Robert Schumann op.38
Sinfonie Nr. 1 B-Dur op. 38 „Frühlingssinfonie“
1. Andante un poco maestoso — Allegro molto vivace
2. Larghetto
3. Scherzo. Molto vivace
4. Allegro animato e grazioso
Bereits in jungen Jahren entwickelte Robert Schumann Pläne zur Komposition sinfonischer Werke. Seine erste wirklich ernsthafte Beschäftigung mit dem Genre zeigt die Fragment gebliebene „Jugendsymphonie“ in g-moll (Anhang A3) aus den Jahren 1832 bis 1833. Zwei Sätze dieser Sinfonie stellte er fertig und ließ zumindest den ersten aufführen – allerdings mit recht geringem Erfolg (Zwickau 1832, Schneeberg 1833). Möglicherweise trug seine Enttäuschung über die Publikumsreaktion dazu bei, dass er diese Sinfonie nicht vollendete.
Nach weiteren, mehr oder weniger ausgereiften sinfonischen Skizzen und Versuchen schrieb Schumann schließlich im Januar und Februar 1841 binnen vier Wochen seine erste abgeschlossene Sinfonie in B-Dur nieder. Ende Februar ist bereits deren Instrumentation abgeschlossen. Am 31. März 1841 findet im Leipziger Gewandhaus in einem Extrakonzert Clara Schumanns zugunsten des Orchester-Pensionsfond unter der Leitung von Felix Mendelssohn Bartholdy die Uraufführung der Sinfonie aus dem Manuskript statt. „Schöner glüklicher Abend“ notiert der Komponist euphorisch in seinem Tagebuch. Einen durchschlagenden Erfolg hatte seine erste Sinfonie erzielt, was für ihn gleichzeitig die endgültige Anerkennung als Komponist auch größerer Werke bedeutete. Für die Wärme und Sorgfalt, mit der sich Mendelssohn bei seinem Dirigat der Sinfonie und ihrer sämtlichen Klippen für alle daran beteiligten Instrumente annahm, dankte Schumann dem Freund am nächsten Tag. „Mit d. Feile an d. Symphonie geendigt“, liest man im Tagebuch. Schumann bezeichnet damit die zahlreichen Revisionen am musikalischen Kontext seiner Sinfonie, die er daraufhin vornimmt. Die auffallendste Änderung ist dabei die Versetzung des zunächst von Hörnern und Trompeten intonierten Einleitungsmottos um eine Terz nach oben. Dieses Motto ist von essentieller Bedeutung für den gesamten Ablauf der Sinfonie und zieht sich – quasi wie eine poetische Grundidee – durch alle vier Sätze.
„Frühlingssymphonie“ nannte der Komponist selbst sein Werk, was einen Großteil der Rezipienten sogleich programmatische Bezüge vermuten ließ. Doch – wie so oft – fühlte Schumann sich auch hier missverstanden: Er wollte keinesfalls Programm-Musik schaffen, sondern die traditionelle viersätzige Form der Sinfonie mit einer durchgängigen poetischen „Idee“ anreichern, deren permanente Entwicklung auf das Ende des Werkes als Höhepunkt zielt. Der Eindruck einer Finalsinfonie manifestiert sich zusätzlich darin, dass dem Schlusssatz mindestens dieselbe Bedeutung zufällt wie dem Kopfsatz. Seinen ersten Impuls zur musikalischen Umsetzung dieser „Idee“ erhielt Schumann durch ein bis dahin noch nicht veröffentlichtes Gedicht des zeitgenössischen Lyrikers und Übersetzers Adolf Böttger. Die Schlusszeile dieses Gedichts: „Im Thale blüht der Frühling auf“ inspirierte den Komponisten zum eröffnenden Bläsermotto. Der so formulierte Frühlingsgedanke wirkt formbildend für die B-Dur-Sinfonie, die darüberhinaus in ihrer Gestaltung autonom musikalisch bleibt. Um jedwede Fehlinterpretation zu vermeiden, tilgte Schumann vor der Drucklegung sogar noch die im Autograph enthaltenen Überschriften zu den einzelnen Sätzen: „Frühlingsbeginn“ – Kopfsatz; „Abend“ – Larghetto; „Frohe Gespielen“ – Scherzo; „Voller Frühling“ – Finale. Schon am 7. April 1841 verkaufte er seine erste Sinfonie an den renommierten Leipziger Verlag Breitkopf & Härtel. Nach einer weiteren gründlichen Revision im Sommer gab er sie am 16. August 1841 endgültig zum Druck. Bereits im November desselben Jahres erschienen die Stimmen zur Sinfonie, 1853 deren vollständige Partitur.
Der prachtvoll klingenden Einleitung zum Kopfsatz (Andante un poco maestoso) folgt die Exposition des lebhaften Hauptthemas (Allegro molto vivace), das sich in seiner konzentriert rhythmischen Anlage aus dem auffordernden Ruf des Eröffnungsmotivs herzuleiten scheint. Schumann folgt in diesem Satz weitgehend dem Schema der Sonatenhauptsatzform, wenngleich sich auch kein wirklich eigenständiger Seitengedanke entwickelt. Die ausgedehnte Coda führt in den Holzbläsern ein neues Motiv ein, beschränkt sich aber ansonsten vorwiegend auf die Verarbeitung des Hauptthemenkopfes. Im Anschluss an die verkürzte Reprise beendet eine pastose Coda, in der ein weiteres, bisher unbekanntes Motiv auftaucht, den strahlenden Satz.
Der zweite Satz (Larghetto) wird von einem lyrischen, weit ausschweifenden Thema beherrscht, dessen friedliche Ausstrahlung durch die stimmungsvolle Instrumentierung unterstrichen wird. Nach einem von Posaunen gestalteten Übergang schließt sich das Scherzo (Molto vivace) unmittelbar an. Bemerkenswert ist dessen fünfteilige Form, die durch Einfügung eines zweiten Trioteils erreicht wird. Im Finale (Allegro animato e grazioso) folgt Schumann zwar dem Modell der Sonatenhauptsatzform, verschleiert aber die Eindeutigkeit der einzelnen Themenbildungen derart, dass sich regelrechte Haupt- und Seitenthemen kaum definieren lassen. Noch signifikanter als im Eröffnungssatz werden die motivischen Strukturen aus einem einzigen Rhythmus entwickelt, wodurch sich äußerst differenzierte Gefüge ergeben. Besonders in diesem abschließenden Satz wird der heitere Grundcharakter der Sinfonie nachdrücklich artikuliert.
(Irmgard Knechtges-Obrecht)