Geht es um die Liebe
Augsburger Allgemeine, 26. 5. 2008
Geht es um die "Liebe", so führt im Kunstlied der Romantik kein Weg an Robert Schumann (1810 - 1856) vorbei.
Wie die Freude und die Liebe Kraft für das Leben geben
Von Rainer Pfaffendorf
Kaisheim
Prickelnde Erwartung, atemlos gespannte Aufmerksamkeit, eruptive Beifallsstürme, rhythmisch skandierendes Klatschen, stehende Ovationen, Bravorufe und Zugaben fordernder Beifall ohne Ende - diese Reaktionen der Zuhörer kennzeichnen den Verlauf eines denkwürdigen Liederabends im voll besetzten Kaisersaal zu Kaisheim: José Francisco Araiza, umjubelter Weltstar, gefeierter Tenor auf allen Podien, Bühnen und Erdteilen dieser Erde, Wiener Kammersänger, Professor, Legende und Märchen, umschwärmt und umjubelt, gab sich in Kaisheim anlässlich eines Benefiz-Konzertes zugunsten der "Kartei der Not", des Hilfswerks der Heimatzeitung, die Ehre und fand mit seinem Liederabend zum Thema "Liebe" ein unvergleichliches Echo. Das hatte der altehrwürdige Kaisersaal bisher so noch nicht erlebt!
Ein Zyklus mit 16 Miniaturen
Geht es um die "Liebe", so führt im Kunstlied der Romantik kein Weg an Robert Schumann (1810 - 1856) vorbei. Für seine Interpretation dieses Themas wählte Francisco Araiza für den ersten Teil seines Kaisheimer Liederabends die "Dichterliebe", op. 48, dieses Komponisten, einen Liedzyklus von 16 zierlichen Miniaturen, vertont nach Heinrich Heines (1797 - 1856) "Buch der Lieder".
In der "Dichterliebe" begegnet uns ein lyrischer Araiza mit einem empfindsamen Sinn für leiseste, zarteste Schwingungen, ein ausdrucksvoll Gestaltender und Mittler jener visionären, romantisch-dunklen Melancholie, die sich im Dichterwort des frühen 19. Jahrhunderts sehnsuchtsvoll in Träumen und hinter Bildern von Blumen, Nachtigallen und Tränen verbirgt, bittere Verzweiflung zum Ausdruck bringt und schließlich, in romantischer Ironie umschlagend, sich von der irdischen Liebe läutert und die wahre Heimat des Dichters im Reich der Poesie erkennt.
Wie kein Zweiter beherrscht Araiza diese Darstellung des Ausdruckskontrasts in der Auseinandersetzung mit der Dichtung, wandelt und moduliert seine Stimme vom zartesten und intimsten Pianissimo bis hin zum "sich Verströmen" in glänzendem Forte, beherrscht die Stimmlagenwechsel perfekt, scheut sich nicht vor Randlagen, sowohl in der Tiefe wie in der Höhe und hat eine so bewundernswerte Technik der Atem- und Stimmführung, dass alles wie spielerisch leicht und selbstverständlich erscheint. Araiza benötigt keine große Geste, füllt mit seinem Pianissimo den größten Raum, zieht das Publikum umso mehr in seinen Bann und ist jugendlich wie eh und je.
Den zweiten inhaltlichen Teil seines Liederabends widmete Araiza dem Komponisten Richard Strauss (1864 - 1949), dessen Liedtypus sich wesentlich von der romantisch-intimen Auffassung unterscheidet. Die Strauss'schen Lieder sind kein persönliches Bekenntnis wie bei Schumann, sondern werden als "Podiumslieder" hinaus aus dem Salon, hinein in den großen, modernen Konzertsaal geführt, was wiederum eine stark objektivierende Distanz erfordert und eine virtuos gestaltende Wiedergabe.
Araiza wählte aus dem frühen Schaffen des Komponisten fünf Lieder aus, die in der Zeit von 1882 bis 1895 in München und Berlin entstanden sind und die er so geschickt anordnete, dass wiederum der Eindruck entstand, als handle es sich um einen Strauss'schen Liederzyklus - "Morgen"(op.27/4), "Traum durch die Dämmerung" (op.29/1), "Ständchen" (op.17/2), "Zuneigung" (op.10/1) und "Cäcilie" (op.27/2) - , der in überschäumender Liebeswerbung, in einem Ausbruch an Lebenskraft und Lebensfreude kulminiert.
Szenenapplaus und rhythmische Klatschkanonaden waren der Erfolg dieser hinreißend vorgetragenen Liedfolge.
Stimme und Klavier innig verschmolzen
Kongenial an diesem Erfolg beteiligt war der Pianist Ingo Dannhorn (Jahrgang 1974), der in Mertingen schon mehrfach zu hören war, inzwischen als Solist und Begleiter arriviert, anerkannt und hoch geschätzt ist.
Besonders bei Strauss sind Singstimme und Klaviersatz innig verschmolzen und das Zusammenwirken von Sänger und Pianist verlangt höchste Konzentration, intuitive Anpassung und subtilste Klangbil-dung.
Die Technik dieses jungen Pianisten, sein wandlungsfähiger Anschlag, seine Musikalität und seine immense Gestaltungskraft überraschen immer wieder von neuem. Mit ihm hat sich Araiza für dieses Konzert einen Begleiter erwählt, mit dem er auf allen Bühnen dieser Welt bestehen kann.
"Granada" als furioses Finale
Im dritten Teil seines Konzerts behandelte Araiza sein Thema eher folkloristisch. Mit Liedern des Italieners Francesco Paolo Tosti ("Ideale" und "L'ultima canzone") und der Mexikaner Blas Galindo ("Madre mia") und Tata Nacho, alias Ignacio Fernandez Esperon ("Intima") schwelgte Araiza im Belcanto und - als zum Abschluss des offiziellen Teils dann noch das bekannte "Granada" des Agustin Lara (1900 - 1970 in Mexico-City) als Liebeserklärung an Andalusien zu Gehör kam - schäumte der Kaisersaal über: Ein Jahrhundertkonzert in Kaisheim!