Dramatische Geste

Opernwelt, Februar 2009

Seite 26

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Schatten auf die Sonnenuhren, Winde auf den Fluren, «wer jetzt allein ist, wird es lange bleiben»: An Rilkes trübe Herbststimmung denkt man beim Hören des eben, passend zur Jahreszeit, veröffentlichten Albums «Lieder einer Reise» von Franz Grundheber. Schubert kommt auch vor im Programm, doch eben nicht die «Winterreise», sondern einige Lieder aus dem «Schwanengesang», darunter der unglücksel’ge Atlas, der die ganze Welt der Schmerzen tragen muss. Es ist viel von Tod die Rede, vom Abschiednehmen, von Melancholie im Allgemeinen; der zur Zeit der Aufnahme 66-jährige Bariton (er hat das Recital 2003 in Hamburg eingespielt) malt mit dunkler Tinte, wechselt gelegentlich zu den grellen Farben der Satire (in Richard Wagners «Flohlied» beispielsweise), lässt das Recital mit Hugo Wolfs Vertonung von Eduard Mörikes «Fußreise» auf einer vermeintlich besänftigenden, versöhnlichen Note ausklingen. Interpretatorisch kann Grundheber den Opernsänger nicht leugnen, er zieht die dramatische Geste der allzu subtilen Differenzierung vor. Doch seinen Interpretationen nehmen für sich ein, seine Lesart von Frank Martins «Jedermann-Monologen» etwa greift richtig ans Herz. Klavierpartner Matthias Veit sucht die vorherrschend schwermütige Grundstimmung des Abschiednehmens auch aus der Distanz der späteren Geburt nachzufühlen.

Franz Grundheber: Lieder einer Reise.
Lieder von Frank Martin, Felix Mendelssohn, Franz Schubert, Richard Wagner, Robert Schumann, Hugo Wolf
Mit Matthias Veit, Klavier.
Spektral SRL 4-08022 (CD);
AD: 2003.

Gerhard Persché