Ansprache von Joseph Joachim am Grabe Schumanns 1906

Zum 50. Jahrestag des Todes von Robert Schumann aus:
Die Musik – Illustrierte Halbmonatsschrift herausgegeben von Kapellmeister Bernhard Schuster
Fünfter Jahrgang, Vierter Quartalsband, Band XX
verlegt bei Schuster & Loeffler
Berlin und Leipzig 1905-1906

Seite 128-129

„Ehrfurchtsvoll nahen wir huldigend der geheiligten Stätte, in der Robert und Clara Schumann ruhen. Fünfzig Jahre sind hingegangen seit dem Tode des Meisters, vor gerade zehn Jahren ward uns Clara Schumann entrissen. Beide bleiben leuchtende Sterne am Kunsthimmel für Schaffende und Ausübende. Generationen wird die Muse des Tondichters erquicken, seine Lieder, seine instrumentalen Tongebilde sind Eigentum aller Weltteile, und auch wir wollen uns in diesen Tagen erheben an dem, was er geschaffen. Es wird beredter von seiner Grösse zu uns sprechen, als alle Worte es vermöchten. Aber hier wollen wir besonders des edlen Menschen gedenken, des hohen Menschen, wie sein Lieblingsdichter Jean Paul diejenigen seltenen Sterblichen bezeichnet, die immer hinieden unentwegt ein Geistesleben führen, den göttlichen Funken in sich fördernd; deren Gedanken dem Weltgetriebe fern bleiben, das weitab in wesenlosem Scheine hinter ihnen liegt. Und doch wie gütig, wie liebevoll wandelte dieser hohe Mensch unter seinen Mitmenschen, wie suchte er fördernd rein und neidlos war er in seiner Bewunderung anderer Meister, wie liebte er Mendelssohn, Brahms, wie willig erkannte er andere, auch Geringere, an! Seine Schriften geben dafür ein bleibendes Zeugnis. Aber auch für seine Gerechtigkeitsliebe! Er durfte im Bewusstsein seines reinen Wollens bei Gelegenheit streng sein und verschwieg seinen Unmut nicht. Eine äussere Würde war ihm eigen, der sich nichts Unlauteres zu nahen wagte; und doch dabei eine rührende Bescheidenheit, für die ein eigenes Erlebnis aus seinen letzten Lebensjahren mitzuteilen mir gestattet sei. Schumann und Clara besuchten Hannover, und ich hoffte, ihnen durch Vorführung von Musik eine Freude zu bereiten. Wir spielten dem Meister Quartette vor, wobei es natürlich war, dass ich u. a. ein Lieblingsstück von mir wählte, das f-moll Quartett von Beethoven. Als ich nun darauf eines seiner eigenen herrlichen Quartette auf das Pult legte und er dies sah, gab er mir in seiner treuherzigen Weise die Hand und mit einem eigentümlich schönen Ausdruck der wunderbar milden Augen sagte er: „Nein, dies nicht, nach dem, was wir soeben gehört!“ Ich werde die Herzlichkeit im Ton, die Wahrheit, die daraus sprach, nie vergessen. Es ist wohltuend, gerade hier in der Geburtsstadt Beethovens an diese Huldigung zu denken. Beide grosse Meister hat Bonn durch Monumente geehrt, den hier in die Welt eintretenden, den hier zur Ruhe eingegangenen. Möge dies der Gemeinde ein Wahrzeichen bleiben, Frau Musika in Ehren zu halten, für ihre Pflege rastlos tätig zu bleiben. Die kommenden Tage werden, wie wir alle wünschen und hoffen, Zeugnis für das Streben der Stadt geben. Bevor wir aber diese geweihte Stätte verlassen, wollen wir in inniger Verehrung auch derjenigen gedenken, die an des Gatten Seite hier ruht, seiner Clara, die ihn so ganz verstanden, die sein Schmuck und sein Trost durchs ganze Erdenwallen blieb. Erhebend ist es auch, das Leben dieser einzigen Frau zu betrachten, die im Kämpfen gegen ein herbes Geschick stark, nie verbittert, die Güte selbst blieb. Immer werden Robert und Clara ein Symbol reinster Liebe, echten deutschen Seelenlebens bleiben. Mit Sehnsucht denken alle an die beiden zurück, welchen das Glück ward, in ihrer Nähe sich zu erbauen. Die Schönheit dieser Menschen bleibt läuternd für uns, auch nach ihrem Heimgang ‚viel zu heilig für ihren Schmerz‘. Wir wollen ihnen huldigen, indem wir rheinische Blüten, Kinder des Frühlings, darbringen.“

Für die grossen Verdienste, die sich Meister Joachim im Laufe der Jahre um das künstlerische Gelingen der Beethovenfeste in Bonn erworben, waren ihm die Rechte eines Ehrenbürgers der Stadt Bonn verliehen worden, wofür der greise Künstler in bewegten, ungemein bescheidenen Worten dankte.

[Für das Schumann-Portal abgeschrieben vom StadtMuseum Bonn, Juni 2006]

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