Ein Lichtblick!
Fono Forum, Juni 2011, Seite 74
Ferdinand David war eine Schlüsselfigur in der Geigerszene des 19. Jahrhunderts. Als Konzertmeister des Leipziger Gewandhausorchesters hatte er eine exponierte Position inne, sein Anteil an der Entstehung von Mendelssohns Violinkonzert war erheblich, als Violinprofessor am Leipziger Konservatorium prägte er eine neue Generation von Geigern, Virtuosen wie August Wilhelmj und Joseph Joachim gehörten zu seinen Schülern. David war auch mit Robert und Clara Schumann befreundet. Schumann widmete ihm die Violinsonate op. 121.
An diese besondere Beziehung knüpfen neue Live-Aufnahmen mit Ingolf Turban an, der im selbst verfassten Begleitheft sogar von einer „musikalischen Seelenverwandtschaft“ sprich. Die drei Violinsonaten Schumanns stehen hier einer Sammlung von 16 Charakterstücken Davids gegenüber (Ersteinspielungen), dessen kompositorisches Schaffen kaum bekannt ist. Dennoch sollte jeder Geiger einmal in die Sammlungen der „Salonstücke“, der „Bunten Reihe“ oder „aus der Ferienzeit“ schauen. Er wird dort viele kleine Pretiosen finden, als Zugaben wunderbar geeignet. Turban zeigt mit Esprit, wie viel Musik in diesen Miniaturen steckt, lotet dabei aber genauso die emotionalen Tiefen von Schumanns Violinsonaten aus und hält sich dabei an die Metronomangaben des Komponisten, die nicht immer ernst genommen werden.
Ingolf Turban ist einer der wenigen wirklich kreativen und wagemutigen Geiger, kaum jemand hat mehr Violinraritäten ausgegraben. In seiner Diskographie summieren sich Pionierleistungen, realisiert auf geigerisch unanfechtbarem Niveau. Seine von enormem Idealismus getragene Arbeit ist ein Lichtblick im kommerzialisierten, zunehmend PR-gesteuerten Musikbetrieb, in dem vor allem das Standardrepertoire rekapituliert wird und Äußerlichkeiten nicht selten mehr zählen als künstlerische Qualität.
Norbert Hornig
Schumann, Violinsonaten; David, Charakterstücke; Ingolf Turban, Lukas Maria Kuen (2010); Telos/Profil 2 CD 881488000986 (120’)