Robert Schumann op.12

Fantasiestücke für Klavier op.12


Heft I
Nr. 1 Des Abends. Sehr innig zu spielen
Nr. 2 Aufschwung. Sehr rasch
Nr. 3 Warum? Langsam und zart
Nr. 4 Grillen. Mit Humor

Heft II
Nr. 5 In der Nacht. Mit Leidenschaft
Nr. 6 Fabel. Langsam
Nr. 7 Traumes Wirren. Äußerst Lebhaft
Nr. 8 Ende vom Lied. Mit gutem Humor

Innerhalb von acht Tagen des Frühsommers 1837 schrieb Robert Schumann mehrere Klavierstücke. Aus diesen und einigen bereits im März 1836 skizzierten Stücken wählte er schließlich acht aus, die im Februar 1838 bei Breitkopf & Härtel in Leipzig unter dem Titel Fantasiestücke op. 12 erschienen. Den Begriff 'Fantasie' verwandte der Komponist um diese Zeit häufig in seinen schriftlichen Äußerungen und etablierte das Kompositum 'Fantasiestück' schließlich als musikalische Gattungsbezeichnung. Die Parallele zur Literatur ist gewollt und bezieht sich primär auf jene im romantischen Zeitgeist entscheidende, dem Märchen nahe stehende literarische Form, die insbesondere E.T.A. Hoffmann in seinem 1814/15 erschienenen vierbändigen Werk Fantasiestücke in Callots Manier prägte. Hoffmann nimmt mit seinem Hinweis auf den französischen Zeichner, Radierer und Kupferstecher Jacques Callot (1592 - 1635) bewusst auf Techniken der bildenden Kunst Bezug. Ebenso entwirft Schumann in op. 12 fantasievolle Stimmungsgemälde, die Eindrücke und Empfindungen musikalisch nachzeichnen. Die einzelnen Stücke sind nun umfangreicher und erhalten ein höheres künstlerisches Eigengewicht, als in allen zuvor entstandenen Klavierzyklen.

So bieten die Fantasiestücke op. 12 ein facettenreiches Kaleidoskop motivischer, harmonischer und rhythmischer Finessen in unterschiedlichen Stimmungslagen. Die beigefügten Spielanweisungen in deutscher Sprache verdeutlichen die jeweils vom Rezipienten aufzugreifende Disposition, deren Palette von Sehr innig und Mit Leidenschaft bis hin zu Mit Humor und sogar Mit gutem Humor reicht. Der Bogen spannt sich über beide Hefte und führt jeweils von abendlich-nächtlicher zur heiter-beschwingten Stimmung. Zum ersten Mal greift Schumann dabei weder auf bekannte Tanzformen noch auf typisierte Gestalten zurück, wie noch im Carnaval op. 9.

Zart und lyrisch eröffnet Des Abends den Zyklus mit einer ununterbrochen perlenden Triolenbewegung. Dagegen stellt sich eine synkopisch in Zweierbewegung ablaufende Melodielinie im durchsichtig wirkenden Klaviersatz. Dem so erreichten eigenwillig schwebenden Charakter folgt der muntere, fast leidenschaftliche Aufschwung ganz konträr. Rhythmische Spannung wird hier durch eine kraftvoll-bewegte Melodik unterstrichen. Eher introvertiert zeigt sich dem gegenüber Warum?, dessen fragende, aufwärts gerichtete Anfangsfloskel das gesamte Stück durchzieht. Lebhaft und im tänzerischen Dreivierteltakt kommen die Grillen daher, denen sich die wohl aufwändigste Komposition der Sammlung anschließt. Dramatisch beginnt das vierteilig angelegte In der Nacht, das Elemente aus Nocturnes chopinscher Prägung ebenso aufgreift wie solche der Sonatenhauptsatzform. Ein ruhiger, gesanglicher Mittelteil vermag nur kurzzeitig die stürmische Leidenschaft aufzuheben. Die folgende Fabel glättet alle Wogen mit ihrem ausgeglichenen, im ruhigen Dialog fließenden Duktus, bevor sich in Traumes Wirren erneut, rhythmisch pointiert und mit virtuosem Klaviersatz, eine spannungsgeladene Atmosphäre aufbaut. Als humorvollen Rückblick, der dennoch nicht aller Dramatik die Spitze nehmen soll, gestaltet Schumann das Ende vom Lied.

„... am Ende löst sich doch Alles in eine lustige Hochzeit auf – aber am Schluß kam wieder der Schmerz um Dich dazu und da klingt es wie Hochzeit- und Sterbegeläute untereinander“, erklärte Schumann seiner Clara diesen Ausgang. Auch über eine Verbindung des herausragenden fünften Stückes In der Nacht zur antiken hellenistisch-römischen Sage von Hero und Leander berichtete er ihr, die im selbst wohl nach der Komposition auffiel: Hero schwamm in jeder Nacht durch das Meer, um zu seiner Geliebten zu gelangen, die – ihm mit brennender Fackel den Weg weisend – in einem Leuchtturm auf ihn wartete. Das Ende dieser Geschichte allerdings, den Liebestod, verschwieg der Komponist. Wie so oft im frühen Klavierwerk korrespondieren solche Zusammenhänge eng mit Schumanns Situation, war er doch ganz von der Hoffnung getragen, dass die durch Friedrich Wieck erzwungene Trennung von Clara ein Ende finden würde. Noch aber blieben quälende Zweifel bezüglich Claras Liebe, der er sich immer noch nicht versichert sah. Da passte es doch gut, dass sich im Frühsommer 1837 die hübsche schottische Pianistin Robena Ann Laidlaw (Schumann änderte ihren Namen des „musikalischeren“ Klangs wegen in Anna Robena) Laidlaw in Leipzig aufhielt. Häufig sah man den jungen Komponisten in deren Gesellschaft. Fraglich bleibt, ob Schumann tatsächlich die Eifersucht seiner zukünftigen Braut Clara erwecken wollte, um daran den Grad ihrer Liebe zu messen. Jedenfalls widmete er seine Fantasiestücke op. 12 der Pianistin Laidlaw.

(Irmgard Knechtges-Obrecht)