Europäische Romantik in der Musik.
Carl Dalhaus u. Norbert Miller.
Bd.2: Oper und symphonischer Stil 1800-1850. Von E.T.A. Hoffmann zu Richard
Wagner.
VI, 1047 S., zahlr. Abb.
Suttgart · Weimar: Verlag J.B. Metzler, 2007
ISBN: 978-3-476-01583-9
Mit diesem Band findet ein ebenso ambitioniertes wie sperriges Buchprojekt seinen Abschluss. Begonnen wurde dessen Konzeption in den 1980er Jahren, als der vor fast zwanzig Jahren verstorbene, verdienstvolle Musikwissenschaftler Carl Dahlhaus noch lebte.
Er und der Literaturwissenschaftler Norbert Miller spannen in kongenialer Ergänzung auf den weit über 1.000 Seiten dieses Buches einen gewaltigen Bogen. Häufig spürt man beim Lesen, dass Miller die Vollendung der beeindruckenden Texte allein übernehmen musste. Nur auf Skizzen und Entwürfe von Dahlhaus konnte er dabei zurückgreifen, die allerdings schon sehr umfangreich und vollendet waren. Ist dies wohl in jeder Hinsicht bedauerlich, tut es dem Erkenntniswert und der Materialfülle des Bandes jedoch keinen Abbruch. Ganz im Gegenteil lassen die daraus resultierenden Kontraste im Stil der Ausführungen manche Passagen gerade besonders reizvoll erscheinen.
Während im ersten Band mit dem Untertitel „Oper und symphonischer Stil 1770-1820” die Zeit behandelt wird, in der symphonische Kompositionen allmählich die im 18. Jahrhundert dominierende Oper an Bedeutung zu übertreffen beginnt, betrachten Dahlhaus und Miller nun jene Epoche, die gemeinhin als musikalische Romantik bekannt ist. Warum sie zuvor mit ihrer Darstellung bereits im 18. Jahrhundert beginnen, begründen sie mit der überraschenden, aber einleuchtenden These, dass alle bedeutenden Komponenten der europäischen Romantik in der Musik gerade dort ihren Ursprung haben und nur so verständlich werden. So finden sich neben Gluck im ersten Band Cherubini, Haydn (als Opernkomponist), Mozart und Da Ponte, sowie die italienische Opera Buffa zwischen Cimarosa und Rossini. Der Zusammenhang von Oper und symphonischem Stil bleibt ständig im Mittelpunkt der Diskussion.
Dieser Vorgeschichte schließt sich die Auseinandersetzung mit der eigentlichen Thematik im gerade erschienenen zweiten Band konzise und folgerichtig an . Nochmals wird auf die Jahrhundertwende zurückgegriffen, um dann über die Musikzentren der Epoche Paris, Wien und Berlin, von E.T.A. Hoffmann schließlich zu Richard Wagner und seinen innovativen, als revolutionär empfundenen Konzeptionen zu gelangen. Insbesondere auf die bedeutende Rolle Hoffmanns für die europäische Romantik als Komponist und als Musikschriftsteller wird zum ersten Mal ausführlich und überzeugend eingegangen. Erst jetzt erkennt man die Entwicklung, die Hoffmann vom Denken des 18. Jahrhunderts ausgehend, bis hin zur neuen Ästhetik der Musikdramatik durchläuft. Erst jetzt wird deutlich, dass gerade er als „Pol der Romantik” hier stilbildend und innovativ wirkte. So wird auch die Bedeutung seiner Opern in diesem Zusammenhang erstmalig adäquat herausgestellt. Gaspare Spontini und seine musikdramatischen Werke werden aus neuer Perspektive betrachtet und in Zusammenhang zu jenen Carl Maria von
Webers gebracht. Auch ein Exkurs zu Karl Friedrich Schinkel und seinen genialen Bühnenbildentwürfen für die Berliner Oper darf, angereichert mit zahlreichen Abbildungen, nicht fehlen.
Der zweite Teil („Viertes Buch”) des Bandes widmet sich dem Bereich „Zukunftsmusik”. Spätestens hier weitet sich der ohnehin schon weite Blick der Autoren noch einmal und ins Gesamteuropäische. Rossini und Meyerbeer in Paris demonstrieren unter anderem den Übergang vom Singspiel zur Grand Opéra, zur großen romantischen Oper. Hector Berlioz mit seiner Vision der „dramatischen Symphonie”, die Szenen aus Goethes Faust von Robert Schumann und Franz Liszt mit seiner so genannten Bergsymphonie werden ausführlich und von allen Seiten beleuchtet. Berlioz und Liszt, der gar kein Opernkomponist war, als „zentrale Gestalten” der europäischen Romantik herausgefiltert in ihren Bestrebungen, die symphonische Dichtung zu fördern und neben dem Musikdrama als gleichberechtigten Zugang zur urromantischen Idee von der Musik etablieren zu wollen. Letztlich laufen sämtliche Überlegungen bei der Symphonie und dem symphonischen Stil um 1850 zusammen, bei Richard Wagner und seiner These vom Ende der Symphonie, deren Zerfall als wohlmöglich einzigem Weg zur Hegemonie.
Einige Gesamtdarstellungen zu dieser komplexen Thematik gibt es bereits, die keineswegs als minderwertig sind, aber keine davon ging derart in die Tiefe, wie die vorliegende. Nirgends fand bislang eine Erörterung in dieser breiten Dimension statt. Schier überwältigend ist hier die Reichhaltigkeit der angesprochenen Aspekte, die Anzahl der betrachteten Künstler, Werke und Schauplätze. Sinnvoll in den Text eingebettete Originalzitate, Notenbeispiele und historischen Illustrationen sorgen für eine zusätzliche Bereicherung. Ein umfangreicher Apparat mit Anmerkungen, Verzeichnissen und Registern erleichtern dem Leser das Erfassen und Verarbeiten der immensen Materialmenge.
Insgesamt ein flüssig geschriebenes Buch, das eine Fülle an fundiertem Wissen und Erkenntnissen vermittelt und den Leser in jeder Hinsicht mitreißt. Sicher wird man es nicht von Anfang bis Ende in einem Zug durchlesen können, aber es ist so angelegt, dass einzelne Kapitel durchaus für sich gelesen werden können.