Bettina Pahn im Gespräch mit Rainer Aschemeier aus Anlass der Veröffentlichung ihrer neuen CD  „O, wie beseligend“ (Lieder von Clara Schumann & Fanny Hensel), VÖ: 2.9.2022

Interview für das Schumann-Netzwerk/Schumann-Portal, Oktober 2022

Clara Schumann & Fanny Hensel
„O, wie beseligend“
Bettina Pahn, Sopran
Christine Schornsheim, Hammerklavier
Audio CD
hänssler Classic, 2.9.2022

 

Bettina Pahn, Sie haben sich in den letzten Jahren sehr verdient gemacht, um im Bereich des Liedgenres noch unbekannte oder vergessene Meisterwerke wieder aufzuführen und auf Alben aufzunehmen. Woher kommt diese Passion?

Die Liebe zum Liedgesang wurde in meiner Kindheit durch meinen Vater geweckt. Auf langen Autofahrten hatten wir immer Liederbücher mit Volksliedern und ganz frühen deutschen Kunstliedern in den Sitzfächern des Autos und wir sangen zusammen stundenlang….oft 3-4-stimmig, vorrangig Strophenlieder. Mein Vater Prof. Dr. Dr. Johannes Pahn, der als Phoniater ein feines Ohr besaß und meine Mutter, Prof. Dr. Elke Pahn, die als Sprecherzieherin Schauspieler unterrichtete,ließen meine Schwester und mich nach Möglichkeiten suchen, die verschiedenen Strophen farbig zu gestalten. Bis heute sind mir die Strophenlieder besonders nahe.
Über die Volkslieder und die frühen Renaissancelieder begann ich dann, im Laufe meiner Berufsbahn als Sängerin der Alten Musik, besonders das deutsche Lied - Repertoire von der Renaissance bis zur Romantik für mich zu entdecken. Ich hatte und habe großes Interesse, auch nach wenig bekannten Liedsammlungen und Lied-Schulen zu suchen und damit eine durchgängige Entwicklung des deutschen Kunstliedes zu erarbeiten – z.B. was Rhetorik und Verzierungspraxis betrifft.

Sie könnten es sich ja auch viel einfacher machen, indem Sie einfach das bekannte „Standardrepertoire“ aufführen und aufnehmen würden. Oder ist es heute vielleicht sogar von Vorteil, wenn man bei Veranstaltern mit Repertoire auftaucht, das sie noch nicht auf der Bühne hatten?

Es ist für die Veranstalter sicher interessant, bekanntes Repertoire und gleichzeitig unbekanntes Repertoire aus dem Umfeld anzubieten.
Interessante „Neuentdeckungen“ auf gut fundiertem Hintergrundwissen und im Rahmen der historischen Aufführungspraxis sind für Festivals und andere Veranstalterreizvoll. Da gibt es, auch bei dem bereits sehr bekannten, romantischen Liedrepertoire noch viele Möglichkeiten neuer Deutungen.

Ihr aktuelles Album bei hänssler CLASSIC beinhaltet Lieder von Clara Schumann und Fanny Hensel. Wie kamen Sie darauf, gerade diese beiden Komponistinnen zu kombinieren?

Über die Beschäftigung mit Fanny Hensels Leben und Liedschaffen wurde ich auf die Stellung der Frauen und Musikerinnen der Zeit aufmerksam und stieß dabei auf Clara Schumann. Ich begann, mich auch für Clara Schumanns etwas bekannteres Liedschaffen zu interessieren. Beide Frauen sind bedeutende Komponistinnen und Musikerinnen ihrer Zeit.
Ich meine, in Clara Schumanns Kompositionen eine Kraft zu spüren, nach der Fanny Hensels Liedkompositionsschaffen sich sehnt und hindrängt. Das hat mich dazu gebracht, Lieder der beiden Komponistinnen zu kombinieren.
Ich fand es spannend, in der Auswahl der Werke auf der CD – das Lied ist ja doch eine sehr intime Komposition an sich – der Kraft, dem Mut und auch den Zweifeln der beiden Frauen als Musikerinnen und Komponistinnen ihrer Zeitnachzuspüren.
Frau Preissinger schreibt ja im Booklet-Text zur CD, dass „…beide Komponistinnen in erster Linie als Interpretinnen der Werke anderer, in der Regel männlicher Komponisten, gänzlich dem Frauenbild ihrer Zeit entsprachen…“-und wie großartig sind doch ihre eigenen Kompositionen!

Was mich gewundert hat – und das, obwohl Clara Schumann und Fanny Hensel ja inzwischen als „wiederentdeckt“ gelten –, dass das offenbar nicht in demselben Maße für ihr Liedschaffen gilt. Man sollte meinen, dass bei dem Prozess, bei dem das Gesamtschaffen einer Komponistin wiederentdeckt wird, die kleinen Besetzungen an erster Stelle stehen. Wieso wurde das Liedœuvre beider Komponistinnen bislang so selten aufgeführt und aufgenommen?

Die Kompositionen von Felix Mendelssohn Bartholdy und Robert Schumann als Familienmitgliedern standen schon viel früher im Fokus der Aufmerksamkeit. Dies zeigt sehr deutlich, dass eben die Stellung der Frau als ernstzunehmende Komponistin und Musikerin kaum in das Bild der damaligen Gesellschaft passte. Darum wurde die Qualität der Kompositionen der beiden Frauen erst sehr viel später wahrgenommen.
Es ist dem Furore-Verlag mit der geordneten, analysierten und gedruckten Liedausgabe und vor allem den Erstveröffentlichungen aus dem Liedschaffen von Fanny Hensel, der Jubiläumsausgabe der Clara Schumann-Lieder, in Zusammenarbeit mit dem Schumann-Haus Leipzig durch Edition Peters, die detaillierte Werkeinführungen bietet, sowie der Urtext-Ausgabe der Clara Schumann-Lieder durch Breitkopf & Härtel zu danken, dass ein breiteres Publikum gefunden wird und mehr Interesse an den Liedkompositionen der beiden Komponistinnen besteht.

Bei den Aufnahmen zu Ihrem neuen Album haben Sie mit Christine Schornsheim zusammengearbeitet. Ich glaube, es war Ihre erste Zusammenarbeit im Albumbereich mit ihr, stimmt das?

Ja, diese CD ist unsere erste gemeinsame Einspielung.
Christine hat mir auch von den wunderbaren Liedern von Fanny Hensel während einer Probenphase zu einem Konzert mit Liedern der 2. Berliner Liederschule erzählt. Ich habe mich dann mit der Zeit , der Aufführungspraxis und dem Liedrepertoire der deutschen Frühromantik beschäftigt, insbesondere mit den Komponistinnen der Zeit – das Wirken, Leben und die Lieder von Fanny Hensel und Clara Schumann haben mich fasziniert und die Idee einer Aufnahme unter dem Arbeitstitel „4 Frauen im Originalklang“ entstand.

Haben Sie vorher schon auf der Bühne zusammengearbeitet?

Christine und ich arbeiten seit mehreren Jahren zusammen – wir haben Lieder der 2. Berliner Liederschule ( z.B. von Zelter, Reichardt und Rust) erarbeitet, gemeinsam konzertiert,dann haben wir begonnen, gemeinsam das frühromantische Repertoire für diese CD-Produktion zu erarbeiten. Im Herbst 2021 haben wir im Rahmen des internationalen AEC-Kongresses in Trossingen Lieder von Fanny Hensel und Clara Schumann vorgestellt. Ich habe dort einen Vortrag zum Thema „Verzierungspraxis und Rhetorik im romantischen Lied“gehalten. Wir haben uns während der gemeinsamen Probenphasen viel damit beschäftigt.

In der Aufnahme kommt ein historisches Klavier aus der Zeit der Komponistinnen zum Einsatz. Wie sucht man ein solches Instrument aus? Oder anders formuliert: Wie findet man das „passende“ historische Klavier?

Das war und ist Christines Aufgabe, die sich da hervorragend auskennt. Wir haben hier mit einem wunderbaren Instrument von 1835 gearbeitet, das uns Ulrich Weymar, Cembalo,- und Fortepiano-Baumeister und -Restaurator aus Hamburg, zur Verfügung gestellt hat.

Es stellt sich die Frage: Wenn das Instrument historisch ist, was passiert beim Gesang? Ihre Stimmbänder können Sie nicht gegen welche des 19. Jahrhunderts tauschen…

(lacht) Nein, das geht natürlich nicht – aber ich kann versuchen, mich dem Originalklang durch Rhetorik und Verzierungspraxis der Zeit anzunähern.
Ein wichtiges Thema ist die Verzierungskunst: Das Bild einer unverrückbaren, einzigen, idealen Gestalt kann für die Musik vom 13. bis zum frühen 19. Jhdt. nicht postuliert werden, denn für Jahrhunderte war der freie, improvisierte, d.h. nach Regeln improvisierte Umgang mit der Gestaltung ein wesentliches Element, die rhetorischen Nuancen in einer persönlichen Darstellung hörbar zu machen. In den Jahrhunderten vor der klassisch- romantischen Epoche waren Verzierungen im Sinne der „wesentlichen und willkürlichen Manieren“, wie es Carl Philipp Emanuel Bach, Daniel Gottlob Türk und Johann Adam Hiller in den 1780er Jahren so treffend beschrieben, ganz selbstverständlich ein integraler Bestandteil der Werkausdeutung. Daher verwundert es nicht, dass es Quellenmaterial und Erstdrucke über die unterschiedlichen Verzierungsarten auch im frühen 19. Jhdt. gibt.
Ich komme von der Praxis, als Sängerin, die sich besonders der Liedkunst widmet. Meine langjährige Arbeit insbesondere an italienischem und deutschem Liedrepertoire von der Spätrenaissance bis zum romantischen Lied, meine Beschäftigung mit den jeweiligen Quellen und den darin zu findenden Kapiteln über Manieren bzw. Verzierung, stellt erstmal grundsächlich eine Verzierungspraxis in der Frühromantik überhaupt nicht in Frage, es ist ein, wie durch viele Quellen belegt, wesentliches Element der Interpretation.
Ein gutes, viel diskutiertes Beispiel ist die erhaltene Version der Verzierungen von Johann Michael Vogl der „schönen Müllerin“ von Franz Schubert. Anweisungen zur Verzierungspraxis der Zeit finden wir u.a. bei Julius Stockhausen (1826-1906) in seiner „Gesangs-Methode“ (1884) und bei Adolph Bernhard Marx (1795-1866) in dessen Traktat „Die Kunst des Gesanges“ (1826).
Interessant ist auch die Bedeutung des Portamentos in der Romantik.
In Manuel Garcias (1830-1847) berühmter Gesangsschule „Die Kunst des Gesanges“, die um 1840 in zwei Teilen erschienen ist, gibt es einen großen Part über Verzierungspraxis und die Anleitung zum Portamento als Verzierungsmittel für die Deklamation.
Interessant ist, dass die bedeutenden Künstler*innen der Zeit, die das Liedrepertoire aufführten, die Fähigkeit zur Verzierungspraxis allemal hatten, da sie nach der alten italienischen Schule ausgebildeten waren.
Das waren z.B: Henriette Sonntag ( 1806-1854), Wilhelmine Schröder-Devrient (1804-1860), Julius Stockhausen (1826-1906), Pauline Viardot-Garcia (1821-1910), Johann Michael Vogl ( 1768-1840) sowie Carl von Schönstein (1796-1876), ein Schüler Vogls.
Diese Künstler sind mit Franz Schubert (1797-1828), Clara Schumann (1819-1886) und Fanny Hensel (1805-1847)aufgetreten.
Zur Deklamation und Rhetorik ist ein Blick in Heinrich August Kerndörffers Deklamationslehre (1769-1846, Leipziger Sprachgelehrter) sehr interessant.
Kerndörffer spricht von einer „declamatorischenTonleiter“:

Die Deklamation wird durch hörbare Portamenti und leichte Tempobewegungen innerhalb eines bestehenden Metrums unterstützt.

Welches Lied ist aus Ihrer Sicht auf dem neuen Album die größte Entdeckung?

Oh, das ist schwer zu sagen – ich liebe es besonders, dem schlichten Strophenlied Zauber zu entlocken, so ist für mich Fanny Hensels „Was will die einsame Träne“ eine große Bereicherung.
In Clara Schumanns Lied „Liebst du um Schönheit“ gibt es auch so viele Farben zu entdecken und ihre „Loreley“ hat mich aufgrund ihres aufwühlenden Charakters besonders berührt.
Aber ich könnte jetzt sofort die nächsten Lieder aufzählen, sie sind mir alle wichtig!

Der Blick auf das Gesamtschaffen von Clara Schumann und Fanny Hensel ist verzerrt, weil sich beide in ihrer Rolle als Frauen im 19. Jh. nicht in dem Maße kompositorisch verwirklichen konnten, wie sie es vielleicht gewollt hätten. Kann man trotzdem sagen, welche Bedeutung das Lied als Kunstform für beide Komponistinnen hatte?

Es war eine mögliche, schickliche Ausdrucksform ihrer Zeit für sie als Frauen.

Am 18. Mai 1847 erschien in der Vossischen Zeitung ein Nachruf auf Fanny Hensel, die vier Tage zuvor einem Gehirnschlag erlegen war, verfasst von dem bekanntenBerliner Musikkritiker Ludwig Rellstab. Der Autor wendet sich gegen ein professionelles Auftreten von Komponistinnen in der Öffentlichkeit, indem er betont, daß der Frau als Grundlage ihres Lebens doch ein anderes Walten zum ersten Beruf angewiesen ist“und er schreibt, dass Fanny, „obwohl jeder ausgedehntesten und schwierigsten Form völlig mächtig, doch nur mit Ergüssen der unmittelbarsten Empfindung, vorzugsweise mit schönen Liedern in die Öffentlichkeit“ trat.

Last but not least: Bettina Pahn wäre nicht Bettina Pahn, hätte sie nicht schon das nächste Projekt in Vorbereitung, oder? Was können wir erwarten?

2023 erscheint eine CD mit Liedern von Jobst vom Brandt (1507-1570), denen ich mich mit Joachim Held (Laute) und Juliane Laake (Gambe), als einem bisher wenig entdeckten Komponisten der Renaissance zuwende. Prof. Dr. Holznagel, Germanist der Universität Rostock, hat uns mit seinem Fachwissen unterstützt, um die Lieder rhetorisch hervorzuheben.
Mit Christine Schornsheim und Dr. Robert Toft ist eine weitere Aufnahme mit romantischem Liedrepertoire geplant, für „Talbot Records“, Dr. Tofts eigenes Label.
Ein großes Herzensprojekt in der Musik widmet sich, im Rahmen meiner Lehrtätigkeit an der HfK Bremen, der Forschung zur Gesangstechnik in alten Traktaten der Renaissance und des Frühbarock.
Es ist erstaunlich, wie viele detaillierte Informationen wir auch aus dieser frühen Zeit für die Stimmtechnik vorliegen haben. Diese Kenntnisse setze ich mit meinen Studierenden in Bremen praktisch um und werde daraus ein neues didaktisches Konzept entwickeln, das für eine angemessene Gesangstechnik in der Alten Musik wichtig sein könnte.

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