühnenwerke inszeniert wurden, die nicht zum Kernrepertoire des Musiktheaters zählen.
Die Handlung der vieraktigen Oper Genoveva basiert auf der Tragödie von Friedrich Hebbel. Die edle, fromme und wohl auch sehr schöne Genoveva ist mit dem Pfalzgrafen Siegfried verheiratet, der für Karl Martell in den Krieg gegen die Mauren zieht. Seine Frau überlässt er der Obhut seines Lehensmann Golo, der schon länger in Genoveva verliebt ist. Als dieses liebevolle Begehren in Wut über seine von der Pfalzgräfin verschmähten Liebe umschlägt, entwickelt er – angestachelt durch die mit bösen Zaubermächten im Bund stehende Amme Margaretha – eine Intrige und Verleumdung Genovevas, die zur deren Verurteilung, Verbannung und geplanten Hinrichtung führt. Im letzten Moment kann sie von Ehemann Siegfried, an dem sie in unverrückbarer Liebe und Treue festgehalten hat, gerettet werden. Nachdem Siegfried zunächst kaum in der Lage war, die böse Intrige zu durchschauen, wurde ihm der Verrat schließlich offengelegt weshalb er Genoveva um Vergebung bittet. Sie verzeiht ihm, ihre Liebe wird vom Bischof ein zweites Mal gesegnet und die Oper schließt mit einem Happy End.
Johannes Reitmeier stellt in seiner Inszenierung die prekäre Situation einer Frau in der patriarchalen Gesellschaft in den Fokus. Die geschilderte Hetzjagd auf die vermeintlich untreue Genoveva hält er für immer noch aktuell, da Gewaltverbrechen an Frauen bis hin zu Femiziden nach wie vor die Schlagzeilen füllen. Auch Kriege im Zeichen einer Religion bzw. eines Glaubens sind keineswegs aus der Welt. „Deus lo vult“, der Schlachtruf mittelalterlicher Kreuzfahrer ist – zumindest auf dem Zwischenvorhang – stets präsent. Kreuze und Symbole des Gekreuzigten setzt Reitmeier in fast jeder Szene ein, von optisch beeindruckenden Bildern und durch die Technik der nur mit wenigen Requisiten bestückten Drehbühne bestens unterstützt. Hinzukommt eine ausgefeilte Lichtregie, die insbesondere durch Projektionen auf herabhängende Stoffbahnen besticht. Gerade hierdurch können jene für die gesamte Oper bedeutungsvollen Zaubertrugbilder geschickt visualisiert werden.

Michael D. Zimmermann entwarf eine durchaus zeitgemäße, gleichzeitig aber auch melancholisch wirkende Ausstattung, die sowohl die herbe Atmosphäre des Krieges einleuchtend nachzeichnet, als auch das aufgewühlte Seelenleben Genovevas. Schlichte, zum Teil historisierte, zum Teil moderne Kostüme unterstützen die Darstellung, die aufgrund einer intelligenten Personenregie nicht nur verständlich, sondern wirklich überzeugend wird. Als besonderer Kunstgriff ist zu werten, dass Reitmeier seine Genoveva als Blinde auftreten lässt, was er durch zwischen den Akten eingeblendete Gedichte Adelbert von Chamissos zusätzlich untermauert. Einleuchtend, dass Genoveva dadurch noch fragiler und verletzlicher scheint sowie noch leichter manipulierbar von Golo oder anderen Personen. „Blind vor Liebe“ wirkt sie auch in ihrer unverbrüchlichen Treue ihrem Mann, dem Pfalzgrafen Siegfried gegenüber, der seinerseits nicht unbedingt ein solches Verhalten zeigt. Zwiegespalten lässt infolgedessen auch das vermeintlich Happy End mit Siegfrieds „Entschuldigungen“ den Zuschauer zurück.
Die Inszenierung des Tiroler Landestheater trifft Schumanns Intentionen ziemlich genau. Nicht um die effektvolle Große Oper ging es dem Komponisten, vielmehr um den liedhaften Ton, wohlklingende Chöre sowie einen schlichten Sprechgesang, der die Handlung in den Mittelpunkt stellt und vorantreibt. Sängerisch ist das Ensemble sehr gut aufgestellt: Susanne Langbein gestaltet die Titelfigur in idealer Weise mit dem elegisch dunklen Timbre ihrer Stimme, die besonders in längeren Solo-Partien zu Herzen geht. Besonders überzeugend füllt auch Jon Jürgens (alternativ Florian Stern) seine Rolle als Golo, sowohl durch seinen klar intonierenden Tenor als auch in schauspielerischer Hinsicht. Alec Avedissian als Pfalzgraf Siegfried wirkt weniger präsent, gestaltet seine Partien stimmlich aber gut. Irina Maltseva besticht als Margarethe mit ihrem kräftigen Mezzosopran und beweist im Spiel ein hohes Maß an Bühnenpräsenz. Bassbariton Johannes Maria Wimmer gibt warm und stimmungsvoll timbriert einen wunderbaren Drago, Oliver Sailer und Julien Horbatuk agieren und singen sehr gelungen als Schergen und Folterknechte. Bischof Hidulfus wird von Joachim Seipp mit fundierter Baritonstimme gesungen, die nur stellenweise ein wenig zuviel Vibrato bietet. Ausgezeichnet der Chor, insbesondere als Geisterschar im Zauberspiegel. Getragen wird das gesamte Geschehen vom vollen und exakten Klang des durch Generalmusikdirektor Lukas Beikircher geschickt geleiteten Orchesters.
Insgesamt eine spannende und packende Inszenierung, die einmal mehr beweist, dass konzertante Aufführungen dieser Oper nicht besonders sinnvoll sind. Das Stück erschließt sich in dieser Form nicht wirklich, es braucht unbedingt die von Schumann auch beabsichtigte Szene! Zur Nachahmung auch in Deutschland also unbedingt empfohlen!

(Irmgard Knechtges-Obrecht)