Peter Gülke: Auftakte -- Nachspiele.

Studien zur musikalischen Interpretation.

304 S., gebunden
Stuttgart, Weimar, Kassel: J.B. Metzler / Bärenreiter, 2006
ISBN: 978-3-7618-2038-4


Wie kaum ein anderer Künstler verbindet Peter Gülke seine erfolgreiche Arbeit als Dirigent mit musikwissenschaftlichen Studien und musikschriftstellerischem Engagement. Das Nachdenken über Musik und deren Interpretation sowie die Prüfung schöpferischer Inspiration als Autor und die in der musikalischen Praxis gemachten Erfahrungen befruchten sich bei Gülke wechselseitig. Begegnet diese vielseitig begründete Form des künstlerischen Arbeitens in der letzten Zeit zunehmend häufiger, so galt Peter Gülke über viele Jahre hinweg als herausragende Einzelerscheinung. Seine wichtigsten schriftlichen Äußerungen zur musikalischen Inspiration aus vier Jahrzehnten hat er nun in vorliegendem Band veröffentlicht. Dass die ältesten unter ihnen -- zur ihrer Erscheinungszeit thematisch ein singuläres Novum -- heute möglicherweise als "verjährt" betrachtet werden, wie Gülke selbst im Vorwort schreibt, beweist vor allem, wie bahnbrechend er gerade durch seine Verknüpfung als Künstler und Musikschriftsteller wirkte.

Seinen gesammelten Betrachtungen fügt Gülke über siebzig Seiten mit ausdrücklich für dieses Buch verfassten "Momentaufnahmen" bei, die ebenso kurzweilig wie aufschlussreich zu lesen sind. Besonders in diesen Miniaturen vermag er die weit reichenden Erfahrungen seiner künstlerischen Arbeit in treffende Worte zu kleiden. Gerade hier darf er, frei von formalen Zwängen einer übergeordneten Thematik, seine Gedanken fließen lassen, ungezwungener Beobachter sein und die Dinge in jeglicher Couleur beleuchten. Ob er kritisch, fast scharf skizziert, ob er grüblerisch brütet oder wohlwollend begutachtet: Stets findet Gülke auf brillante Weise genau den richtigen Ton, in der Sprache wie in der Musik.

Angesiedelt zwischen Essay und Glosse, bieten sämtliche Beiträge nicht nur dem Musikwissenschaftler, sondern ebenso dem interessierten Laien nachvollziehbare Überlegungen und neue Erkenntnisse. Sicherlich lässt sich dieses Buch nicht wie ein Roman in einem Zug durchlesen. Eher wird man es immer wieder vornehmen, durchblättern und schmökern, werden einzelne Beiträge herangezogen, wenn man mit dem entsprechenden Musikstück, dem jeweiligen Künstler oder der speziellen Aufführung in Berührung kommt. Dann kann Gülkes Buch sogar in gewisser Weise als vertiefendes und kompetentes Nachschlagewerk im besten Sinne dienen. In jedem Fall wird man immer wieder zum eigenen Weiterdenken und zur erneuten Beschäftigung mit der Materie angeregt.

Dem breiten Spektrum ständig wechselnder Postulate der historischen Aufführungspraxis nähert Gülke sich mehrfach und auf unterschiedlichen Wegen. Zur Entwicklung des klassischen Orchesters, zur musikalischen Interpretation einzelner Werke und zu den Veränderungen der Rezeption erfährt man Wissenswertes, ebenso über die Verschränkung und gegenseitige Befruchtung von wissenschaftlicher Edition und musikalischer Praxis. Beleuchtet wird der Wandel des Dirigentenbildes bei Orchestern und Publikum. Porträtiert, unter Beimischung von zum Teil wenig bekannten Details aus deren Leben, werden darüber hinaus namhafte Dirigenten, darunter Hans von Bülow, Gustav Mahler, Arturo Toscanini, Wilhelm Furtwängler, Eugen Jochum, Günter Wand und Carlos Kleiber. Den Dirigenten Herbert von Karajan hebt Gülke als beachtenswert hervor, indem er dessen facettenreiche und charismatische Künstlerpersönlichkeit in ebenso vielfältiger Perspektive darstellt. In allem verbindet Gülke seinen persönlichen Blick mit fundiertem Wissen.

Dieser Band vereinigt in jeder Hinsicht sachliche, fundierte Kompetenz und persönliche Erfahrungen in stilistisch geschliffener Sprache. Die Lektüre kann wirklich allen Musikliebhabern wärmstens empfohlen werden.