Kraftvolle Deutung

Neue Zürcher Zeitung 22.06.2007, Nr. 142, S. 48
Feuilleton
Thomas Schacher


Schumann gehört zum Repertoire, denkt man. Doch die diesjährigen Zürcher Festspiele, die im Zeichen Robert Schumanns stehen, bieten neben Bekanntem auch selten Gespieltes. Beim zweiten Auftritt des Tonhalle-Orchesters Zürich standen drei sinfonische Werke Schumanns auf dem Programm, aber nur eines, die Zweite Sinfonie, zählt zum Repertoire. Zu Beginn des Konzerts unter der Leitung von Neville Marriner erklang das Orchesterwerk Ouverture, Scherzo und Finale op. 52, das wegen des fehlenden Adagios meist aus dem Kanon ausgeschlossen wird. Doch die Direktbegegnung im Konzertsaal zeigte wieder einmal, dass dies zu Unrecht geschieht. Anders liegen die Dinge bei der sogenannten Zwickauer Sinfonie, die Schumann im Alter von dreiundzwanzig Jahren geschrieben hat. Erfindungsgabe, Mitteilungsdrang und formale Bewältigung hat der Komponist nicht auf einen einheitlichen Nenner gebracht, und so blieb man als Hörer etwas ratlos, wie man diese musikalische Botschaft aufnehmen sollte.

Ausser zum Werkvergleich eignete sich der Abend auch zum Dirigentenvergleich. Während man Neville Marriners Interpretation der Zweiten Sinfonie lauschte, dachte man unwillkürlich an die Deutung der Dritten, die das Tonhalle-Orchester am ersten Abend unter Christopher Hogwood realisiert hatte. Die Ansätze könnten unterschiedlicher nicht sein: dort der von der historischen Aufführungspraxis herkommende Hogwood, hier der einer traditionellen Linie verpflichtete Marriner. Voreilig wäre indes der Schluss, dass sich da eine positiv zu bewertende «aktuelle» Interpretation und eine negativ zu beurteilende «veraltete» Deutung gegenüberständen. Marriner rückte nicht Eleganz und Leichtigkeit, sondern kräftige Zeichnung und eine gewisse Schwere in den Vordergrund. Dies ist angesichts der Präsenz des Blechs schon in der Einleitung des ersten Satzes und angesichts seiner motivischen Bedeutung auch im weiteren Verlauf der Sinfonie ein durchaus praktikabler Ansatz. Und dass das Kraftvolle bei dieser Interpretation bisweilen die Züge des gewaltsam Herbeigeführten annahm, passt auch zum biografischen Hintergrund des Entstehungsprozesses der Zweiten.

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