Robert Schumann op. 48

Dichterliebe. Liederkreis aus Heinrich Heines „Buch der Lieder“ für eine
Singstimme und Klavier op. 48

Heft I

1. Im wunderschönen Monat Mai. Langsam, zart
2. Aus meinen Tränen sprießen. Nicht schnell
3. Die Rose, die Lilie. Munter
4. Wenn ich in deine Augen seh'. Langsam
5. Ich will meine Seele tauchen. Leise
6. Im Rhein, im heiligen Strome. Ziemlich langsam
7. Ich grolle nicht. Nicht zu schnell
8. Und wüssten's die Blumen

Heft II

9. Das ist ein Flöten und Geigen. Nicht zu rasch
10. Hör' ich das Liedchen klingen. Langsam
11. Ein Jüngling liebt ein Mädchen.
12. Am leuchtenden Sommermorgen. Ziemlich langsam
13. Ich hab' im Traum geweinet. Leise
14. Allnächtlich im Traume
15. Aus alten Märchen. Lebendig
16. Die alten bösen Lieder. Ziemlich langsam


Als Robert Schumanns „Liederjahr“ wird das Jahr 1840 bezeichnet, in dem der Komponist nach langen, Nerven aufreibenden Querelen mit seinem ehemaligen Lehrer Friedrich Wieck endlich dessen Tochter und Schülerin, die äußerst talentierte Pianistin Clara Wieck, heiraten konnte. Bereits vor dem Hochzeitstermin im September 1840 entstand zu Beginn dieses Jahres eine Fülle an Liedkompositionen, einer Gattung, mit der Schumann sich zwölf Jahre lang nicht beschäftigt hatte. Seine in den Jahren 1827/28 komponierten so genannten „Jugendlieder“ blieben zu Lebzeiten Schumanns unveröffentlicht. Die ersten, mit Opuszahlen versehenen 23 Werke, die bis 1840 entstanden und von Schumann zum Druck freigegeben wurden, gehören ausschließlich dem Bereich der Klaviermusik an. Erst nachdem Schumann die unterschiedlichsten Spielarten und Formen dieser Gattung ausgeleuchtet hatte, schien ihm der Moment gekommen zu sein, die Singstimme nun auch in sein gedrucktes Œuvre einzubeziehen. Wie so oft in seinem Schaffensprozess erfolgte auch dies schubweise: Schumann widmete sich über einen längeren Zeitraum hinweg einer musikalischen Gattung ausschließlich und mit auffallend großer Energie. So entstanden zahlreiche Liederzyklen, -reihen und -hefte.

Schumann, der als Sohn eines Buchhändlers, Verlegers, Schriftstellers und Übersetzers in seiner eigenen Berufsvorstellung lange Jahre zwischen der Musik und der Dichtung schwankte, setzte sich zeitlebens intensiv mit der Literatur auseinander. Die Wahl der Textvorlagen und deren Qualität spielen in seinen Vertonungen eine bedeutende Rolle. Mit den Werken seines Zeitgenossen Heinrich Heine beschäftigte er sich über viele Jahre intensiv und begann im Frühling 1840 schließlich, eine immense Zahl von dessen Gedichten zu vertonen. Ende Mai 1840 entstanden innerhalb kürzester Zeit 20 Lieder und Gesänge für eine Singstimme und Pianoforte, die Schumann aus den 66 Gedichten Heinrich Heines aus dessen Lyrischen Intermezzo im Buch der Lieder (erschienen Hamburg 1827) entnahm. Erst vier Jahre später wurde dieser Zyklus unter dem von Schumann frei gewählten Titel Dichterliebe op. 48 bei Peters in Leipzig veröffentlicht. In dieser heute bekannten Fassung sind nur noch 16 Lieder enthalten. Die übrigen vier hatte Schumann – möglicherweise der ausgewogenen zyklischen Konzeption wegen – vor der Drucklegung aussortiert. Diese Lieder veröffentlichte er Jahre später im Rahmen anderer Sammlungen.

Der Bogen schließt sich in der Dichterliebe sinnfällig: Das Schlusslied „Die alten bösen Lieder“ (Nr. 16) beendete auch Heines Lyrisches Intermezzo. Schumann widmete sein op. 48 der berühmten Sängerin Wilhelmine Schröder-Devrient, deren Leistungen und Bühnenpräsenz seine Frau und er sehr bewunderten. Eine andere befreundete Sängerin, Livia Frege, führten mit Clara Schumann am Klavier die Nr. 7 „Ich grolle nicht“ 1844 im Leipziger Gewandhaus zum ersten Mal auf. Ihre vollständige Uraufführung erlebte die Dichterliebe jedoch erst 1861 postum durch den Jahrhundertsänger Julius Stockhausen und Johannes Brahms in Hamburg.

Die Texte der Dichterliebe beschreiben den Weg vom gefühlvollen und überschäumenden Liebeserwachen über den qualvollen Moment des Abgewiesenwerdens bis hin zum fast dramatischen Stadium der Depression eines unglücklich Liebenden, der seine Liebe schließlich quasi „begraben“ muss. Schumann entwickelt in seiner Vertonung tatsächlich eine Dramaturgie, zu deren Ablauf er durch sein gerade erlittenes eigenes Liebes-Schicksal eine große Affinität verspürte. Heines doppelbödige Ironie, seine fein nuancierte Symbolik, mit deren Hilfe er auch die kompliziertesten Stimmungen zu beschreiben vermag, werden in Schumanns Vertonung deutlich eingefangen.

Ebenso subtil wie Heine mit der Sprache, geht Schumann mit der Harmonik um. Entsprechend Heines Wortassoziationen schafft Schumann musikimmanente Bindungen. So entsteht nicht nur innerhalb der einzelnen Nummern aus op. 48 eine kontrastreiche Klangsprache, auch die zyklische Konzeption der ganzen Sammlung wird insbesondere durch harmonische Verflechtungen geschaffen.

Charakteristisch für beinahe alle Heine-Vertonungen Schumanns sind die ausgedehnten Klaviernachspiele. In op. 48 reflektieren sie meist das zuvor durch Wort und Musik Dargestellte und verhindern eine deutlich finite Wirkung. Die romantische Sehnsucht nach dem Unerreichbaren soll bestehen bleiben. Es wird in jeder Passage der Dichterliebe spürbar, dass Heinrich Heines Texte – ganz besonders jene aus den vierziger Jahren – am stärksten Schumanns literarisch-musikalischen Nerv trafen.

(Irmgard Knechtges-Obrecht)