Alfred Meißners erste Bekanntschaft mit Wagner 1846 in Dresden

Schon in den ersten Wochen meines Dresdener Aufenthalts hatte ich Richard Wagner kennen gelernt, ich hatte mit ihm und zahlreicher Gesellschaft, zu der auch Gutzkow gehörte, einen Spaziergang nach dem Waldschlößchen gemacht. 

Fast unter Mittelgröße, eher klein, mit stechenden Augen, zusammengekniffenen Lippen und scharf gebogener Nase, auffallend breiter, stark ausgearbeiteter Stirn und vorstehendem Kinn, hatte er viel von einem Professor an sich, wie er denn auch in einer Zeit der Bärte sich ganz rasirt zeigte. Aber frühe Kämpfe hatten ihm schon eine ungewöhnliche Reizbarkeit gegeben, er hatte bereits etwas ewig Aufgeregtes, Gereiztes, Giftkochendes in sich.

„Tannhäuser“ hatte unlängst das Licht der Bretter gesehen. Man hatte das Textbuch gelobt – die Ausstattung war eine ungewöhnlich brillante gewesen – den musikalischen Theil fand man „ungenügend“. Man vermißte eigentliche Charakteristik und geniale Naturkraft, man meinte, das Ganze sei mehr künstlich zurechtgelegt und leide an Langweiligkeit.

Auf diesem ersten Spaziergange hatten wir viel mit einander gesprochen, doch ausschließlich über Politik. Richard Wagner hielt die politischen Zustände für reif zur gründlichsten Aenderung und sah einer in nächster Zeit stattzuhabenden Umwälzung als etwas Unausbleiblichem entgegen. Die Umwandlung werde leicht und mit wenig Schlägen vor sich gehen, denn die staatlichen und gesellschaftlichen Formen hielten nur noch ganz äußerlich fest. Ich erinnere mich noch genau der Worte: eine Revolution sei bereits in allen Köpfen vollzogen, das neue Deutschland sei fertig wie ein Erzguß, es bedürfe nur eines Hammerschlags auf die thönerne Hülle, daß es hervortrete. Inzwischen hatte sich Gutzkow uns genähert, er opponirte, betonte die Kraft der Trägheit, die Macht des Alten und Furcht vor Neuem, die Gewohnheit der Massen zu dienen und zu folgen, den Mangel an Charakter in der unendlichen Mehrzahl. Er äußerte in seiner vorsichtigen Weise hunderterlei Bedenken.

Wagner verlor die Selbstbeherrschung und brach die Debatte mit starken, unmuthig gesprochenen Worten ab.

Dem hat die Zukunft Recht gegeben? Bald genug kam das Jahr Achtundvierzig! Wohl fielen schon in nächster Zeit die geweissagten Schläge, aber sie änderten kaum etwas an der Gestalt der Welt. Am allerwenigsten trat ein neues Deutschland in Erzguß zu Tage. Der kreisende Berg gebar eine – rothe – Maus und bald war wieder alles wie vorher. Deutschland legte sich nach der ungewohnten Aufregung bald wieder aufs Ohr, um wieder sechzehn Jahre zu schlafen.

[Zur Tannhäuser-Aufführung in Dresden]

Am 6. October kam ich endlich dazu, den Tannhäuser zu hören: es war die dritte Aufführung. Bei der zweiten war es nicht glatt gegangen, das Publikum war in eine gereizte Stimmung gerathen, es war viel gezischt worden, nun hatte sich Tichatschek krank gemeldet und die Wiederholung war neun Tage ausgesetzt worden.

Diesmal war der Erfolg ein solcher, daß der Componist – damals gab es noch keinen Meister! – zufrieden sein konnte. Das Haus war anständig gefüllt und die Stimmung eine so gute, daß Wagner und seine Sänger nach jedem Acte gerufen wurden.

Ich gestehe offen, daß ich dieser Musik nie die weltaufregende Wirkung zugetraut hätte, die sie denn doch gehabt hat. Nur das Lied zum Lobe der Frau Venus, das Finale des ersten Actes, in welchem die Wartburggenossen den wiedergefundenen Freund begrüßen, der Einzugsmarsch und das Lied an den Abendstern rissen mich aus der Ermüdung heraus, die mich bald überfallen hätte.

Für das Verschwimmende, Träumerische, das bloße Auf und Nieder der Tonwellen hatte ich keinen Sinn; die Pilgerlieder erschienen mir eintönig, der Sängerkrieg, in welchem ich die frappantesten Melodien erwartet hatte, mißlungen.

Mein für derlei Hören noch ungeschultes Ohr glaubte in den zur Liebe lockenden Dämonengesängen des Venusberges eine gelinde Katzenmusik und in den schneidenden Violinfiguren, welche das Pilgerlied mit den Venusbergsklängen durchsetzen, ein unorganisches Tohuwobohu zu vernehmen.

Dagegen hatte das Textbuch, das keck genug die Gestalt Heinrichs von Ofterdingen im Tannhäuser aufgehen läßt und die Hörselbergsagen mit dem Sängerkriege auf der Wartburg verschmilzt, mich sehr interessirt. Der Stoff behandelte gewisse Punkte, die man noch nicht auf der Bühne behandelt gesehen: das Versinken eines genialen Individuums in die Sinnlichkeit und sein Sichherausreißen aus dem Sinnestaumel. Das war neu und einer Wirkung sicher.

Und doch war wieder die Durchführung dieses Problems eine solche, die man auf keine Weise mit dem Freidenker und Revolutionär, den ich unlängst hatte sprechen hören, vereinigen konnte.

Wenn man mit einem etwas modernen Geiste an den Stoff herantritt, denkt man sich doch den Tannhäuser als einen Mann, der sich von mittelalterlich christlicher Anschauung emancipiren wollte. Nun war aber alles ganz im Sinne eines Mönchsthums gefaßt, das sich die alten Götter als ein herabgekommenes Geistergesindel vorstellt und in dem Schwärmer für die antike Welt nur einen Gesellen von liederlichen Sitten sieht.

Und nichts anderes ist Tannhäuser in der Oper.

Darum erfaßte ihn auch bald Mißbehagen und Ekel vor solchem Heidenthum und vor sich selbst, und durch den Ruf: „Mein Heil ruht in Maria!“ sieht er sich schon wieder in die Oberwelt versetzt; denn vor dem heiligen Namen der Gottesmutter ist aller heidnischer Spuk verschwunden. Auf der Wartburg geräth er nun wieder in eine Versammlung von Minnesängern und Rittern, welche, höchst absurd, nur eine Liebe feiern, die vom bloßen Anschauen lebt. Liebe soll absolute Enthaltsamkeit sein; man meint, Tannhäuser sei unter lauter Mönche gerathen. Kaum wagt er eine Rechtfertigung und tritt schon schuldbewußt, ein gar sonderbarer Held, die Bußfahrt nach Rom an. Er erhält dort keine Absolution, kehrt, ein gebrochener Mann, in die Heimat zurück und ruft wieder Frau Venus an, ihm den Lustgarten aller Freuden zu öffnen. Doch wir erleben wieder Wunder, ja Wunder über Wunder. Auf bloße Nennung des nunmehr heiligen Namens Elisabeth schwindet aller heidnische Spuk; Tannhäuser sinkt todt zur Erde – die Fürbitte einer Heiligen hat ihn erlöst. … Sein Stab grünt.

Wenn das nicht der bare mittelalterliche Katholicismus ist, verstehe ich das ganze Stück nicht. Jedenfalls muß man zu solcher Dichtung bedenklich den Kopf schütteln.

Lange noch nach der Aufführung saß ich, alles dies beisprechend, mit Hähnel im Wirthshause zusammen. „Und doch irren Sie,“ sagte dieser, der zu den besonderen Freunden Wagner’s zählte, „wenn Sie wegen alledem Wagner für einen Kryptokatholiken halten … Er arbeitet nur mit Vorliebe mit den Mitteln der alten Romantiker Tieck, Arnim, Brentano. Er ist sehr klug und weiß recht wohl, welche Macht diese Romantik noch über die Geister ausübt. … Was wollen Sie? Meyerbeer ist wohl auch ein schlechter Christ und arbeitet in den Hugenotten mit protestantischen Tendenzen? … Schließlich,“ fügte Hähnel lächelnd hinzu, „ist Eines zu bedenken, wenn wir die Oper im Licht der Tagesfragen ansehen: Tannhäuser müßte ja ein Deutschkatholik sein, weil er sich vom Papste lossagt“ …

An einem der folgenden Tage sah ich Ferdinand Hiller eine Rolle in der Hand halten. „Da hat Richard Wagner,“ sagte er „einen neuen Operntext geschrieben und mir ihn zu lesen gegeben. Er heißt „Lohengrin“ und behandelt die Sage vom Schwanenritter. Ein ganz vortreffliches, höchst effectvolles Libretto! Wie schade, daß Wagner selbst es componiren will! Seine musikalische Begabung reicht dazu nicht hin! Zu anderer Hand würde das eine ganz andere Wirkung haben!“

So urtheilte man zu jener Zeit. Richard Wagner strafte allerdings dies Urtheil Lügen und gab in seinem Lohengrin sein bestes Werk, meiner Ansicht nach, dasjenige, das von seinen Werken am längsten leben wird. Mit der „Unzulänglichkeit“, die damals so allgemein betont wurde, hatte es aber doch seine gute Verwandtniß. Man verstand darunter den Mangel an wirklicher Dramatik, das geringe Maß von Melodienzauber, das stete Vorwiegen pathetischen Ernstes, den Mangel an wirklicher lebendiger Charakteristik. Allerdings, alle diese Unzulänglichkeiten sind seitdem als der Anfang einer neuen Kunstform gepriesen worden. Darauf gehe ein, wer alle Moden und Thorheiten seiner Zeit mitmachen zu müssen glaubt! Vielleicht muß man, um das Kunstwerk der Zukunft recht zu schaffen und zu würdigen, schon heute mit den Ohren der Zukunftsgeneration ausgestattet sein.

Im Auftrag der Projektleitung des Schumann-Netzwerks digital für das Schumannportal erfasst von Petra Sonntag, StadtMuseum Bonn, Februar 2013 aus: Alfred Meißner: Geschichte meines Lebens, I. Band, 3. unveränderte Auflage, Wien und Teschen: Verlag der k.k. Hofbuchhandlung Karl Prochaska, 1884, S. 169 ff.


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