Emanzipierte Frau als Dulderin

Neue Zürcher Zeitung 15.02.2008, Nr. 38, S. 53
Zürcher Kultur

Am Opernhaus Zürich hat am Sonntag Schumanns selten gespielte Oper «Genoveva» Premiere, inszeniert von Martin Kuej und dirigiert von Nikolaus Harnoncourt. Die Titelrolle gestaltet die in Zürich aufgewachsene Sopranistin Juliane Banse. Im Vorfeld spricht sie über ihr Rollenverständnis und über die Eigenheiten ihrer bisherigen Karriere.

Dass der Prophet - oder die Prophetin - im eigenen Land nichts gilt, stimmt im Fall von Juliane Banse für einmal nicht. Die Sängerin, die in Zürich aufgewachsen und zur Schule gegangen ist, hat am hiesigen Opernhaus vor zehn Jahren einen wahren Coup gelandet: Mit der anspruchsvollen Titelrolle in Heinz Holligers «Schneewittchen» konnte sie einen grossen Triumph feiern. Vor zwei Jahren hat sie in Schuberts «Fierrabras» mitgemacht, und nun steht sie als Hauptfigur in Robert Schumanns Oper «Genoveva», die am Opernhaus erstmals gegeben wird, erneut vor einer grossen Herausforderung. Den Vorschlag für ihre Wahl machte der Dirigent Nikolaus Harnoncourt, der sich für diese selten gespielte Oper sehr engagiert.

Die Frage, ob ihr Schneewittchen oder Genoveva als Rolle besser zusage, kann Juliane Banse nicht schlüssig beantworten. «Schneewittchen» war für sie ein wichtiges Projekt, das einen Weg zeige, wie die oft als verstaubt angesehene Oper auch heutzutage weiterleben könne. Die Musik Schumanns liegt ihr gesanglich näher. Trotz den grossen Unterschieden sieht sie Gemeinsamkeiten zwischen den beiden Rollen. «Sowohl Schneewittchen als auch Genoveva sind nicht Frauen aus Fleisch und Blut, die psychologisch gefasst werden können. Sie sind Kunstfiguren, Prinzipien, Projektionsflächen für andere.»

Schumanns Oper nach Vorlagen von Ludwig Tieck und Friedrich Hebbel spielt im Mittelalter. Genoveva ist die Gattin des fränkischen Pfalzgrafen Siegfried. Während dieser in einem «heiligen» Krieg gegen die hereinbrechenden Mauren kämpft, stellt Golo, sein Statthalter, der zurückgelassenen Genoveva nach. Als er bei ihr abblitzt, knüpft Golo mit Hilfe der Amme Margaretha verschiedene Intrigen, so dass Genoveva schliesslich des Ehebruchs bezichtigt und mit der Todesstrafe bedroht wird. Und jetzt die Frage: Kann eine 38-jährige, emanzipierte Frau, die sich bisher noch nie in das Ensemble eines Opernhauses einbinden liess und die im letzten Sommer ihre Professur an der Hochschule für Musik und Theater München aufgegeben hat, mit der Rolle dieser Dulderin Genoveva etwas anfangen? Juliane Banse kann es. Und zwar in dem Sinn, als weder Schumann noch Hebbel Genoveva als eigenständige Figur gedacht haben, die eine Entwicklung durchmacht oder verschiedene Charaktermerkmale zeigt. Und sie kann es, weil ihr das Regiekonzept von Martin Kuej einleuchtet. «Dieser deutet das Geschehen», erläutert sie, «als ein Psychodrama, das sich im Kopf eines Einzelnen abspielt. Zentrale Figur ist Golo, der seine verschiedenen Seiten auf die anderen drei projiziert. Genoveva verkörpert dabei die unschuldige, auf das Jenseits ausgerichtete Seite, Margaretha den Aspekt der sexuellen Phantasien und Siegfried das Prinzip der gesellschaftlichen Ordnung.» Deshalb seien die vier Hauptpersonen während des Stücks ständig anwesend, auch wenn sie von der Handlung her eigentlich nicht da wären.

Dass Juliane Banse mit «Genoveva» auch ihr Repertoire vergrössert, empfindet sie als angenehme Nebenerscheinung. Denn als freiberuflich arbeitende Sängerin wird sie immer wieder für dieselben Rollen angefragt. Mit Pamina, Susanna und Zerlina stellten sich die ersten Erfolge in Mozart-Opern ein. In den letzten Jahren, in denen ihr lyrischer Sopran wärmer und belastbarer geworden ist, kamen die Gräfin Almaviva, Fiordiligi und Eva («Meistersinger») hinzu. Bei den Strauss-Opern ist ihr Sophie inzwischen verleidet, mit der Marschallin (beide im «Rosenkavalier») will sie aber noch etwas warten. Die Gräfin in «Capriccio» würde bald gehen, und Arabella wäre Banses Traumrolle. Zudem interessiert sie sich für das französische Repertoire, das jedoch im deutschen Sprachraum ein steiniges Pflaster darstellt. Und nicht zu vergessen ist ihr Flair für die zeitgenössische Musik, das sie nicht erst seit «Schneewittchen» verspürt.

Doch nicht genug der Interessen: Neben der Oper pflegt Juliane Banse auch das Konzert- und das Liedrepertoire. Schon ihre Gesangslehrerin Brigitte Fassbaender hatte sie dazu ermuntert. «Die verschiedenen Sparten befruchten sich gegenseitig», sagt Banse, «und wirken sich auf meine sängerische Entwicklung sehr positiv aus.» Gerade bei «Genoveva» bringt ihr die Vertrautheit mit Schumanns Liedern enorm viel. Der Preis, den die Sängerin für ihre künstlerische Vielseitigkeit bezahlt, ist ein unstetes Vagabundenleben. Um dennoch zusammen mit ihrem Mann und den beiden Söhnen - die Familie wohnt am Ammersee bei München - ein Minimum an Privatleben zu geniessen, legt sie jedes Jahr mehrere Sperrzeiten fest. Diese Inseln verteidigt sie «mit Zähnen und Krallen» und verzichtet dafür gelegentlich auf attraktive Projekte.
Zürich, Opernhaus, Premiere: 17. Februar.

Thomas Schacher

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