Schumann-Experte bricht Lanze für lebendige „Träumerei“

Michael Struck: Bekanntestes Klavierwerk des Zwickauers wird gemeinhin zu langsam gespielt – Fachleute pflichten ihm bei

Von Andreas Wohland

Michael Struck. - Foto: Lars Rosenkranz

Robert Schumanns berühmte „Träumerei“ gehört zweifelsfrei zu den Klavier-Klassikern. Eine Komposition, die auf das Gemüt des Zuhörers vor allem durch ihre ergreifende Besinnlichkeit und romantisch verklärter Melancholie wirkt. Aber hat Schumann diese musikalische Schwermütigkeit mit ihrer schon fast ein wenig übertriebenen Emotionalität wirklich so gewollt?

Der renommierte Schumannforscher Michael Struck meint: Nein. Für ihn sprechen die Metronomzahlen in der Erstausgabe eine andere Sprache. Die „Träumerei“ sei ein markantes Beispiel dafür, wie sich im Laufe der Jahre das Verständnis, und damit zugleich auch die Interpretation der Werke des Komponisten veränderte. „Pianisten waren immer bestrebt, noch ein weniger ausdrucksvoller zu spielen, als die Generation von Musikern vor ihnen. Das hat dazu geführt, dass schnellere Stücke, sofern man es mit den Fingern hinbekam, immer lebhafter wurden, ruhigere hingegen, die für die Pianisten ausdrucksvolleres Spiel bedeuteten, immer langsamer. Sie versuchten so die Emotionen zwischen den einzelnen Tönen rüber zubringen“, argumentiert Struck.

Inzwischen habe das Ganze derart extreme Ausmaße angenommen, dass es Zeit für eine Wende sei. „Versuchen wir doch einfach nach Schumanns alten Metronomzahlen zu spielen und zu sehen, ob die Stücke nicht noch plötzlich ganz andere Eigenschaften haben, als wir sie aus den Interpretationen der zurückliegende Jahre kennen“, sagte er im Gespräch mit der „Freien Presse“. Die Behauptung, Schumanns Metronom sei defekt gewesen und er habe deshalb falsche Tempi angegeben, verwies er ins Reich der Legende: „Das ist unlogisch, denn in dem Fall müssten alle seine Werke entweder zu schnell oder zu langsam sein. Sie variieren bei heutiger Spielweise aber ganz unterschiedlich, was lediglich auf verschiedene Interpretationen schließen lässt.“

Ein klein wenig Schuld an der ganzen Diskussion komme auch Clara Schumann zu. Sie hatte in einer Notiz angemerkt, dass Schumanns Metronom defekt sei. Später widerrief sie das zwar, hatte jedoch bereits einen Prozess in Gang gesetzt, der offensichtlich noch heute die Experten-Gemüter erhitzt. „In der Vergangenheit habe ich Interpretationen der ,Träumerei‘ von über drei Minuten gehört. Ich selbst bringe sie in gut anderthalb Minuten zu Gehör. Wie Schumann das Stück gespielt hat, weiß niemand mit Bestimmtheit zu sagen. Klar ist aber, je weiter man zeitlich von Schumann entfernt, umso langsamer wird das Spiel. Irgendjemand hat mal gespottet, die ,Träumerei‘ wird irgendwann zu einer abendfüllenden Veranstaltung werden. Davon sollten wir wieder wegkommen“, fordert der Musikexperte.

Die Reaktionen des Zwickauer Publikums, dem er die lebhaftere „Träumerei“ vorspielte, waren einhellig. „So, wie Dr. Struck sie nach den alten Metronomzahlen vorgetragen hat, war es für mich sehr überzeugend. Ich selbst spiele das Stück ähnlich, wobei das Tempo immer etwas variiert, je nach Tagesform und individueller Stimmung“, sagte Thomas Synofzik, Leiter des Schumann-Hauses. Sein Amtsvorgänger, Gerd Nauhaus, schlug in die gleiche Kerbe. „Ich habe mich seit vielen Jahren bemüht, das ähnlich zu spielen, weil ich mir sicher bin, dass Schumann es so gewollt hat. Selbst wenn diese alten Metronomzahlen nicht von ihm persönlich stammen, hat er sie doch stillschweigend gut geheißen.“ Gudrun Wawerka, Leiterin des Clara-Wieck-Gymnasiums, sieht die Diskussion gelassen. „So ungewöhnlich finde ich diese lebhaftere Spielweise gar nicht. Schließlich haben wir hier in Zwickau schon viele Interpretationen der ,Träumerei‘ gehört“, sagt sie. Über zwei Minuten Differenz Dauer der Darbietung von Schumanns „Träumerei“ auf Tonträgern bedeutender Interpreten in Minuten und Sekunden.

Fanny Davies (1861 - 1934, Schülerin Clara Schumanns): 1:26
Vladimir Horowitz (1903 - 1989): 2:15 - 3:04
Angelika Nebel (Aufnahme 2006): 2:20
Wilhelm Kempff (1895 - 1991) 2:26
Alfred Brendel (geb. 1931): 2:33
Jeno Jandó (geb. 1952): 2:43
Jörg Demus (geb. 1928): 2:52
Martha Argerich (geb. 1941): 2:55
Arthur Rubinstein (1887 - 1982): 2:59
Lang Lang (geb. 1982): 3:18
Christoph Eschenbach (geb. 1940): 3:25
Mischa Maisky (geb. 1948, Cellist): 3:43

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