Ingo Müller, Maskenspiel und Seelensprache – Rezension von Peter Sühring
Rezension von Peter Sühring von:
Ingo Müller:
Maskenspiel und Seelensprache
Band 1: Heinrich Heines Dichtungsästhetik und Robert Schumanns Liedästhetik
445 S., gebunden
Reihe Litterae 243
ISBN 978-3-96821-006-3
Band 2: Heinrich Heines Buch der Lieder und Robert Schumanns Vertonungen
649 S., gebunden
Reihe Litterae 244
ISBN 978-3-96821-008-7
Baden-Baden: Rombach Wissenschaft, 2020
Ein tiefer Graben trennt die beiden Bände dieses gigantomanischen Werkes: der zwischen Abstraktion im ersten und Konkretion im zweiten. Dazwischen hat der Autor kaum Brücken oder Stege gebaut, sodass die theoretischen Litaneien über romantische Dichtungs- und Liedästhetik im 1. Band keine Konkretisierung erfahren wie auch die Dichtung und Musik beschreibenden und interpretierenden, auf einzelne Lieder bezogenen späteren Abschnitte im 2. Band nicht mehr mit möglichen theoretischen Schlussfolgerungen, die vorab und isoliert ausgebreitet worden sind, verbunden werden. Zwar sollen nach Auskunft des Autors die literatur-/musikwissenschaftlichen Untersuchungen der Heine-Lieder Schumanns im 2. Band auf den Erkenntnissen des 1. Bandes „basieren“, dennoch wird das verborgene und eigentlich erst zu Tage zu fördernde enge und erkenntnisfördernde Band zwischen Theorie und Musikpraxis mutwillig zerrissen, die Theorie bleibt abstrakt und grau, der Liedgesang auf eine isolierte poetologisch-musikologische Untersuchung von einzelnen Exemplaren und bestenfalls ihres zyklischen Zusammenhang (des originalen bei Heine und des durch Auswahl neu konstituierten bei Schumann) zurückgeworfen. Der entwickelte Fleiß bei der Entfaltung beider Stränge des jeweils in sich doppelten, nämlich des dichtungs- und musiktheoretischen sowie des empirischen am poetisch-musikalischen Liedobjekt geht zwar nicht ins Leere (sondern eher in eine jeweils voneinander isolierte Überfülle), aber das Potential einer Verknüpfung von Theorie und Praxis wird weder eröffnet, geschweige denn ausgeschöpft. So hinterlässt die mitunter anstrengende Lektüre dieses Mammutwerks den schalen Nachgeschmack von vergeblicher Liebesmüh, denn dass Müller seinen Untersuchungsgegenstand innig kennt und heiß liebt, ist nicht zu bezweifeln.
Die Darstellungsform seiner Erkenntnisse ist misslungen weil der Autor sie durch eine strikte miteinander unverbundene Zweiteilung ruiniert. Vielleicht tut der Verlag gut daran, beide Bände auch getrennt lieferbar zu halten, sie mit einer getrennten ISB-Nummer zu liefern und getrennte Preise zu verlangen. Denn die beiden Bücher könnten tatsächlich unterschiedliche Leseinteressen gewinnbringend bedienen. Wer gerne mit nur vereinzelten Bezügen zu bestimmten Gedichten und Liedern in Dichtungs- und Musiktheorien schwelgt, kommt im ersten Band voll auf seine Kosten; wer gerne am einzelnen Gegensand poetische und musikalische Inhalte und Formen ohne verallgemeinernde Abstraktionen beschrieben, analysiert und interpretiert haben möchte, kann sich (allerdings unter Verzicht auf Notenbeispiele) im 2. Band intensiv unterrichten lassen, inklusive einer Verarbeitung der sehr umfangreichen Sekundärliteratur. Ein großer Vorteil und Gewinn des 2. Bandes ist seine tatsächliche Beschäftigung mit fast allen von Schumann vertonten Heine-Gedichten, nicht nur dem Zyklus „Dichterliebe“, der gleichwohl im Zentrum steht. Aber die ebenso intensive Behandlung des Liederkreises op. 24, sowie der vier aus der „Dichterliebe“ ausgesonderten Lieder, der drei Heine-Lieder aus dem Zyklus „Myrthen“ und sechs selbständiger Romanzen und Balladen führt zu hier fast erstmalig vorgenommen genaueren Untersuchungen mit entsprechend neuen beachtenswerten Einsichten.
Innerhalb der einzelnen Liedbesprechungen gibt es eine durch ein Sternchen in der Mitte der Leerzeile markierte Zäsur, die den literatur- vom musikwissenschaftlichen Teil der Erörterungen abtrennt, womit mitnichten die etwaige Autonomie der Aspekte behauptet sein soll, vielmehr die spannungsreichen Beziehungen zwischen Dichter und Musiker, zwischen dem maskenspielerischen Gedichten Heines und denseelensprachlich-tonkünstlerischen Liedern Schumanns entfaltet werden können. Dass Müller, obwohl selbst Musiker, ganz ohne Notenbeispiel an Ort und Stelle auskommt (vielmehr aufs Internet verweist, wo die Noten zu finden sind), ist ebenso erstaunlich wie einsichtig, denn die Beschreibungen sind oft so dicht(Müller nennt es ein doppeltes „closed readíng“), dass ein Anhören der Lieder völlig ausreichen würde, um das Gesagte nachzuvollziehen. Der Liedtext ist jeweils in zwei Versionen mitgeteilt, in der originalen Fassung derGedichte bei Heine (nach ihrem zyklischen Erstdruck 1827), das meist schon im Original als dichterische Liedgattung fungiert, und in der veränderten Fassung, die Schumann dem Lied aus musikalisch-interpretatorischen Erwägungen heraus gab (wiederum nach den Erstdrucken).
Müller verfolgt über weite Strecken eine referierende Methode, die nur darstellt, was andere Autoren, die originalen der klassisch-romantischen Kunstperiode und ihre sekundären Kommentatoren, dann speziell Heine und Schumann, zu Fragen der Lieddichtung und der Liedkomposition und zu einzelnen Liedern zu sagen hatten. Er tut dies vor allem im 1. Band ausgiebig und langatmig, was für Leser, die auf diesem Gebiet wenig vorgebildet sind, sehr instruktiv sein mag; ein bisschen erweckt er damit aber den Eindruck, als wolle er ja keinen Aspekt oder in diesem Zusammenhang relevanten Autor übersehen und als säße ihm eine Habilitationskommission im Nacken, der gegenüber er sich kein kleinstes Versäumnis zuschulden kommen lassen will. Was aber zu oft fehlt, ist eine kritische und gegenüber dem Referierten distanzierte Haltung, wodurch selbst abstruse und haltlose Behauptungen von sich als romantisch definierenden Autoren einfach als gegeben und bedeutend und richtungsweisend für Schumann hingestellt werden.
Bei dieser Methode unterlaufen ihm durch seine Kritiklosigkeit auch heftige, nicht nachvollziehbare Sprünge. So beispielweise auf den Seiten 3639 des 1. Bandes, wo er im Kapitel I (Poesie als „Seelensprache“: Robert Schumanns liedästhetische Überlegungen und ihr Bezug zur literarischen Romantik), Abschnitt 1 (Das Subjekt als Fluchtpunkt des „Poetischen“) nicht nur mehrere schwärmerische Formulierungen von Wackenroder/Tieck und ETA Hoffmann völlig unkommentiert lässt, sondern auch bruchlos überwechselt von einem Hinweis auf die endliche, ja geradezu flüchtige, aber momentan und unmittelbar hohe Sinnlichkeit von Musik zuapodiktischen Konstruktionen von Übersinnlichem, einertranszendenten Welt, einer Metaphysik, einer Sphäre des Absoluten, des Unbedingten und des Unendlichen in der Musik – was alles nur fragwürdige, zum Teil miteinander unverbundene Hypothesen sind, die Musik nicht als Musik, als Klangereignis, sondern als Zeichen, Chiffre, Symbol für etwas Außermusikalisches nehmen.Ohne Zweifel ist damit jenes philosophisch-ästhetische Milieu, in dem Schumann sich in den 1830er bis -40er Jahren bewegte und das seinen ideengeschichtlichen Hintergrund bildete, benannt, vor dem er dann seine Heine-Lieder komponierte, aber man darf wohl fragen, was an diesen luftigen Spekulationen sich aus heutiger Sicht aufrecht erhalten lässt und ob sich derartige Gedanken und Empfindungen beim Hören gerade auch der Musik Schumanns heute noch bewahrheiten lassen. Wenn dies aus Schumanns Heine-Liedern heraustönen sollte, stünde es in einem diametralen Gegensatz nicht nur zum ironischen Inhalt von Heines Liedern und Gedichten, sondern auch zu dessen poetischer und poetologischer Haltung, die dann in einem zweiten Schritt vorgestellt wird. Nicht immer kann Müller nachweisen, dass Schumann diese Ansichten seiner dichtenden und musiktheoretisch sich auslassenden Vorläufer und Zeitgenossen überhaupt kannte, sich mit ihnen auseinandersetzte und sie schließlich übernahm (wenn auch zunächst nur theoretisch übernahm, denn ob er sie auch kompositorisch umsetzen konnte, müsste des Weiteren ernst noch nachgewiesen werden). Auch wenn Müller diese Ansichten romantischer Autoren und damit aus seiner Sicht auch Schumanns teilen sollte, müsste er sich heutzutage, wo wir nicht mehr ohne Weiteres geneigt sind, solche Postulate einfach zu akzeptieren, die Mühe machen, sie aus der Musik heraus zu begründen, anstatt einfach nur in diese idealistisch-schwärmerische Sphäre kritiklos einzutauchen.
Müller kommt im Verlauf seiner zitatenreichen Erörterungen unvermittelt wieder auf die sinnliche Unmittelbarkeit zurück, trennt sie aber nicht von anderen metaphysischen Postulaten wie Unendlichkeit etc., trennt auch nicht das objektiv Unsagbare vom subjektiv Unaussprechlichen, kann sich auch nicht entscheiden, ob innermusikalisch etwas Bestimmtes oder beim Hören Bestimmbares sich ereignen kann und ob Sprache und Begriffe nun wirklich unbestimmt und mehrdeutig sind, sondern behauptet mitunter ihre definitive Eindeutigkeit. Der Mehrdeutigkeit der Worte aber eines absichtlich dunklen romantischen Gedichts will und kann die zu eindeutigen Bestimmungen fähige Musik aufhelfen,indem sie ein interpretatorisches Angebot macht, eine bestimmte Variante oder Potenz eines Gedichts musikalisch ausformt und weiter klanglich verdichtet. Einen solchen Prozess der Interpretation und Kritik von Sprachkunst durch Tonkunst hat Schumann Lied für Lied vollzogen. Etwas, wohin der vergeblich liebende Dichter Heine im Rahmen seiner Poësie des „Als ob“ nur ironisch und gebrochen hindrängt, wie z.B. zum „Schmerzendrang“ im Gedicht „Hör’ ich das Liedchen klingen“, das lässt Schumann voll als Schmerzensklang ertönen, wie es der Rezensent einmal exemplarisch (und von Müller auch zitiert) versucht hat aufzuzeigen.
Müller umkreist diese künstlerische Verfahrensweise wortreich im theoretischen Teil und entfaltet ihre dialektische Spannung im auf die einzelnen Lieder bezogenen Teil seiner groß angelegten Untersuchung durchaus, führt die beiden Aspekte von ironischer sprachskeptischer Distanz und direkter klanglicher Realität auch punktuell zusammen, vermeidet aber generelle Schlussfolgerungen über SchumannsSynthesen von irrealen Worten und unvermeidlicher realer Klangwerdung. Dass jede real erklingende Musik wegen ihres gesteigerten Ausdrucks in sich schon ein romantisches Surplus verwirklicht, auch wenn sie es nicht wollte, und von sich aus gar nicht antiromantisch sein kann, bleibt davon unberührt. Somit ist MüllersDoppel-Buch selbst Ausdruck einer dem Autor durchaus bewussten romantischen Zerrissenheit, die sich zwischen einer verdunkelten sprachlichen Vorlage und einer Licht spenden wollenden musikalischen Erweiterung stetig aufreibt und sich nicht scheut, beide in jene widerspruchsvolle Synthese zu setzen, die Schumanns Heine-Lieder darstellen.
Schumann wollte die Aporie einer in Musik unrealisierbaren sprachlichen Indirektheit hinter sich lassen, bewunderte an seinem Freund Mendelssohn, dass er die Widersprüche seiner Zeit aufgelöst hätte, und strebte danach, in seinen Liedern gerade mithilfe von vorgegebenen Worten romantischer Dichter der Musik die Rolle einer Verdeutlicherin, einer Auflöserininnerer Widersprüche, einer Überwinderin der Ironie zu verleihen. Was bei Heine Maskenspiel ist, verwandelt Schumann in Seelensprache – damit ist Müllers Hauptthese benannt und anerkannt. Und das ist kein Missverständnis Heines durch Schumann, sondern eine bewusste und kritische Überlagerung einer sprachskeptischen Ironie mit musikalischen Bestimmungen, die das Unaussprechliche und Ambivalente noch mitschwingen lassen. Sodass von „Vertonung“ Heines durch Schumann im Sinne einer Kongruenz von poetischer Vorlage (die selbst sich schon in der Sprachgestalt vorsätzlich musikalisiert hat) undderen kongenial vollendeter Musikalisierung eigentlich nicht mehr gesprochen werden kann. Schumann verwandelt das spielerisch Unverbindliche, sich der Objektivität Verweigernde bei Heine in den klanglichen Ausdruckswillen einer musikalischen Person und stellt sich damit in jene romantische Auffassung hinein, die Heine vorgeblich bekämpft, allerdings als abtrünniger Romantiker, der wohl weiß, dass seine ironische Unverbindlichkeit nicht durchzuhalten ist und dadurch dem romantischen Musiker in seinen Gedichten tatsächlich eine Vorlage für gesteigerte subjektive Expressivität liefert. Schumanns Musik will und kann einen von Heine bloß behaupteten und kultiviertenironischen Schein als ein nicht realisierbares Maskenspiel, als Tarnkappe einer sich nur antiromantisch gebärdenden Romantik entlarven.
Wie schon Schumann selbst kann sich Müller nicht dazu durchringen, eine fundamentale Haltung in Heines Ästhetik anzuerkennen, nämlich, dass angesichts eines absurden Weltlaufs nichts wirklich ganz ernst zu nehmen ist und nichts in seiner Lyrik ganz ernst gemeint, sondern nur vorgespielt, fiktiv gemeint sein will, was im Begriff des Maskenspiels der Worte entsprechend klar ausgedrückt ist. Schumann und Müller aber folgen fast verbissenen dem literarischen Ernst einer von Heine verspotteten romantischen Flucht in die Transzendenz, die sich mit einer ebenso schmerzlichen wie aufgesetzten Ironie nur bemäntelt.
Müller arbeitet mit einer schier unübersehbaren Menge an Sekundärliteratur und findet dennoch einen eigenen roten Faden der Darstellung, dessen Schwäche, die Detailanalysen nicht mit den literarischen und musikalischen Metatheorien verknüpft zu haben, unübersehbar ist. Und dennoch ist erstaunlich, dass er nicht unbekannte und unbedeutende Werke zum romantischen Kunstverständnis unerwähnt und unberücksichtigt lässt, wie etwa Walter Benjamins Dissertation über den Begriff der Kunstkritik in der Romantik, wie auch dessen Schrift über die Sprache des Menschen und die Sprache überhaupt aus dem gleichen Zeitraum vor dem Ersten Weltkrieg, in der Müller weitergehende, sogar metaphysisch orientierte Gedanken zur Ursprache, die in Verbindung mit Heine und Schumann eine gewisse Rolle spielt, hätte finden können. Selbst Ricarda Huchs durchaus noch nicht überholte Gesamtdarstellung der literarischen Romantik bleibt unerwähnt.
Müller zitiert die Gedichte und Schriften Heines nach einer der kritischen Ausgaben, wie es sich für eine wissenschaftliche Arbeit gehört. Er benutzte sogar die Historisch-Kritische Düsseldorfer Heine-Ausgabe (DHA, im Originalverlag Heines, Hoffmann & Campe,erschienen), wogegen absolut nichts einzuwenden ist. Seine Zitatnachweise in den Fußnoten bringt er aber mitunter auf eine unangenehme und für Nicht-Besitzer dieser aufwändigen Ausgabe äußerst unpraktische Weise, denn er begnügt sich öfters mit der Angabe der Band- und Seitenzahl, über die manchmal kein Rückschluss auf die Einzelschrift Heines, aus der dort zitiert wird, möglich ist, und die man, obwohl man diese Schrift in einer anderen Heine-Ausgabe greifbar hätte, dann nicht identifizieren und auch nicht nachlesen kann. Umständliche Internet-Recherchen oder ein untrügliches Heine-Gedächtnis bringen einen dann vielleicht auf die Lösung (z.B. versteckt sich hinter „DHA 15, S. 121“ auf S. 17 des 1. Bandes die Heine-Schrift „Geständnisse“), aber es wäre viel praktischer, würde Müller stets auch die Einzelschrift nennen, die jeweils zitiert ist. Über die philologischen Probleme der Betitelung und Anordnung von Heines Gedichten und Schriften in den verschiedenen Ausgaben, die ihre Auffindbarkeit genug erschweren, braucht hier nicht gesprochen zu werden.
Müller gehört zu den zahlreichen Autoren, die in letzter Zeit unreflektiert Dekonstruktion und dekonstruieren sagen, wenn sie Destruktion und destruieren meinen. Der Begriff Dekonstruktion stammt aus der Privatphilologie von Jacques Derrida und will einen dem literarischen Gegenstand gegenüber erkenntniskritischen Vorgang begreifen, der im Zuge einer subjektiven Zerlegung oder Zerstörung des Objekts zugleich die einzelnen Bestandteile neu zusammensetzt, um ihnen einen neuartigen Sinn zu verleihen, der den Horizont ihres ursprünglichen Autors überschreitet. Nach dem De- und zugleich neu Konstruieren des literarischen Gegenstands kommt sich der schöpferische Rezipient wie ein Autor vor – das war vor 20 Jahren der letzte Schrei subjektivistischer Interpretationsmoden, kaum einer wendet das heute konsequent an, übrig geblieben ist nur die Worthülse„Dekonstruktion“, die sich an die Stelle der eigentlich gemeinten schlichten Destruktion gesetzt hat. Hier ist Müller einfach einem grassierenden Jargon auf den Leim gegangen. Andere Interpretationstechniken und -begriffe aus verschiedenen Schriften Derridas werden an manchen Stellen mehr oder weniger passend und sinnvoll zitiert und angewandt. Heine selbst hat ganz sicher die romantische Liebeskonzeption nicht „dekonstruiert“ (S. 26178 des 1. Bandes), sondern als scheiternder Liebender die in der romantischen Kunst aufrechterhaltene Illusion menschlicher Harmonie zerstört (destruiert).
Von einem Erwerb und einer intensiven Lektüre eines der oder beider Bände ist trotz der genannten relativ bescheidenen Einwände alles andere als abzuraten, schon wegen der erfreulichen Menge von Zitaten und Hinweise auf relevante Quellen zur Diskussion der romantischen Liedästhetik und der vielen Dateileinsichten in die Inhalte und Hintergründe einzelner Lieder. Vor allem der 2. Band eignet sich hervorragend als endlich erstelltes umfangreiches Kompendium der Schumann’schen Heine-Vertonungen, vor allem auch zu einer literaturkritischen Einordnung der frühen Lyrik Heines insgesamt. Worauf der Leser aber gefasst sein muss, ist, dass er einewünschenswerte und eigentlich erforderliche Kombination von theoretischen Einsichten mit ihrer Relevanz für ein einzelnes Lied, ihre Exemplifizierung,selbst vollziehen muss oder dass er (als Gegenprobe) versuchen muss, die im ersten Band aufgetischten theoretischen Anwandlungen aus dem gedanklichen und akustischen, also praktischen Nachvollzug der Dichtung Heines und der Musik Schumanns selbst herauszufiltern, sie an ihnen zu erlernen.
Peter Sühring
Summary in English
The author himself does not establish any connections between the two volumes, which represent abstraction and concretion. By presenting his findings in this way, he makes it difficult for the reader to comprehend them, because a combination of theory and practice is actually necessary when describing and analysing Heine's lieder as poetic works and Schumann's lieder as musical works of art. A completely separate and isolated reading of only one of the two volumes seems possible and can be recommended. The poetological and musicological studies of all of Schumann's individual settings of Heine, centred on the Dichterliebe cycle, undertaken in volume 2, follow the methods of a closed reading and arrive at a series of new insights through their dense description of the poetic and musical facts. The author engages in a kind of extensive review of the existing views on Heine's poetry and Schumann's song aesthetics without critically scrutinising certain rhapsodic and irrational moments in the theories of the German Romantics. He also jumps abruptly from views on the unique sensuality of music to those that emphasise the supernatural within it. The author devotes himself with particular vigour and detail to the divergences between Heine's conception of a distanced irony and Schumann's compulsion as a musician to create genuine sound moments that interpret and illuminate the darkened poem and resolve its contradictions. Schumann turns Heine‘s anti-romantic attitude of masking and refusal of unambiguity into a specific variant and possible real interpretation. Heine’s unseriousness is neither recognised nor accepted or shared by Schumann or even the author. Müller's citations are sometimes difficult to follow. He uses a fashionable, meaningless application of the term deconstruction, with which Heine and Schumann had nothing to do. These volumes are a demanding but rearding read and is considered worthwhile These volumes are a challenging but rewarding read, requiring a great deal of work on the part of the reader.
Summary by Peter Sühring, Translation: Daniel Höhr, November 2024
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