Zwei Seiten des Romantikers
Dass das Tonhalle-Orchester Zürich an den diesjährigen Zürcher Festspielen unter dem Motto «Robert Schumann» sämtliche Sinfonien des Meisters aufführt, strotzt nicht gerade vor Originalität. Dass sich aber unter den präsentierten Schumann-Werken auch das nahezu unbekannte Dramatische Gedicht «Manfred» findet, ist eine Kulturtat erster Klasse. Im Eröffnungskonzert unter der Leitung von Christopher Hogwood im Grossen Tonhalle-Saal bot die Gegenüberstellung von Dritter Sinfonie und «Manfred» die Gelegenheit, zwei grundverschiedene Seiten des Romantikers kennenzulernen. Die «Rheinische» erschien dabei als Resultat einer durchweg positiven Lebenshaltung. Die Deutung von Hogwood bewegte sich innerhalb eines Dreiecks von Eleganz, natürlichem Fliessen und tänzerischer Brillanz.
«Manfred», in dem Schumann eine Dichtung Lord Byrons, eines mit ihm wesensverwandten Poeten, vertont hat, gibt Einblicke in die Abgründigkeit der Komponistenseele. Manfred, der sich durch eine inzestuöse Beziehung zu seiner Schwester Astarte schuldig gemacht hat, will sie durch die Macht der Geister aus dem Totenreich holen, damit sie ihm verzeihe. Musikalisch ist die Komposition alles andere als einheitlich, vermischen sich darin doch reine Musiknummern, melodramatische Stücke und gesprochene Passagen. Den stärksten Eindruck hinterliess der Schauspieler Bruno Ganz, der die Zerrissenheit der Titelfigur mit Eindringlichkeit darstellte. Sekundiert wurde er von jungen Schauspielerinnen und Schauspielern des Theaters an der Sihl. Der Schweizer Kammerchor trumpfte im Hymnus der Geister machtvoll auf und verströmte am Schluss im «Requiem aeternam» süssliche Töne aus dem Off. Als Geister traten auch die fünf Vokalsolisten auf: Ana Maria Labin, Maria Riccarda Wesseling, Paolo Vignoli, Marc-Olivier Oetterli und Markus Volpert. Dem Orchester fiel nach der programmatischen Ouverture vorwiegend die heikle Arbeit des Hintergrundmalens zu. Wahrlich schwierige Aufgaben für den Dirigenten, die Hogwood jedoch souverän löste.
Neue Zürcher Zeitung 18.06.2007, Nr. 138, S. 26
Feuilleton
Thomas Schacher