Zum 225. Geburtstag und 150. Todestag von Mariane Bargiel (1797–1872). Entdeckungen und Erinnerungen

Theresa Schlegel, im März 2022

Mariane Bargiel 2022 - Theresa Schlegel [PDF]

Mariane Bargiel, Foto nach einer Daguerreotypie aus Familienbesitz, Berlin,
um 1855 (Robert-Schumann-Haus Zwickau)

2022 jährt sich der 225. Geburtstag von Clara Schumanns Mutter Mariane Bargiel, geb. Tromlitz und zugleich ihr 150. Todestag. Die Pianistin und Sängerin wurde am 17. Mai 1797 in Greiz geboren. Sie war die älteste Tochter des Kantors, Musiklehrers und Komponisten George Christian Gotthold Tromlitz (1765–1825) und seiner Frau Christiana Friederica geb. Carl (1766–1830). Ihr Großvater war der berühmte Flötenvirtuose und Flötenbauer Johann Georg Tromlitz (1725–1805)1 – wie viele Musikerinnen dieser Zeit kam auch sie aus einer Musiker*innenfamilie, wodurch eine frühe Ausbildung sowie die Weitergabe von Wissen und wichtigen Kontakten über Generationen erfolgen konnte. Clara Schumann ist also nicht nur durch ihren Vater Friedrich Wieck zur Pianistin ausgebildet worden, sondern war mütterlicherseits eingebunden in eine traditionsreiche Musiker*innenfamilie. Auch fast alle ihre Geschwister und Halbgeschwister verfolgten eine musische Laufbahn.2

Pianistin, Sängerin und Klavierlehrerin in Leipzig

Mariane Tromlitz erhielt ihre musikalische Ausbildung zuerst von ihrem Vater und wurde später, wie ihre Schwester Emilie, Klavierschülerin von Friedrich Wieck in Leipzig, den sie 19-jährig am 23. Juni 1816 in Oberlosa/Voigtland heiratete. Ihr erstes öffentliches Konzert gab sie am 10. März 1813 in Plauen, bei dem sie in einem Klavierquartett des Mozart-Schülers Anton Eberl mitwirkte.3 Zwischen 1816 und 1824 trat sie als Sängerin und Pianistin, laut überlieferter Programmzettel, insgesamt achtzehnmal im Gewandhaus bzw. in Leipzig auf.4 So spielte sie etwa vier Monate nach der Geburt der kleinen Clara Wieck am 14. Januar 1820 die Große Sonate op. 44 von Ignaz Moscheles sowie mit Friedrich Wieck vierhändig ein Rondo brillant von Czerny.5 In Leipzig war Mariane Wieck auch als Klavierlehrerin tätig, trotz Konzerttätigkeit und wachsender Familie: Nach Clara (1819–1896) und der früh verstorbenen Adelheid (1817–1819) folgten die Geschwister Alwin (1821–1885), Gustav (1823–1884) und Victor (1824–1827).

Die Ehe mit Friedrich Wieck verlief nicht glücklich. 1824 kam es zur Trennung, im Mai desselben Jahres verließ Mariane Wieck ihren Mann und zog mit ihren Kindern Clara und Victor einige Monate nach Plauen zu ihren Eltern. Die Söhne Alwin und Gustav blieben bei Friedrich Wieck. Am 25. Januar 1825 erfolgte die Scheidung. Friedrich Wieck bestand darauf, seine Tochter Clara mit ihrem fünften Lebensjahr wieder zu sich nach Leipzig zu holen, was auch am 17. September 1825 geschah.6 Mariane Tromlitz, gesch. Wieck ging im selben Jahr eine zweite Ehe ein. Bisher waren das genaue Datum und der Ort ihrer Heirat mit Adolph Bargiel unbekannt.7 Eine Zeitungsannonce in der Leipziger Zeitung verrät es: Am 15. August 1825 heiratete sie in Plauen den Violinisten, Klavier- und Gesangslehrer Adolph Bargiel (1783–1841).8

Abb. 1: Bekanntmachung der Heirat August und Mariane Bargiels in der Leipziger Zeitung Nr. 303 vom 30. August 1825, S. 2280. „August“ war der erste Vorname von August Adolph Anastasius Bargiel.

Adolph Bargiel hatte Friedrich Wieck Jahre zuvor auf Gut Zingst bei Nebra kennengelernt, beide waren dort als Hauslehrer bei Adolph Freiherr von Seckendorff angestellt.9 Adolph Bargiel kam 1809 nach Leipzig, um dort Jura zu studieren. Seine eigentliche Berufung war aber die Musik: Er gab, um sein Studium zu finanzieren, Klavier- und Gesangsunterricht und war um 1814 Violinist im Gewandhausorchester.10 1818 eröffnete er in Leipzig eine eigene Gesangsschule11sowie 1822 eine Logier’sche Akademie, deren Leitung er bis Ostern 1825 inne hatte. 1826 wurde ihm die Leitung der Logier’schen Akademie in Berlin durch Bernhard Logier übertragen.12Nach seinen Unterrichtsmethoden bestehend u.a. aus Gruppenunterricht und dem sogenannten Chiroplast, einem Apparat zur Fingerhaltung, für dessen Benutzung Logier Lizenzgebühren einnahm, sowie seinen Harmonielehreschriften wurden in mehreren Städten Europas Musikschulen gegründet.13

Mariane Bargiel in Berlin – Klavierlehrerin, Mitglied der Singakademie und des Stern’schen Gesangvereins

Mariane und Adolph Bargiel zogen 1826 nach Berlin, im Adressbuch sind sie ein Jahr später zu finden, und zwar in demselben Haus, in dem Bernhard Logier zuvor gewohnt hat, in der Behrenstraße 32.14 Vermutlich befand sich ebendort auch das Musikinstitut. Ebenfalls bei ihnen wohnte Marianes Mutter Christiana Friederica Tromlitz.15

Mariane Bargiel war an dem Institut ihres Mannes auch als Klavierlehrerin tätig. An der renommierten Berliner Singakademie ist sie ab 1827 als Sopranistin und ab 1829 als Solistin in dem Mitgliederverzeichnis zu finden.16 Doch die Zeit in Berlin war auch von schweren Schicksalsschlägen geprägt: 1826 vermeldete Adolph Bargiel in der Leipziger Zeitung, dass Mariane Bargiel ihr erstes gemeinsames Kind, eine Tochter, am 2. September tot geboren hatte.

Abb. 2: Adolph Bargiels Anzeige in der Leipziger Zeitung Nr. 212 vom 9. September 1826, S. 2336.

Nur wenige Monate später, am 26. Januar 1827, starb ihr jüngster Sohn aus erster Ehe, Victor, an Diphterie.

Abb. 3: Todesanzeige für den kleinen Victor (1824–1827) in der Leipziger Zeitung Nr. 29 vom 2. Februar 1827, S. 336.

Im Juli 1830 starb ihre Mutter,17 und 1830/31 erreichte die Cholera Berlin ein Ereignis, in das wir uns heute aufgrund der Corona-Pandemie bestens hineindenken können. Die Cholera- Epidemie führte sogar zur Gründung einiger Zeitschriften, wie die Allgemeine Cholera- Zeitung bzw. unter ihrem langen Titel Mittheilungen des Neuesten und Wissenswürdigsten über die Asiathische Cholera sowie die Berliner Cholera-Zeitung. Auch damals versuchte man offenbar eine Art Kontaktnachverfolgung bzw. eine Statistik über die Infizierten, Genesenen und Verstorbenen zu führen, indem man die Erkrankten namentlich erfasste (siehe Abb. unten). Die Cholera-Epidemie hatte direkte Auswirkungen auf das von Adolph Bargiel geführte Musikinstitut: Aus Angst vor Ansteckung blieben die Schüler*innen dem Unterricht fern, wohlhabende Familien zogen sich auf ihre Landgüter zurück und somit blieben die Einnahmen aus. Adolph Bargiel hatte keine finanziellen Rücklagen und setzte mit den wenigen Schüler*innen seinen Unterricht fort, auch nachdem er 1836 einen Schlaganfall erlitten hatte. Die Familie lebte in wirtschaftlicher Not. Wenige Jahre später, am 4. Februar 1841, starb Adolph Bargiel.18

Abb. 4: Beilage zur Berliner Cholera-Zeitung, No. 1, 24. September 1831 [Ausschnitt], ZLB Berlin, online: https://digital.zlb.de/viewer/image/34161178_18 31/1/
Abb. 5: Potsdamer Platz, Blick in die Königgrätzerstraße (heute: Stresemannstraße) (Berliner Architekturwelt Heft 4, 1906, S. 119). In der Königgrätzerstraße befand sich Mariane Bargiels letzte Wohnadresse in Berlin.


Nach dem frühen Tod ihres zweiten Ehemannes sorgte Mariane Bargiel als Klavierlehrerin für das Auskommen ihrer Familie, d.h. ihrer vier Kinder Woldemar (18281897), Eugen (18301907), Cäcilie (18311910) und Clementine (18351869). Bis auf den Sohn Eugen, der Kaufmann wurde, nahmen alle Kinder eine musikalische Laufbahn auf: Ihre Töchter Cäcilie und Clementine wurden ebenfalls Klavierlehrerinnen, Woldemar Bargiel wurde Komponist, Pianist und Musiklehrer.19

Neben ihrer Tätigkeit als Klavierlehrerin war Mariane Bargiel außerdem Solistin und Choristin im Stern’schen Gesangverein,20 der seit 1847 durch den Komponisten und Musikpädagogen Julius Stern (18201883) geleitet wurde.

Von ihrer Tochter Clara und ihrem Schwiegersohn Robert Schumann wurde Mariane Bargiel mehrmals in Berlin besucht. Als Clara Wieck im Rechtsstreit um die Ehe mit Robert Schumann von ihrem Vater verstoßen wurde, fand sie 1839/40 Aufnahme bei ihrer Mutter in Berlin. 21 Ab den 1850ern nahm Mariane Bargiel, trotz ihrer dauernden finanziellen Engpässe, auch zeitweilig einige ihrer Enkelkinder bei sich auf, so etwa von 1854 bis 1857 Julie und später um 1866/67 auch Ferdinand und Ludwig.22 Nach dem Tod Robert Schumanns zog Clara Schumann nach Berlin und wohnte hier von 1857 bis 1863, zunächst in der Dessauer Str. 2 wo übrigens auch Julius Stern von 1854 bis 1855 wohnte und ab 1861 am Schöneberger Ufer 22. Beide Adressen befanden sich nur wenige Gehminuten von der Wohnung ihrer Mutter am Leipziger Platz entfernt. Ein zweites Mal wohnte Clara Schumann, nach dem Tod Mariane Bargiels, von 1873 bis 1878 in Berlin direkt am Tiergarten In den Zelten 11.23

Ab 1855 wohnte Mariane Bargiel direkt am Leipziger Platz, ab 1859 zusammen mit ihrer Tochter Cäcilie. Ihre Tochter Clementine war im Juli 1859 nach Hendon bei London gegangen, um sich dort als Klavierlehrerin niederzulassen. Sie starb nur zehn Jahre später während eines Kuraufenthaltes mit nur 33 Jahren. Woldemar unterrichtete ab 1859 am Kölner Konservatorium, hatte Berlin aber schon zuvor zwischenzeitlich verlassen, um von 1846 bis 1850 am Leipziger Konservatorium zu studieren. Von 1864 bis 1874 war er Leiter einer Musikschule in Rotterdam, zog dann aber wieder nach Berlin, um an der von Joseph Joachim gegründeten Königlichen akademischen Hochschule für Musik Komposition zu unterrichten. Cäcilie Bargiel wohnte bis zum Tod ihrer Mutter in der gemeinsamen Wohnung und war in Berlin als Klavierlehrerin tätig.24 Die letzte Wohnung Mariane Bargiels befand sich in der Königgrätzerstraße 127, direkt am Leipziger Platz.

„Unsere liebe Mutter, Großmutter und Urgroßmutter…“

Mariane Bargiel starb am 10. März 1872 in Berlin an einer Gallenkolik, sie hatte zuvor schon jahrelang unter Magenbeschwerden gelitten. Sie hinterließ ihre Kinder aus erster Ehe: Clara Schumann, Alwin und Gustav Wieck, und aus zweiter Ehe: Woldemar sowie seine Ehefrau, die Pianistin Hermine Tours, Eugen und Cäcilie Bargiel sowie ihre zahlreichen Enkelkinder und Urenkel. Am 13. März 1872 wurde Mariane Bargiel in dem Familiengrab auf dem Dreifaltigkeitsfriedhof II in der Bergmannstraße beerdigt.<25 In der Todesanzeige in der Vossischen Zeitung ist zu lesen:

„Unsere liebe Mutter, Großmutter und Urgroßmutter, die verw. Musikdirektor Frau Marianne Bargiel, geb. Tromlitz, verschied heute Morgen 10 Uhr in ihrem 75. Lebensjahre. Berlin, den 10. März 1872.
Die Hinterbliebenen.“26

Abb. 6: Todesanzeige in der Vossischen Zeitung vom 12. März 1872, o. S.

Clara Schumann hielt sich im März 1872 gerade auf Konzertreise in London auf, ihr Sohn Felix hatte in Berlin sein Abitur erfolgreich bestanden und durfte zur Belohnung ab Ende März für einige Wochen zu ihr nach London reisen. Noch in Berlin berichtete er ihr am Tag der Beerdigung in einem Brief: „…ich muß jetzt schließen, um zum Begräbniß der lieben Großmutter zu gehn. Sie hat es nun überstanden; es war eine traurige Zeit, die wir durchgemacht haben, aber ihr Tod, wenn er in ihrem Alter überhaupt nicht unerwartet kommen konnte, war ja außerdem durch so große Leiden vorbereitet, daß nicht nur mein Schmerz, sondern auch der Cäciliens und Woldemars mehr milde und friedlich, denn heftig und leidenschaftlich ist. Ich habe sie noch gestern im Sarge gesehn; ihr Gesicht hatte etwas unbeschreiblich mildes und edles, da habe ich recht empfunden, was es heißt ,die ausgerungenen Todten‘ und der ,langhinstreckende Tod.‘“27 Wenige Zeit später fügte er am Ende des Briefes noch hinzu: „P.S. Ich komme eben vom Begräbniß zurück; es war sehr schön.“28

An ihre langjährige Freundin Emilie List schrieb Clara Schumann am 23. März 1872: „Ich hatte neulich den Schmerz die Mutter zu verlieren, die nach 14tägigem sehr schwerem Leiden am 10. März starb, 75 [recte: 74] Jahre alt. Für meine Schwester [Cäcilie], die mit ihr lebte, ist es furchtbar, und eine neue Sorge erwächst mir dadurch. Wie mancher wehmütige Gedanke in dieser Zeit meine Seele durchzog, wirst Du glauben. War unser Verhältniß auch kein normales, nicht das von Mutter und Kind, so war es mir doch höchst schmerzlich, hier [in England] künstlerisch wirksam sein zu müssen, im Concert zu spielen, während sie mit dem Tode rang! Was habe ich doch in solcher Art in meinem Leben schon durchgekämpft!“29

Nicht nur von ihrer Familie wurde sie betrauert, auch ein öffentliches Andenken fand statt: Am 14. Mai 1872 veranstaltete die Berliner Singakademie eine Gedächtnissfeier [sic] für die im Laufe des Jahres verstorbenen Mitglieder“.30 Eröffnet wurde die Feier mit einem vierstimmigen Choral von J.S. Bach („Die Herrlichkeit der Erden muss Staub und Asche werden“) und einer Rede des Direktors Eduard Grell. Doch schon wenige Jahre nach ihrem Tod verschwandt Mariane Bargiel aus dem öffentlichen Gedächtnis, ihre musikhistorische Bedeutung wurde erst in den letzten Jahren durch die Clara- Schumann-Forschung wiederentdeckt.

Auf der Suche nach Mariane Bargiels Grab

2021 begab ich mich auf die Suche nach der Grabstätte von Mariane Bargiel in Berlin, ein Vorhaben, das ich eigentlich schon im Clara-Schumann-Jahr 2019 angehen wollte und zufälligerweise am 17. Mai 2021, Mariane Bargiels 224. Geburtstag, startete. Maßgeblich angeregt oder an dieses Vorhaben erinnert, wurde ich durch den Dokumentarfilm Komponistinnen, in dessen Rahmen die Pianistin Kyra Steckeweh zusammen mit dem Historiker Jörg Kuhn die Grabstelle der Komponistin Emilie Mayer auf dem Dreifaltigkeitsfriedhof I vor dem Halleschen Tor in Berlin wiederentdeckte.31 Auch ich begab mich auf eine Vorortrecherche in der Bergmannstraße auf dem seit 1825 existierenden Dreifaltigkeitsfriedhof II, durchsuchte Zeitschriften und alte wie neue Friedhofsführer nach Informationen und nahm Kontakt mit der Friedhofsverwaltung des Evangelischen Friedhofsverbands Berlin Stadtmitte (Region Süd) auf. Dort halfen mir Anke Sander, die meine Anfrage entgegennahm, sowie die Archivarin Cristina Jahn und der Historiker Jörg Kuhn bei der Suche.

Meine erste Vorortrecherche auf dem Friedhof an der Bergmannstraße blieb zunächst ergebnislos. Da das Grab mit dem Gedenkstein von Woldemar Bargiel auf demselben Friedhof erhalten ist (im Feld J-011-019), vermutete ich auch das von Mariane Bargiel in unmittelbarer Nähe. Aber es war kein Grabstein von Mariane Bargiel zu finden. Nur die Friedhofsverwaltung konnte letztlich durch meine Suchanfrage und die Recherche in den Totenbüchern, die Jörg Kuhn unternahm, die einstige Grabstelle lokalisieren: Die alte Grabstellenbezeichnung ihres Grabes lautete „Wahlstelle Oberallee B-I- Über der Familie“ und befand sich im Feld B, Reihe 1 (Oberallee). Möglicherweise wurde das Familiengrab 1841 zum Tod ihres Ehemannes Adolph Bargiels angelegt. Auch ihre früh verstorbene Tochter Clementine wurde 1869 hier beerdigt. Die heutige Bezeichnung der Grabstätte lautet „B-001“.32 Jedoch ist die historische Grabstelle schwer zu lokalisieren, da ältere Pläne keine detaillierten Bezeichnungen bzw. Nummerierungen der einstigen Reihen aufweisen und unklar ist, ob die Zählung auch 1841 bzw. 1872 so existierte. Pläne um 1841 oder 1872 konnte ich bisher nicht auffinden.

8 Abb. 7: Ansicht des Grabes von Woldemar Bargiel auf dem Ev. Dreifaltigkeitsfriedhof II, Bergmannstraße 39, Berlin. Am Fuße des Grabes befindet sich ein Gedenkstein für seinen Sohn Hermann Bargiel (1881–1915) und seine Schwiegertochter Adelheid geb. Schenk (1885–1931). Die heute nicht mehr erhaltenen Gräber seiner Schwester Cäcilie Bargiel und seiner Frau Hermine geb. Tours befanden sich in der gleichen Reihe (Foto der Autorin, Mai 2021).

Um die einstige Grabstelle im Feld B genauer lokalisieren zu können, suchte ich nach weiteren Informationen. In einem 1919 herausgegebenen Friedhofsführer von Bernhard Hoeft, der u.a. das Grab Woldemar Bargiels vorstellt, ist zu lesen, dass die Ruhestätte von Adolph und Mariane Bargiel unweit der von Familie Reimer lag.33 Die Grabstätte der Berliner Verlegerfamilie Reimer ist auch heute noch erhalten und befindet sich auf dem Feld „U-BOA“ an einer Mauer (siehe Abb. unten rechts). Auf dem aktuellen Plan des Friedhofs (siehe Abb. nächste Seite) sind die Reihenbelegungen des 19. Jahrhunderts aber nicht mehr erkennbar, im Gegensatz zu dem erhaltenen ursprünglichen Wegenetz und den Feldern. Und fraglich ist, was „unweit“ genau heißt. Da sich das Familiengrab Bargiel an der Oberallee befand, muss es wohl in Sichtweite der Reimers gelegen haben, also vermutlich am Rand des Feldes B direkt an der Oberallee.

Abb. 8: Blick in die Oberallee auf dem Dreifaltigkeitsfriedhof II, rechts im Bild das Grab von Friedrich Schleiermacher. Hinter der Kapelle auf der linken Seite befindet sich das Reimer’sche Familiengrab (Foto der Autorin, März 2022).

 

Abb. 9: Das Reimer’sche Familiengrab auf dem Dreifaltigkeitsfriedhof II (Foto der Autorin, März 2022).

 

Abb. 10: Friedhöfe Bergmannstraße, aktueller Plan des Evangelischen Friedhofverbands Stadtmitte und Stattbau GmbH Berlin [Textfelder hinzugefügt].

2022 jährt sich auch der 125. Todestag von Woldemar Bargiel dass sein Grab erhalten wurde, obwohl er heute eher zu den vergessenen Komponisten gezählt wird, liegt wohl an seiner öffentlichen Position, die er als Komponist und Musikprofessor der Berliner Musikhochschule inne hatte. Er war außerdem ab 1877 Mitglied der Berliner Akademie der Künste.34 Sein Freundes-, Kollegen- und Schülerkreis war es auch, der ein Jahr nach seinem Tod ein Grabdenkmal für ihn errichten ließ. Die Zeitschrift Signale berichtete hierzu am 14. November 1898:

„Ein Grabdenkmal für Woldemar Bargiel, den im vorigen Jahre verstorbenen Componisten und Professor der Berliner Königlichen Hochschule für Musik, wurde am 6. November auf dem Neuen Dreifaltigkeitskirchhof in Berlin unter entsprechender Feierlichkeit enthüllt. Das von Kunstgenossen, Schülern und Freunden des Verewigten errichtete Denkmal ist ein schlichter Granitgrabstein mit dem von einem Lorbeerkranz umgebenen Medaillonbildniß Bargiel’s in Bronze.“ 35

Zur Enthüllungsfeier waren neben zahlreichen Festgästen u.a. Richard Schöne, Generaldirektor der Königlichen Museen, Joseph Joachim, Heinrich von Herzogenberg und Ernst Rudorff auch seine Witwe Hermine Bargiel (18451911) sowie seine Kinder Clementine (18711957), Hermann (18811915) und Clara (18861952), später verheiratete Schmiedel, anwesend. Auch sein Bruder Eugen (18301907) und seine Schwester Cäcilie (18321910) wohnten der Zeremonie bei. Das Lehrerkollegium und Studierende der Hochschule für Musik legten Kränze am Grab nieder, ein von Bargiel komponiertes und von Prof. Kosleck für Bläser bearbeitetes Adagio für Cello wurde gespielt, außerdem sang ein A-capella-Chor den Spruch Daniel 12, 2-3 („Viele, so unter der Erde schlafen“). Abschließend hielt Joseph Joachim eine Weiheredeund der Schlusschoral aus J.S. Bachs Johannispassion, die Lieblingsweise Bargiels, beendete die Enthüllungsfeier.36

Aus dem 1919 erschienenen Friedhofsführer von Bernhard Hoeft lässt sich die damalige Gestaltung des Grabes erahnen das Grab seiner Frau Hermine geb. Tours ist jedoch nicht mehr erhalten:

„Weiter und vorüber an der Kastanienallee, – dann biegen wir in den Seitenweg ein. Aus einem Rosenhag und rankendem Efeu erhebt sich an einem Familiengrabe ein Granitgedenkstein, dessen lorbeergeschmücktes Bronzerelief Ernst Herters Künstlerhand geschaffen. Hier schlummert an der Seite seiner Gattin Woldemar Bargiel, einer der hervorragendsten und bedeutendsten unter den schaffenden Meistern der Tonkunst.“37

Abb. 11: Grabstein Woldemar Bargiel mit dem Porträtrelieftondo von Ernst Herter (1846–1917) (aus Hoeft 1919, S. 176).

 

Abb. 12: Grabstein Woldemar Bargiel (Foto der Autorin, Mai 2021).

 

Mariane Bargiels Wohnadressen in Berlin

46 Jahre lang lebte Mariane Bargiel in Berlin, von 1826 bis 1872, und an acht verschiedenen Orten hat sie gewohnt. Die unten stehenden Adressen finden sich auf dem Kartenausschnitt von 1871 (siehe Abb. nächste Seite) mit der entsprechenden Nummerierung eingezeichnet. Einige Straßen wurden im Laufe der Zeit umbenannt oder die Hausnummernzählung änderte sich. Die Jahresangaben in Klammern beziehen sich auf die Jahrgänge der Berliner Adressbücher, in denen Mariane Bargiel unter der betreffenden Adresse verzeichnet war, d.h. der Einzug fand wohl meist ein Jahr zuvor statt. Auffällig ist, dass sich ihre Wohnadressen nach dem Tod ihres Ehemannes Adolph Bargiel 1841 nicht mehr im Stadtkern befinden, sondern ab 1841/42 zunächst in der zu der Zeit weniger dicht besiedelten Louisenstraße, dann einige Jahre in der Linksstraße außerhalb der Akzisemauer und zuletzt wieder an dem belebten Potsdamer- bzw. Leipzigerplatz.

  1. Behrenstraße 32 (18271830)
  2. Jägerstraße 24 (18311833)
  3. Unter den Linden 27 (18341837)
  4. Unter den Linden 24 (18381839)
  5. Hinter der Katholischen Kirche 2 (18401841)
  6. Louisenstraße 21 (18421847) - Louisenstraße 35 (vormals Nr. 21) (18481851)
  7. Linksstraße 43 (18521854)
  8. Potsdamer Communication 3 (Eingang Leipziger Platz 3) (18551869) - Königgrätzerstraße 127 (vormals Potsdamer Communication 3) (18701872), heutige Stresemannstraße
Abb. 13: Grundriss von Berlin. Ueberdruck des mittleren Theils aus Sineck’s Situations-Plan von Berlin mit dem Weichbilde und Charlottenburg in vier Blättern, Verlag von Dietrich Reimer, 1871 [Ausschnitt; Markierungen hinzugefügt] (Wikimedia Commons).
  1. Vgl. Hanna Bergmann: Art. „Bargiel, Marianne, geb. Tromlitz, verh. Wieck, verh. Bargiel“, in: Online-Lexikon Europäische Instrumentalistinnen des 18. und 19. Jahrhunderts, hrsg. von Freia Hoffmann, Sophie-Drinker- Institut 2009, online: https://www.sophie-drinker-institut.de/bargiel-marianne
  2. Vgl. hierzu auch Beatrix Borchard: Clara Schumann: Musik als Lebensform. Neue Quellen. Andere Schreibweisen, Hildesheim 2019, S. 76–80; vgl. Beatrix Borchard: „Eine Frage der Schreibperspektiven. Paare – Familien – Einzelne“, in: Christine Fornoff-Petrowski und Melanie Unseld (Hrsg.): Paare in Kunst und Wissenschaft (= Musik – Kultur – Gender 18), Köln u. a. 2021, S. 19–31.
  3. Vgl. Bergmann: Art. „Bargiel, Marianne“ (wie Anm. 1).
  4. Vgl. Bert Hagels: Konzerte in Leipzig 1779/80 bis 1847/48. Eine Statistik, Berlin 2009, Anhang „Konzerte in Leipzig 1779/80 bis 1847/48“.
  5. Vgl. Hagels: Konzerte in Leipzig (wie Anm. 4), Anhang, S. 678. Für das Werk von Czerny liegen keine näheren Angaben vor.
  6. Vgl. Clara Schumann. Jugendtagebücher 18271840. Nach den Handschriften im Robert-Schumann-Haus Zwickau, hrsg. von Gerd Nauhaus und Nancy B. Reich unter Mitarbeit von Kristin R.M. Krahe, 2., rev. Aufl., Hildesheim 2019, S. 7; vgl. auch Schumann-Briefedition I.3: Familienbriefwechsel (Briefwechsel Robert und Clara Schumanns mit der Familie Bargiel), Editionsleitung Thomas Synofzik und Michael Heinemann, hrsg. von Eberhard Möller, Köln 2011, S. 29 f.
  7. Vgl. Elisabeth Schmiedel und Joachim Draheim: Eine Musikerfamilie im 19. Jahrhundert: Marianne Bargiel, Clara Schumann, Woldemar Bargiel in Briefen und Dokumenten, Bd. 1, München u.a. 2007, S. 19 FN 30; vgl. Schumann-Briefedition I.3 (wie Anm. 6), S. 30 FN 8.
  8. Vgl. Leipziger Zeitung Nr. 303 vom 30. August 1825, S. 2280.
  9. Vgl. Clara Wieck, Jugendtagebücher (wie Anm. 6), S. 397 Anm. 11.
  10. Vgl. Adolph Bargiel „Curriculum vitae“ (nach 1830), in: Schmiedel/Draheim: Eine Musikerfamilie im 19. Jahrhundert (wie Anm. 7), S. 2024, hier S. 2022; vgl. Hagels: Konzerte in Leipzig (wie Anm. 4), Anhang, S. 590.
  11. Vgl. Allgemeine musikalische Zeitung Nr. 46 vom 18. November 1818, Sp. 805809.
  12. Vgl. Adolph Bargiel „Curriculum vitae“ (nach 1830), in: Schmiedel/Draheim: Eine Musikerfamilie im 19. Jahrhundert (wie Anm. 7), S. 2122.
  13. Vgl. Nuala McAllister-Hart: Art. „Logier, Johann Bernhard“, in: Ludwig Finscher (Hrsg.): Musik in Geschichte und Gegenwart, Personenteil, Bd. 11, Stuttgart 2004, Sp. 404405.
  14. Vgl. Eintrag „Bargiel, A.A., Direktor der ehem. Logierschen Akademie, Behrenstr. 32.“, in: Allgemeiner Wohnungsanzeiger für Berlin auf das Jahr 1827, hrsg. von J.W. Boicke, o. S., online: https://digital.zlb.de/viewer/image/34111663_1827/24/; vgl. Eintrag „Logier, J.B., Professor der Musik, Behrenstr. 32.“, in: Allgemeiner Wohnungsanzeiger für Berlin auf das Jahr 1827, hrsg. von J.W. Boicke, o. S., online: https://digital.zlb.de/viewer/image/34111663_1826/374/
  15. Vgl. Schumann-Briefedition I.3 (wie Anm. 6), S. 37 Anm. 4.
  16. Vgl. Schmiedel/Draheim: Eine Musikerfamilie im 19. Jahrhundert (wie Anm. 7), S. 24; vgl. Bergmann: Art. Bargiel, Marianne“ (wie Anm. 1).
  17. Vgl. die Todesanzeige in der Leipziger Zeitung vom 27. Juli 1830, S. 2056.
  18. Vgl. Schmiedel/Draheim: Eine Musikerfamilie im 19. Jahrhundert (wie Anm. 7), S. 2425; vgl. Schumann- Briefedition I.3 (wie Anm. 6), S. 30.
  19. Vgl. Borchard: „Eine Frage der Schreibperspektiven“ (wie Anm. 2), S. 1931, hier S. 20.
  20. Vgl. Schumann-Briefedition I.3 (wie Anm. 6), S. 31.
  21. Siehe hierzu weiterführend Theresa Schlegel: „Robert Schumann in Berlin“, in: Schumann-Journal 7/2018, Stadtmuseum Bonn, S. 142–214; Theresa Schlegel: „Auf Clara Schumanns Spuren in Berlin“, in: Schumann- Journal 8/2019, Stadtmuseum Bonn, S. 137161.
  22. Vgl. Schmiedel/Draheim: Eine Musikerfamilie im 19. Jahrhundert (wie Anm. 7), S. 210, 213; vgl. Schumann- Briefedition I.3 (wie Anm. 6), S. 31, S. 208 f., S. 458 Anm. 6 und S. 469 Anm. 4.
  23. Zu Clara Schumanns Wohnorten in Berlin s.a. Schlegel: „Auf Clara Schumanns Spuren“ (wie Anm. 21), S. 137161. #
  24. Vgl. „Geschwister und Halbgeschwister Clara Schumanns“, in: Schumann-Portal hrsg. von Ingrid Bodsch, online: https://www.schumann-portal.de/geschwister-und-halbgeschwister.html
  25. Vgl. Elisabeth Schmiedel und Joachim Draheim: Eine Musikerfamilie im 19. Jahrhundert: Marianne Bargiel, Clara Schumann, Woldemar Bargiel in Briefen und Dokumenten, Bd. 2, München u.a. 2007, S. 561.
  26. Vossische Zeitung vom 12. März 1872, o. S. Der bei Schmiedel und Draheim übertragene Text der Todesanzeige weist einige orthografische Abweichungen von dem Original in der Vossischen Zeitung auf, vgl. Schmiedel/ Draheim: Eine Musikerfamilie im 19. Jahrhundert (wie Anm. 25), S. 561.
  27. Schumann-Briefedition I.10: Familienbriefwechsel (Briefwechsel Clara und Robert Schumanns mit den Kindern Elise, Ludwig und Felix), Editionsleitung Thomas Synofzik und Michael Heinemann, hrsg. von Thomas Synofzik und Michael Heinemann, Köln 2019, S. 638639.
  28. Schumann-Briefedition Serie I.10 (wie Anm. 27), S. 639.
  29. Zit. nach Schmiedel/Draheim: Eine Musikerfamilie im 19. Jahrhundert (wie Anm. 25), S. 562.
  30. Allgemeine musikalische Zeitung Nr. 22 vom 29. Mai 1872, Sp. 356.
  31. Komponistinnen. Eine filmische und musikalische Spurensuche, Dokumentarfilm von Kyra Steckeweh und Tim van Beveren, Berlin: tvbmedia productions 2018.
  32. Für die Recherche und Auskunft danke ich Cristina Jahn und Jörg Kuhn.
  33. Vgl. Sylvia Müller, Hainer Weißpflug und Hans-Jürgen Mende: Dreifaltigkeits-Friedhof II. Ein Friedhofsführer, 2., überarb. Aufl., Berlin 2004, S. 4952, 56.
  34. Vgl auch die Nachrufe in Signale für die musikalische Welt Nr. 15 vom 26. Februar 1897, S. 233; Signale für die musikalische Welt Nr. 16 vom 26. Februar 1897, S. 241 f.
  35. Signale für die musikalische Welt Nr. 57 vom 14. November 1898, S. 906. Der Friedhof wurde in Abgrenzung zum älteren Dreifaltigkeitsfriedhof vor dem Halleschen Tor „Neuer Dreifaltigkeitsfriedhof“ genannt.
  36. Vgl. „Das Grabdenkmal für Woldemar Bargiel“, in: Berliner Lokal-Anzeiger 16. Jg., Nr. 522 vom 7. November 1898, Beiblatt der zweiten Ausgabe (Abendblatt), o. S.; vgl. „Lokales“, in: Vossische Zeitung (Kö-niglich privilegirte Berlinische Zeitung von Staats- und gelehrten Sachen) Nr. 522 vom 7. November 1898, o. S.; vgl. „Lokal-Berichterstatter. […] Der Denkstein für Woldemar Bargiel“, in: Berliner Intelligenzblatt mit Berliner Stadt-Anzeiger und Gerichts-Zeitung 172. Jg., Nr. 307 vom 8. November 1898, S. 19.
  37. Bernhard Hoeft: Berühmte Männer und Frauen Berlins und ihre Grabstätten. I. Der Dreifaltigkeitsfriedhof in der Bergmannstraße, Berlin 1919, S. 175.