Jimin Oh-Havenith für das Schumann-Portal im Gespräch mit Jan Ritterstaedt über ihre Schumann-Einspielungen
Jimin Oh-Havenith (Foto: Uwe Arens), vgl. https://jiminohhavenith.com
Jimin Oh-Haveniths bisherige drei Schumann-Einspielungen haben in der internationalen Kritik nur Bestnoten erhalten, ihr drittes Schumann-Album „wild | mild“, erschienen Anfang Oktober 2024, wurde mit Lobeshymnen bedacht und im November für die Kategorie „Solo instrument“ des ICMA 2025 nominiert. Remy Franck, auch Jury-President der ICMA, schrieb in Pizzicato, 4.10.2024: „Sie hat das Fantastische von Schumann vollkommen erfasst und differenziert den Carnaval ganz deliziös und mit liebevoll poetischem Blick auf das bunte Treiben. Dabei bleibt die Musik schön gesanglich.“ (vgl. https:// www.pizzicato.lu/schumanns-gedankenwelt-komplett-erfasst/, siehe auch: https://www.schumann-portal.de/)
Jan Ritterstaedt hat sich mit Jimin oh-Havenith im Oktober 2024 im Studio während ihrer Brahms-Aufnahmen getroffen und mit ihr ein Interview über ihr Schumann-Aufnahmeprojekt geführt:
„Schumann üben heißt für mich erst einmal mich einzulassen“
Man muss schon ein bisschen Glück haben, um die Pianistin Jimin Oh- Havenith einmal im Konzert erleben zu dürfen. Die gebürtige Südkoreanerin macht sich rar auf den Konzertpodien. Dafür spielt sie regelmäßig neue CDs ein. Musik von Chopin, Louis Moreau Gottschalk, Johann Sebastian Bach, Ludwig van Beethoven und vielen mehr hat sie bereits aufgenommen. 2022 hat sie sich dann das Klavierwerk von Robert Schumann vorgenommen. Drei CDs sind bereits beim Label audite erschienen. Jan Ritterstaedt hat sich mit Jimin Oh-Havenith über ihr Aufnahme-Projekt, ihre Sicht auf Robert Schumann und seine Musik unterhalten.
Wie ist denn die Idee zu dieser Schumann-Aufnahmeserie entstanden?
Das Schumann-Projekt ist entstanden, weil mein Mann Schumann über alles liebt und meinte, dass mir Schumann liegt! Ich selbst habe immer Scheu vor Schumann gehabt.
Warum diese Scheu?
Immer wenn ich Schumann gehört habe, habe ich mich ganz merkwürdig berührt gefühlt. Es war nicht angenehm für mich. Ganz anders als bei anderer Musik – egal welche Art, es war immer positiv, bei Schumann jedoch nicht. Da fühlte ich mich fast wund. Es war für mich nicht einfach seine Musik zu spielen. Aber natürlich habe ich seine Stücke gespielt, man muss Schumann spielen. Die Abegg-Variationen habe ich mit 13 gespielt und mit 17 schon die große Sonate op. 14. Ich war sogar sehr erfolgreich damit. Ich weiß nicht warum, es muss ein unbewusster Zugang zu Schumanns Musik vorhanden gewesen sein, den ich später erst wieder bewusst aus mir herausformen musste. Aber danach habe ich Schumann weggelegt. Vor ein paar Jahren hat mein Mann dann gesagt: du spielst sicher ganz toll Schumann. Du solltest Schumann spielen und aufnehmen! Da habe ich gesagt: oh nein, muss das sein? (lacht). Und jetzt kann ich mir das Leben ohne Schumanns Musik überhaupt nicht mehr vorstellen.
Wie schwierig ist es dann für Sie gewesen, Schumann zu spielen und aufzunehmen?
Der Prozess war hart. Wenn man jung ist, nimmt man sich ein Stück vor, was einen im Moment anspricht. Man fängt an zu üben, und übt eben bis man das kann oder das Gefühl hat, dass man es kann. Jetzt hingegen merke ich, dass das Üben und Sich-Auseinandersetzen mit den Stücken ein ganz anderer Prozess ist. Ich muss mich richtig darauf einlassen, einmal auf das Stück, aber auch auf das, was dahintersteht, diesen Komponisten, diesen Menschen, sein Leben und noch weit mehr. D.h. Schumann üben heißt für mich erst einmal mich auf all das einzulassen.
Wie sieht dieses Einlassen auf Schumann genau aus?
Einlassen heißt, dass man fühlt, wie er sich gefühlt haben mag, wie sein Leben, die Umstände und vor allem sein Kampf und das Ringen um seine Musik gewesen ist, sodass diese Werke überhaupt entstehen konnten. Das sind ja irrsinnige Prozesse. Wir haben immer nur die gedruckten Noten vorliegen und denken: ja, ich spiele Schumann. So einfach entsteht ein Werk nicht. Wenn wir sehen, wie lang der Entstehungsprozess mancher Kompositionen gedauert hat, müsste allein das unseren Umgang wirklich ernsthafter machen. Und Schumann hatte ja auch noch sein normales Leben, das damals viel härter und schwieriger war als unseres heute. Das ist eine ganz andere Herausforderung gewesen.
Sie versuchen also beim Einstudieren eines Stückes, den Kompositionsprozess Schumanns nachzuvollziehen und nachzuempfinden. Wie haben Sie sich denn darüber hinaus vorbereitet?
Man versteht diese Musik nicht, weil man die Biografie liest, aber es hilft. Musik muss am Ende aus der Musik selbst heraus verstanden werden. Trotzdem: das Ganze, das Leben so eines Komponisten, hilft das Verstehen zu vertiefen. Der Arbeitsprozess ist wirklich hart, weil man so lange graben muss, bis man etwas findet. Das Stück spielen zu können heißt überhaupt nicht, dass man etwas gefunden hat. Für mich ist das so: Ich muss mit den Stücken noch lange weiterarbeiten, auch wenn ich sie eigentlich schon spielen kann.
Nach welchen Kriterien haben Sie die Stücke für die jeweiligen CDs ausgewählt? Bei der ersten, „For Clara“, ist es die Klaviersonate Nr. 1 fis-Moll op. 11 und die Fantasie C-Dur op. 17.
Ich habe erst einmal die Stücke ausgewählt, die sehr mit Clara verbunden sind. Das war für mich sehr wichtig, weil ich in Clara als Frau schon ein Leben sehe, vor dem ich großen Respekt habe und Bewunderung empfinde, wie sie dieses Leben geschafft, d.h. ihr Leben gelebt hat. Außerdem ist die Liebe von beiden, wie sie aus Briefen und Tagebüchern überliefert ist, schon wirklich etwas Außergewöhnliches, das mich von Anfang an tief berührt hat. Hieraus kommt diese erste CD „For Clara“, da aus Roberts Herz, seiner Liebe diese Stücke entstanden sind.
Danach kam die CD „inSANE“. Die Krankheit von Robert ist immer wieder ein Thema, es ist schwer da durchzudringen. Man kann über seine Krankheit und den Verlauf sprechen, und man weiß auch, was passiert ist. Aber für mich war in seiner Musik nie etwas davon zu hören. In keiner Weise! Das wollte ich durch diesen Titel klarstellen: inSANE, „im Gesunden“, aber auch „insane“ wie es heute im Englischen verwendet wird für etwas Tolles, Großartiges. Seine Musik ist sehr gesund für mein Empfinden, da ist nichts Krankes, im Gegenteil: ich kenne kaum solch eine positive Kraft wie in seiner Musik und in seinem Klang. Ich habe immer das Gefühl: dieses Herz ist so stark und derart positiv, es steht so zum Leben. Schumann kann nicht hoch genug jubeln.
Inwiefern passen dazu die Kreisleriana op. 16 und die Humoreske op. 20 auf der CD „inSANE“? Was zeichnet diese beiden Werke aus?
Bei der Kreisleriana ist es einfach: die Figur des Kapellmeisters Kreisler von E.T.A. Hoffmann (in dem Schumann sich selbst gesehen hat) war tatsächlich nicht „normal“. Und bei der Humoreske hat Schumann geschrieben, dass er sie „weinend und lachend“ komponiert hat. Da passt das Verrückte schon. In gewissem Sinne ist das „normal“ Sein für diese Art Kreativität und Kraft nicht möglich. Beide Stücke zeigen das Schöne, das Bizarre, Groteske und Abgründige, das Traurige und Zerbrechliche, so viele Aspekte der menschlichen Empfindung in dichtester Folge und obwohl es so dicht ist, äußerst nuanciert und sehr frei. Manche würde das als verrückt empfinden.
Und dann haben Sie noch eine dritte CD aufgenommen, die auch einen Aspekt von Schumanns Persönlichkeit aufgreift, mit dem Carnaval op. 9 und den Davidsbündlertänzen op. 6. „wild | mild“ lautet der von Ihnen gewählte Titel. Wie ist der zu verstehen?
Das hat mit seinen zwei Fantasiefiguren zu tun: „Florestan der Wilde, Eusebius der Milde“ wie Schumann das selbst beschreibt, mit ihren ganz unterschiedlichen Temperamenten. Die sind in seiner Musik immer wieder gegenwärtig. Eusebius ist als der Milde, Sanfte und Verträumte, eine Seite seiner Persönlichkeit. Die andere ist wild, ungestüm und voller Tatendrang. Das hat jeder Mensch in sich, nur bei ihm war das natürlich extremer. Schumann schafft es, diese beiden Seiten in Harmonie zu vereinen ohne zu verwischen, er zeigt, dass ein Zusammenleben dieser beiden Pole möglich ist.
Nachdem sie sich nun intensiv mit Schumanns Klaviermusik auf diesen drei CDs auseinandergesetzt haben: Wie würden Sie Schumanns Klavierstil charakterisieren?
Da ist dieser unglaublich phosphorisierende Klang. Schumann kann nicht genug leuchten. Das ist sein Ausdruck, sein Empfinden, seine Energie und sein Gefühl. All das führt zu diesem ungeheuren Klang, der so energiegeladen ist, dass er nicht genug schwingen und leuchten kann. Es ist nie genug, dieses Gefühl der Intensität, das immer kurz vor dem Platzen oder Explodieren ist. Und das ist bei ihm nicht nur stellenweise so, sondern eigentlich durchgehend. Ob man das hinbekommt ist eine andere Frage. Das braucht einfach eine lange Zeit, diese besondere Kraft zu realisieren.
Gibt es denn für Sie ein Lieblingsstück innerhalb von Schumanns Klavierschaffen und wenn ja welches?
Sagen wir so: das Stück, das ich gerade geübt habe, war in diesem Moment auch immer mein Lieblingsstück! (lacht) Aber wenn ich mir es aussuchen müsste, sind es die Fantasie und die Symphonischen Etüden. Insbesondere die Fantasie hat nichts Kontrolliertes oder Einengendes. Wie eine Naturgewalt beginnt das Stück und durchläuft ungebremst alle Gefühle bis zum innigsten Ausklang. Die Symphonischen Etüden hingegen sind unglaublich gefasst in ihrer Kraft. Sie bewegen sich in einem ganz eigenen Raum, wie die Bewegung am Grund eines tiefen Meeres: Es ist so ziemlich das Gegenteil der Fantasie. Und das liebe ich auch an Schumann.
Die drei Schumann-CDs sind ja an zwei verschiedenen Orten entstanden: der Immanuelskirche in Wuppertal und im Konzerthaus Liebfrauen in Wernigerode. Warum gerade diese beiden Locations?
Man ist immer auf der Suche nach einem Raum, der eine gute Akustik hat und zu dem jeweiligen Programm passt. Für „For Clara“ war die Immanuelskirche passend, aber ich merkte, dass ich für „inSANE“ einen anderen Klang, eine andere Akustik brauche. Durch eine Empfehlung bin ich auf Wernigerode gestoßen. Und tatsächlich passt die Akustik im Konzerthaus Liebfrauen besser zu meiner Schumann-Klangvorstellung. Deswegen sind die zweite und dritte CD dort aufgenommen, und auch die vierte werde ich dort einspielen. Schumann 4 habe ich schon für 2025 geplant.
Was gibt es auf Ihrer nächsten Schumann-CD zu hören und wie soll sie heißen?
Ein Titel steht noch nicht fest, aber die Stücke: die Variationen. Ich fange mit Opus 1 an, den Abegg-Variationen, und ende mit den sog. Geistervariationen, seinem letzten Stück. In der Mitte stehen die Symphonischen Etüden op. 13. Es ist für mich wieder eine tolle Sache, dieses Programm zu üben, da es Schumanns gesamtes Leben umspannt. Und im letzten Stück der Geistervariationen verlässt Schumann alle Regeln und kehrt in gewisser Weise zum Ursprung zurück, einem Chaos in dem alles angefangen hat.