Festvortrag am 25. Juni 2016 in der Stephanuskirche zu Oberlosa, verfasst und gehalten von Dr. Gerd Nauhaus, Ehrenvorsitzender der Robert-Schumann-Gesellschaft Zwickau

Lieber Herr Pfarrer Tischendorf, liebes Ehepaar Grünert, liebe Oberlosaer und liebe Schumann-Freunde aus Zwickau, verehrte Festgäste!

Am 23. Juni 1816, also vor 200 Jahren und zwei Tagen, trat ein Brautpaar vor diesen schönen Barockaltar und erlebte eine Trauung „in der Stille (also ohne Musik), aber mit Predigt“. Die beiden Brautleute waren offenbar keine Ortsansässigen in Oberlosa, aber wer waren sie dann?

Die Braut, gerade 19-jährig, hieß Mariane Tromlitz und war zumindest ein Plauener Kind. Zwar war sie nicht dort geboren, sondern in der kleinen thüringischen Residenzstadt Greiz, wohl aber mit zwei Geschwistern in Plauen groß geworden. Denn ihr Vater, der Kantor der Plauener Johanniskirche George Christian Gotthold Tromlitz, ein gebürtiger Leipziger, war zwar im Jahr ihrer Geburt, 1797, noch an der Greizer Marienkirche tätig gewesen, hatte aber da bereits seine Berufung an die Hauptkirche St. Johannis der sächsischen Handelsstadt Plauen in der Tasche. Mariane, sein und seiner Ehefrau erstes Kind, wuchs also in Plauen auf und offenbarte bald musikalisches Talent, was uns beim Beruf des Vaters nicht weiter verwundert. Wirklich berühmt war allerdings der Großvater Johann George Tromlitz, der einerseits studierter Jurist und Kaiserlicher Notar, andererseits aber Flötenvirtuose, Komponist und begabter Flötenbauer war – eines seiner teuer verkauften Instrumente besaß der Dichter Eduard Mörike!

Der Bräutigam, knapp 31 Jahre alt, war der Musiklehrer Friedrich Wieck und kam aus Leipzig. Er stammte aber nicht von dort, sondern aus der Kleinstadt Pretzsch, halbwegs zwischen Torgau und Wittenberg an der Elbe und am Rande des Naturparks Dübener Heide gelegen. Sie kennen Pretzsch nicht? Ich auch nicht, aber ich habe mir sagen lassen, dass es ein recht ansehnliches Städtchen ist, verfügt es doch über ein stattliches Renaissanceschloss, das mehreren sächsischen Kurfürstinnen als zeitweilige Residenz diente. Die bedeutendste von ihnen war die Gemahlin Augusts des Starken, die Kurfürstin-Königin Christiane Eberhardine, die hier nicht zuletzt aus Verdruss über die Konversion ihres Mannes zum katholischen Glauben zurückgezogen lebte und starb. Spuren ihres Aufenthalts finden sich in Gestalt von Umbauten des Schlosses und der Stadtkirche St. Nikolaus durch den berühmten Barockbaumeister und Schöpfer des Dresdner Zwingers Matthäus Daniel Pöppelmann. Heute beherbergt das Schloss ein Kinder- und Jugendheim, und die über 1000-jährige Stadt Pretzsch ist nach Bad Schmiedeberg eingemeindet.

Wenn Friedrich Wieck später oft in Wort und Schrift auf seine überaus ärmliche Herkunft verwies, so wundert es uns, dass er im schönsten barocken Bürgerhaus von Pretzsch am Markt 1 geboren wurde! (Die Gedenktafel an diesem Haus hat übrigens später seine berühmte Tochter Clara Schumann gestiftet; sie existiert heute noch.) In dem Gebäude betrieb Wiecks Vater einen kleinen Kramladen, und hier wuchs er selbst mit nicht weniger als fünf Brüdern auf. Der Vater scheint eine Art “schwarzes Schaf“ der Familie gewesen zu sein, starb er doch, noch nicht fünzigjährig und völlig verarmt, 1804 an Alkoholismus, während Friedrich Wiecks Großvater und einer seiner Onkel Geistliche waren, zwei seiner Tanten mit Pastoren verheiratet.

Friedrich Wieck absolvierte das Gymnasium in Torgau, nachdem der Besuch der berühmten Thomasschule in Leipzig nach nur sechs Wochen wegen Krankheit und Geldmangel gescheitert war. In Torgau bildete er sich autodidaktisch im Klavierspiel und hatte die für seine Hinwendung zur Musik entscheidende Begegnung, als er einige Stunden bei dem Münchner Klavierpädagogen Johann Peter Milchmeyer nehmen konnte. Er wählte dann in der Hoffnung auf eine gesicherte Existenz das Studium der Theologie an der Universität Wittenberg, doch bot sich ihm zunächst nur eine Tätigkeit als Hauslehrer in begüterten Familien an. Um sein Studium beenden und die Prüfungsgebühr von 45 Talern entrichten zu können, musste er von seinem ersten Dienstherrn auf Gut Zingst bei Nebra einen Vorschuss erbitten. Nachdem er 1808 seine Probepredigt in Dresden gehalten hatte, bestieg er danach nie wieder eine Kanzel und strebte wohl auch kein geistliches Amt mehr an, sondern widmete sich ganz bewusst der Pädagogik. Seinem Enkel Felix, dem jüngsten Sohn von Clara und Robert Schumann, schrieb er Jahrzehnte später:

„In dickster Armuth habe ich Gott das Gelübde gethan, wenn er mich von Nahrungssorgen befreite und wohl gar in den Stand der Wohlhabenheit führte, würde ich mein ganzes Leben der Erziehung der Menschheit, u. vorzüglich der Ausbildung armer u. gut gesinnter musikalischer Talente widmen (eine hohe Mission).“

Seine Hauslehrertätigkeit führte Wieck auch in die Nähe von Plauen, und dort muss er die Familie Tromlitz kennengelernt haben, ehe er sich etwa 1814/15 dauerhaft in Leipzig als Klavierlehrer niederließ. Neben dem Unterricht widmete er sich der Komposition, und es entstanden Klavierwerke und Lieder.

In Zingst hatte Wieck Freundschaft mit einem Hauslehrer-Kollegen namens Adolf Bargiel geschlossen. Dieser, der aus Schlesien stammte und in Breslau Jura und Philosophie studiert hatte, suchte ebenfalls sein Auskommen in Leipzig und betrieb dort sowie später in Berlin eine gut florierende Klavier- und Gesangsschule. Von ihm wird noch die Rede sein.

Der Werdegang von Mariane Tromlitz in Plauen ist rasch erzählt. Sie wuchs in einer musikalischen Familie auf und erhielt durch den strengen Vater eine ebenso gediegene wie vielseitige Ausbildung, so dass sie in Musikabenden der von Kantor Tromlitz 1811 mitbegründeten Gesellschaft „Erholung“ auftreten konnte, die nur Angehörige der gehobenen Gesellschaft aufnahm. Zur weiteren Ausbildung kam Mariane nach Leipzig, wo sie Friedrich Wiecks allererste Klavierschülerin geworden sein soll, während ihr Adolf Bargiel Gesangsunterricht erteilte. Schon zu dieser Zeit wirkte sie, zunächst als Sängerin, in Gewandhaus-Konzerten mit. Auch ihre jüngere Schwester Emilie genoss den Unterricht der beiden aufstrebenden Pädagogen.

Das Verhältnis zu Wieck gestaltete sich bald enger, so dass Mariane ihn im Juni 1816 heiratete. Weshalb die Trauung hier in Oberlosa und nicht in der Plauener Johanniskirche, also am Wirkungsort ihres Vaters, stattfand, hat sich bisher nicht enträtseln lassen. Vielleicht spielte der Wunsch nach einem bescheideneren Rahmen, spielten auch finanzielle Gesichtspunkte eine Rolle – wir wissen es nicht. Übrigens umgibt ein ebensolches Geheimnis die Trauung von Robert Schumanns Eltern, die, zwanzig Jahre zuvor, nicht am Wohnort der Brauteltern, in Zeitz, sondern in einem nahegelegenen kleinen Dorf vollzogen wurde.

In den ersten Ehejahren trat „Madame Wieck“ mehrfach als Pianistin im Leipziger Gewandhaus auf. Der jungen Ehe entstammten fünf Kinder: Die älteste Tochter Adelheid, 1817 geboren, war zur Zeit von Clara Wiecks Geburt am 13. September 1819 bereits verstorben, es folgten Clara die Söhne Alwin (er wurde später Geiger und wie der Vater Musiklehrer), Gustav (er wurde als Instrumentenmacher ausgebildet und lebte später vorwiegend in Wien) und Viktor. Zur Zeit der Geburt des kleinen Viktor im Februar 1824 war die Ehe offenbar bereits zerrüttet, und im Mai diesen Jahres verließ Mariane ihre Familie unter Mitnahme von Clara und Viktor und ging zu den Eltern nach Plauen. Die noch nicht fünfjährige Clara blieb dort nur wenige Monate, denn Wieck hatte sich ausbedungen, dass sie mit dem 5. Geburtstag zu ihm zurückkehren müsse, damit er ihre musikalische Ausbildung beginnen könne. Anfang 1825 wurden Friedrich und Mariane offiziell geschieden – es gab zwar damals noch keine Ziviltrauung, doch die Ehescheidung musste vor einem ordentlichen Gericht ausgefochten werden.

Über die Ursachen dieses Fiaskos lässt sich viel spekulieren. Ein wesentlicher Grund dürfte der Alters- und Charakterunterschied der Eheleute gewesen sein, aber entscheidend war wohl die Zuwendung Marianes zu Wiecks Kollegen und Freund Adolf Bargiel. In einem langen zornigen Brief an den Schwiegersohn reagierte Kantor Tromlitz auf die Nachricht von der „Untreue“ der Tochter, die er aufs schärfte verurteilte, und erklärte, dass sie bei ihm keine Wiederaufnahme finden würde. Das wurde dann offenbar „nicht so heiß gegessen wie es gekocht war“, denn sehr wohl fand Mariane mit den beiden Kindern Zuflucht im Plauener Elternhaus, und selbst mit Bargiel wechselte der Vater Tromlitz weiter freundschaftliche Briefe. Er starb allerdings bereits im Jahr darauf, 1825.

Beide geschiedenen Eheleute versuchten ihr Glück ein zweites Mal und heirateten wieder – Mariane folgerichtig Adolf Bargiel, Friedrich Wieck eine wesentlich jüngere Pastorentochter, Clementine Fechner. Auch die neuen Ehen waren mit Kindern gesegnet, und aus jeder derselben ging zumindest ein musikalisches Talent hervor: die später wie ihre Halbschwester Clara als Pianistin aufgetretene Marie Wieck und Claras als angesehener Dirigent und Kompositionslehrer gefeierter Halbbruder mütterlicherseits Woldemar Bargiel, den später auch Robert Schumann schätzte.

Warum nun, meine Damen und Herren, werden Sie fragen, feiern wir eigentlich eine gescheiterte Ehe, der nur eine so kurze, achtjährige Dauer beschieden war? Die Antwort ist recht einfach: Nur deshalb, weil aus ihr eine großartige Künstlerin wie Clara Schumann hervorging, die das Musikleben des 19. Jahrhunderts entscheidend mitgeprägt hat. Sie verband sich 1840 – zunächst gegen den hartnäckigen Widerstand Friedrich Wiecks – mit dem großen Komponisten Robert Schumann, und aus dieser Ehe gingen acht Kinder hervor. Ihrem Mann, dessen spätere Lebensjahre durch Krankheit gezeichnet waren, war sie die wesentliche Stütze, seiner Musik verhalf sie auch nach seinem Tode zu europäischem Ruhm. Aber sie selbst war eine eigengeprägte, unabhängige Künstlerpersönlichkeit, deren wunderbares Klavierspiel viele Jahrzehnte lang ihr Publikum entzückte und deren talentierte Kompositionen noch heute zunehmend geschätzt werden. Deshalb ist ihr Name auf unserer Gedenktafel besonders hervorgehoben.

Nicht vergessen sei schließlich, dass Clara Schumann auch ihren Eltern anhänglich blieb: Die Mutter, die ihr weiteres Leben in Berlin verbrachte und bereits 1841 Witwe wurde, war bis ins hohe Alter ihre (und teilweise auch Schumanns) vertraute Freundin, dem Vater bewahrte sie trotz der schwierigen Jahre ihrer Brautzeit lebenslange Dankbarkeit für seine musikalische Förderung. Davon zeugt die erwähnte Gedenktafel in Pretzsch, während wir nachher eine neue, von unserer Zwickauer Robert-Schumann-Gesellschaft gestiftete Tafel zum Gedenken an die “Hochzeit von Oberlosa“ hier an der Stephanuskirche einweihen wollen.

Die von uns eingesetzten und einsetzbaren Cookies stellen wir Ihnen unter dem Link Cookie-Einstellungen in der Datenschutzerklärung vor. Voreingestellt werden nur zulässige Cookies, für die wir keine Einwilligung benötigen. Weiteren funktionellen Cookies können Sie gesondert in den Cookie-Einstellungen oder durch Bestätigung des Buttons "Akzeptieren" zustimmen.

Verweigern
Akzeptieren
Mehr