Promoviert nach Noten
Fono Forum, Dezember 2010, S. 9, Wolframs Wartburg
An der Jenaer Uni gibt es jetzt eine Ausstellung, die Robert Schumanns Werdegang zum Dr. phil. illustriert. Der Meister musste damals mehrere Schriften einreichen, und schwupps war er promoviert. Diese Ehrendoktorwürde – einem 30-Jährigen ungewöhnlich früh verliehen – verschaffte ihm eine öffentliche Reputation, die beim Beutefang der jungen Clara Wieck hilfreich war. Zum Dr. jur. hatte es bei Schumann nicht gereicht, dabei war der Jurastudent aus Leipzig eigens nach Heidelberg gegangen, um das Studium ordentlich voranzutreiben. Es blieb beim Vorsatz.
Heidelberg ist ein hübsches Stichwort für einen anderen großen Komponisten, der es vorzog, einen ordentlichen Beruf zu erlernen, damit Geld zu verdienen, glücklich und sogar berühmt zu werden. Es war Prof. Dr. med. Alexander Borodin, der ein glänzender Arzt war, aber sich im Chemielabor am wohlsten fühlte. Sein erstes Auslandsstipendium führte ihn in die Karpfengasse 2 zu Heidelberg. Noch heute wissen Laboranten mit profunder Ausbildung genau zu sagen, worin sich Borodin bleibende Verdienste für die Heilkunde erworben hat: mit einem Verfahren zur Harnstoff-Bestimmung. Man muss allerdings sagen, dass Borodins wahre Liebe den fluororganischen Bindungen galt. Von großer Bedeutung sind bekanntlich auch seine Untersuchungen auf dem Gebiet der Polymerisation und Kondensation der Aldehyde sowie die fundamentale Entdeckung der Aldol-Addition. Musik war allenfalls ein Zeitvertreib. Die „Polowetzer Tänze“, die Oper „Fürst Igor“, die hinreißende 2. Sinfonie – alles Früchte der Muße.
Da wir eben den Dr. jur. erwähnten: Zwei Musiker gänzlich ungleicher Prägung führten diesen Titel ordnungsgemäß im Reisepass. Der eine war Erfinder des legendären rheinischen Schunkellieds „Kornblumenblau“, nämlich der große Unterhaltungskomponist Gerhard Jussenhoven, der andere war einer der pingeligsten Dirigenten der Welt, nämlich Karl Böhm. Titel von Jussenhovens Arbeit: „Die Grenzen der Reklame im wirtschaftlichen Wettbewerb“. Worüber Böhm gearbeitet hat, ist nicht herauszufinden.
Unter den aktiven Musikern von heute sticht der Dr. med. des Baritons Christian Gerhaher hervor, der seinerzeit keine Lust hatte, einige erfolgreiche Semester Humanmedizin durch ein Gesangsstudium zu gefährden. Er wurde kurioserweise mit einer Arbeit im Bereich Handchirurgie promoviert, es sollte schnell gehen. Trotzdem unterlässt er es stets, die vom Tod umnachteten Männer in Schuberts und Schumanns großen Liederzyklen vorschnell zu reanimieren. Ein guter Arzt ist auch guter Sterbebegleiter. Hinterher darf er aber ordnungsgemäß den Totenschein unterschreiben.
Wolfram Goertz
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