Ole Bull, der Violin-Virtuose.
Der Österreichische Zuschauer
Zeitschrift für Kunst, Wissenschaft und geistiges Leben.
Herausgegeben von J. S. Ebersberg
Erster Band
Wien, 1839.
Seite 376 bis 377
Ole Bull, der Violin-Virtuose.
Geboren zu Bergen in Norwegen am 5. Februar 1810, zeigte Ole Bull schon in seiner ersten Jugend die Spuren des Talentes, welches ihn demnächst so berühmt machen sollte. Von einem seiner Verwandten erhielt er als Knabe von vier Jahren eine kleine Violine geschenkt, worauf er alsbald alle Melodien nachspielte, die er auf der Straße singen oder ableiern hörte. Durch dieses Kinderspiel hatte er in seinem siebenten Jahre bereits eine solche Kenntniß in der Handhabung des Instrumentes erlangt, daß er in den Quartetten von Pleyel mitspielen konnte.
Dessenungeachtet schien es, als wenn er bald darauf der Kunst, die seines Lebens eigentliche Aufgabe war, auf immer entsagen sollte. Sein Vater bestimmte ihn nämlich zum Studiren, und da man besorgte, daß der Hang zur Musik dabei nur störend einwirken würde, entzog man ihm eine lange Zeit hindurch seine Violine, und er mußte bis zum Jahre 1828 seine Studien auf der Universität zu Christiania fortsetzen. Obgleich ihm die fernere Ausübung der Musik hierdurch sehr erschwert war, so wurde doch seine Fertigkeit auf der Violine allgemein bekannt. Als daher der Musik-Director am Theater zu Christiania eines Tages plötzlich erkrankte, ersuchte man Bull, an jenem Abende seinen Platz einzunehmen. Bull’s Triumph war so groß, daß man, als der Musik-Director kurz darauf starb, ihn zu seinem Nachfolger erwählte. Jetzt widmete er sich ganz dem Studium der Musik, und da seine Universitätsjahre vollendet waren, trieb ihn die Bewunderung L. Spohr’s an, einer Reise nach Kassel zu machen, wo er sich ohne weitere Empfehlung selbst jenem Künstler vorstellte. Dieser soll ihn indeß mit einiger Kälte aufgenommen haben, und sie blieben sich daher fremd. Ole Bulle war darüber so verstimmt, daß er beschloß, der Musik für immer zu entsagen und sich wieder der Jurisprudenz zuzuwenden, weshalb er sich nach Göttingen begab. Hier beschäftigte er sich nur mit seinen Studien; allein da er erfuhr, daß ein Concert von Dilettanten zum Besten der Armen gegeben werden sollte, machte die Liebe zur Musik wieder in ihm auf, und er erklärte seinen Wunsch, an der Aufführung Theil zu nehmen. Das Concert hatte zu Münden statt, und Ole Bull erregte darin durch sein Spiel die größte Sensation; aber ein bei dieser Gelegenheit vorfallender Wortstreit mit einem der Theilnehmer verwickelte ihn in ein Duell, in Folge dessen er Göttingen schnell verlassen mußte. Er befand sich in diesem Augenblicke ohne alle Geldmittel, und nur mit Hilfe einiger guter Freunde gelang es ihm, über Hamburg und Copenhagen nach Christiania zurückzukehren. Am Abende seiner Ankunft daselbst begab er sich in’s Theater; seine Gegenwart wurde bald bekannt und er gleich aufgefordert, seinen alten Platz im Orchester wieder einzunehmen, welches er auch unter allgemeinem und lautem Jubel that.
Nun besuchte Bull bald darauf alle größeren Städte Norwegens und schiffte sich endlich zu Drontheim wieder nach Bergen ein, nachdem er sich überall hatte hören lassen. Diese Seereise war höchst gefahrvoll und beschwerlich; denn das Schiff gerieth zwischen Treibeis, und die ganze Besatzung wurde mit dem Hungertode bedroht. Vier Leute derselben unterlagen auch wirklich diesem traurigen Schicksale, bis endlich ein milderes Wetter eintrat, das Eis zerschmolz und das Schiff an den Ort seiner Bestimmung gelangte.
Nachdem Ole Bull während eines Jahres das Orchester zu Bergen dirigirt hatte, begab er sich nach Paris, wo er im Jahre 1832 gerade in dem Zeitpunkt eintraf, als die Cholera dort am heftigsten wüthete. Er nahm sich ein Privat-Logis und traf, fremd und unbekannt wie er war, die erforderlichen Anstalten zu einem Concerte. Als er aber eines Tages nach Hause kam, entdeckte er mit Schrecken, daß man sein ganzes Quartier ausgeplündert und ihm Alles, selbst seine Violine, gestohlen hatte. In dieser verzweifelten Lage, mit der französischen Sprache unbekannt und sonst ohne auch nur einen einzigen Bekannten, an den er sich hätte wenden können, erblickte er in der Straße St. Martyr an einem Fenster eine Ankündigung von zu vermiethenden Zimmern; er klopft an die Thür, die ihm von einer Witwe geöffnet wird, der er nur mit Mühe seine unglückliche Lage verständlich machen kann. Zufällig hatte diese Frau vor einigen Tagen ihren einzigen Sohn begraben; sie glaubte, eine große Ähnlichkeit zwischen Bull und dem Verstorbenen zu erkennen und beschloß daher, ihn zu sich zu nehmen. Er blieb auch wirklich mehrere Monate in ihrem Hause und wurde als ihr Sohn behandelt. Während dieser Zeit begegnete er einem Manne, den er früher hatte kennen lernen und der auch Bull’s großes musikalisches Talent kannte; diesem erzählte er seine Unglücksfälle und wurde nun durch ihn in das Haus eines angesehenen Kaufmannes, der ein großer Musikfreund war, eingeführt. Mit seiner Unterstützung gelang es ihm endlich, ein Concert zu geben, in welchem er den glänzendsten Beifall erhielt. Bald darauf hörte er Paganini, und voll Erstaunen erwachte er nun auch zu dem Bewusstsein eines höheren Berufes.
Durch unermüdetes Studium und unausgesetzte Übung gelangte Ole Bull zu seiner jetzigen Vollkommenheit und dann erst unternahm er seine Reise nach den ersten Hauptstädten Europa’s, wo er überall durch seine neue, von allen früher gehörten abweichende Spielart die größte Bewunderung erregte. Man war erstaunt über die unglaubliche, ans Wunderbare grenzende Fertigkeit und Eigenthümlichkeit, womit Ole Bull der Violine die seltsamsten Töne entlockt, die oft mehr den Blasinstrumenten oder der menschlichen Stimme anzugehören scheinen; dann auch über die bisher nicht bekannte Mechanik des Bogens, womit er zuweilen auf allen vier Saiten zugleich spielt und die schwierigsten Variationen vorträgt, während das Thema auf einer Saite gleichzeitig mit vorlautet; allein man vermißte doch bei alledem jene das Herz und Gemüth ergreifenden Töne, welche die Violine, vielleicht von allen Instrumenten am meisten, hervorzubringen vermag, und wie wir sie von Paganini und Beriot häufig gehört haben. Es mag dieß aber auch in den eigenthümlichen, bizarren Compositionen Ole Bull’s liegen; er würde beim Vortrag der Compositionen anderer großer Meister vielleicht eben so und noch mehr gefallen als jetzt. Jedenfalls bleibt jedoch Ole Bull ein großer Virtuose auf seinem Instrumente, und das Abenteuerliche, Romantische, ja mitunter Barocke in seinem künstlerischen Auftreten ist gewiß durch die besondern Schicksale seines Lebens mit herbeigeführt worden. Übrigens ist Bull trotz seiner Sonderbarkeiten doch von einer sehr liebenswürdigen Persönlichkeit und dabei gegen Arme und Nothbleibende außerordentlich wohlthätig.
[Aus dem Original im Bestand des StadtMuseum Bonn für das Schumannportal übertragen von Petra Sonntag, 21.3.2012]