1856 ff., zuletzt 1888 London
Obwohl Clara Wieck-Schumann die Musikmetropolen Paris und Wien bereits in jungen Jahren erobert hatte, dauerte es lange, bis sie auch die dritte europäische Musikstadt, in der man im 19. Jahrhundert Erfolg haben musste, aufsuchte.
Nach London reiste Clara Schumann ein erstes Mal im Jahr 1856, noch zu Lebzeiten Schumanns. Der englische Komponist William Sterndale Bennett, der 1836 in Leipzig Robert Schumann kennen gelernt und bald darauf auch Claras Klavierspiel gehört hatte, lud das Ehepaar immer wieder nach England ein, doch zerschlug sich eine Reise über den Ärmelkanal immer wieder aus den verschiedensten Gründen, zuletzt 1853 wegen einer erneuten Schwangerschaft Claras. Obwohl diese 1856 von Heimweh und Ängsten wegen Roberts Gesundheitszustand geplagt, England ihr fremd war und die englischen Musikverhältnisse ihr keineswegs zusagten, hielt sie es drei Monate lang aus und gab 26 Konzerte in London, Manchester, Liverpool und Dublin. Sie machte keine Konzessionen an den Publikumsgeschmack, sondern setzte Kompositionen von Beethoven, Mendelssohn, Chopin und Schumann auf ihre Programme. Die Kritiker waren geteilter Meinung, vom Publikum wurde sie jedoch durchaus positiv aufgenommen und knüpfte viele wichtige Kontakte.
1857 und 1859 folgten weitere Englandreisen, zunächst sicher auch aus finanziellen Gründen unternommen, denn schließlich musste Clara nun allein für den Unterhalt ihrer sieben Kinder aufkommen. Meist reiste sie von April bis Juni/Juli und blieb 2½ bis 3 Monate in England. Nach 1865 verschob sich dann der Beginn ihrer Aufenthalte auf Ende Januar. Erst ab 1876 reiste Clara nur noch für 5 bis 6 Wochen nach London. Ihre ersten Tourneen beinhalteten auch Konzerte in anderen Städten, später beschränkte sie sich auf London. Da ihre erste Aufführung des Schumannschen Klavierkonzertes auf wenig Verständnis gestoßen war, setzte sie es erst 1865 wieder auf ihr Programm.
Diese 4. Englandtournee bezeichnete ihr Biograph Berthold Litzmann als ihren Durchbruch bei Kritik und Publikum. Clara Schumann lernte im Laufe der Zeit auch die Wesensart der Engländer schätzen und wohnte ab 1868 bei dem wohlhabenden Kaufmann Arthur Burnand und seiner Schwester, in deren Haus sie auch Soiréen für geladene Gäste gab. Clara Schumann trat im Crystal Palace, in der Musical Union, vor allem aber in den sogenannten „Popular Concerts“ auf. Diese fanden in der mehr als 2000 Zuhörer fassenden St. James’s Hall statt und wurden über 40 Jahre lang von Arthur Chappell geleitet, der darauf achtete, daß die Kartenpreise unverändert niedrig blieben, damit auch finanziell weniger bemittelte Menschen die Konzerte besuchen konnten.
Clara trat zwischen 1866 und 1888 über 100 Mal bei den „Popular Concerts“ auf, das erste Mal im Mai 1865, als Chappell einen reinen Schumann-Abend veranstaltete. Oft konzertierte sie gemeinsam mit Joseph Joachim, ihren Schülern und Schülerinnen und anderen Musikern, mit denen sie auch Schumanns Kammermusik in England einführte. Als sich Clara Schumann 1888 – während ihres 19. Englandaufenthaltes – vom Londoner Publikum mit Schumanns Carnaval verabschiedete, war sie ein prägender Bestandteil des Musiklebens geworden und eine Londoner „season“ ohne sie kaum mehr vorstellbar.
(Julia M. Nauhaus)