„Robert Schumann und die Öffentlichkeit. Hans Joachim Köhler zum 70. Geburtstag“
Im Schumann-Gedenkjahr lud die Konferenz zur Reflexion über dieses bislang schwächer beleuchtete Themenfeld ein; hierbei sollte auch das überkommene Bild des Komponisten als das des isoliert-introvertierten Romantikers hinterfragt und gegebenenfalls Anstöße zu seiner Korrektur gegeben werden. Gleichzeitig war die Konferenz Hans Joachim Köhler gewidmet, in dessen vierzigjähriger Arbeit an der Universität Leipzig Schumann stets einen besonderen Schwerpunkt bildete.
In einem „regionalen“ Teil befasste man sich zunächst mit Wirkungsorten und lokaler Rezeption Schumanns: Ute Bär (Zwickau) spannte einen weiten Bogen vom jungen Pianisten Schumann bis zur verehrten Vaterfigur des Zwickauer Musiklebens; dem Vorurteil der „Dresdner Inkapsulation“ Schumanns widersprach Hans John (Dresden) und gab Einblick in die intensiven gesellschaftlichen Kontakte der Schumanns in der Residenzstadt. Auch Rainer Cadenbach (Berlin) bemühte sich um eine Akzentverschiebung: An Stelle des nahenden Lebensendes versuchte er die Erschließung eines großen Publikums als Leitmotiv der Düsseldorfer Jahre zu etablieren. In “Gedankensplittern“ formulierte Petra Dießner (Leipzig) einige Fragen an das junge Leipziger Schumann-Haus und seine Öffentlichkeit; Thomas Synofzik (Zwickau) schließlich beschäftigte sich mit Julius Becker, den er nicht nur als Schumanns fleißigsten Redakteur der Jahre 1840 bis 1843, sondern auch als Schriftsteller (Der Neuromantiker) vorstellte.
In einem thesenhaft zugespitzten Referat ging Martin Ulrich (Berlin) auf einige Einzelheiten von Schumanns zwischen Idealisierung und Desillusionierung gespaltenem Verhältnis zu Wien ein. Musikalische Anregungen Schumanns für andere Komponisten illustrierten Jarmila Gabrielova (Prag) für die Rezeption in Prag anhand der Klavierwerke Smetanas und Marianne Betz (Leipzig) für die Rezeption in den USA durch das Klavierquintett von George Chadwick.
Den zweiten Schwerpunkt der Konferenz bildete Schumanns Verhältnis zu herausragenden Musikerpersönlichkeiten seiner Zeit: Helmut Loos (Leipzig) exemplifizierte Unterschiede zwischen Schumanns und Liszts Kunstbegriff, wobei er besonders die Rolle Clara Schumanns für die dichotome Rezeption beider unterstrich; als ebenso verschiedenartig charakterisierte Zofia Chechlinska (Warzawa) Schumann und Chopin in ihren musikästhetischen Anschauungen, Wilhelm Seidel (Neckargemünd) referierte Franz Brendels Sicht auf Schumann und Mendelssohn. Gewisse biographische Parallelen zeigte dagegen Hans Joachim Köhler (Leipzig) für Schumann und Wagner; Schumann Sinneswandel bezüglich Berlioz von früher Inspiration bis zur späteren Missbilligung zeichnete Hermann Backes (Leipzig) nach, und wie geschickt Schumann und Moscheles jeweils die Reputation des Anderen für sich nutzbar machen konnten, wurde anschaulich von Michael Heinemann (Dresden) geschildert.
In philologischer Detailarbeit ergründete Matthias Wendt (Düsseldorf) Schumanns Arbeitsweise und immenses Arbeitspensum als Redakteur der Neuen Zeitschrift für Musik; Hrosvith Dahmen (Dresden) zeigte Unterschiede in Schumanns Verhältnis zu seinen Verlegern Schott, Arnold und Friese anhand der Briefwechsel. Einen kulturhistorischen Ausblick gab Kazuko Ozawa (Düsseldorf), die in einem bilderreichen Referat illustrierte, wie Schumann und seine Fühler in Richtung allerlei naturwissenschaftlicher „Merkwürdigkeiten“ wie Astronomie und Paläontologie bis hin zur Homöopathie ausstreckte. Ebenso detailgenau demonstrierten Bernhard R. Appel (Düsseldorf), wie gezielt nach Schumanns Tod sein Bildnis im Stile Dürerscher Melancholie lanciert wurde, um eine bestimmte Facette des Künstlers im Gedächtnis der Öffentlichkeit zu verankern.
Die Konferenz legte – auch in den häufig aufflammenden Diskussionen – starkes Zeugnis von der detailreich fortgeschrittenen Ausdifferenzierung der Schumann-Forschung ab; gleichzeitig zeigte sie den Komponisten entgegen manchem traditionellem Bild als vielseitigen und agilen Akteur seiner Zeit.
Ulrich Wingerter, Leipzig
Die Musikforschung, 60. Jahrgang 2007, Heft 1, Januar-März
Seite 33
Leipzig, 15. und 16. September 2006
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