Reigen herausragender Künstler

Neues Festival in Grafenegg (23.8. – 9.9.)

Eine „Symphonie der Sinne“ schwebte dem Künstlerischen Leiter des neuen niederösterreichischen Musikfestivals, Rudolf Buchbinder, vor, für dessen erste Auflage er einen erlesenen Kreis von Künstlerfreunden zusammentrommelte. Idee ist es, hochkarätige Programme – ohne übergeordnetes Motto – im einmaligen Ambiente rund um das Schloss Grafenegg zu bieten, alte und neue Architektur und nicht zuletzt das Naturerleben im Park zum Gesamterlebnis zu verschmelzen. Der Erfolg scheint ihm Recht zu geben: 96 % Gesamtauslastung lautet die Bilanz der ersten Saison, bei der sich Prominente die Klinke in die Hand gaben und eine enorme Dichte großer Namen auftrat: von Renée Fleming über Valery Gergiev und Zubin Metha bis zu Philippe Herreweghe und Ian Bostridge, der in einem Brahms-/Schumann-Abend wieder einmal die existenzielle Tiefe des romantischen Liedes schonungslos auslotete. An jenem Abend war es ein familiär anmutendes Detail, dass sich Alfred Brendel – einen Tag vor seinem eigenen Auftritt – unter der Zuhörerschaft befand. Das Publikum weiß solche „Volksnähe“ jedenfalls zu schätzen – ebenso wie das breite Angebot an Einführungsvorträgen und die Einrichtung von „Préludes“ und „Soireen“ vor und nach den Hauptkonzerten, die mit dem Erwerb einer Eintrittskarte besucht werden können.

Der Programmbogen des Festivals, nach dem Selbstverständnis des künstlerischen Leiters ja weniger ein konzeptuelles Anliegen denn ein Reigen herausragender Künstler (woran Inhaltsorientierte Defizite erkennen mögen), brachte als Abschluss dann doch einen thematischen Akzent: Krzysztof Penderecki als composer in residence. Mehrere Elemente trugen dazu bei, den Werken und dem kreativen Menschen Penderecki wirklich umfassend begegnen zu können. So hatte man die  Möglichkeit, sich auf das Hauptkonzert am Sonntagabend mehrfach einzustimmen: Morgens durch ein Gespräch mit dem Komponisten Rainer Bischof, in dem so zentrale Themen wie – ohne Scheu vor (vermeintlichen?) Klischees – „slawische Seele“ versus „westliche Avantgarde“ (Termini Pendereckis), das Streben nach größeren Formen in der Folge einer „rebellischen Phase“, das Verhaftetsein in Kunst an sich zur Sprache kamen. Ein nachmittägliches „Prélude-Konzert“ bot dann Kammermusik vom Feinsten – das Sextett und die Cadenza für Viola – und sowohl ein Gespräch mit Dramaturg Rainer Lepuschitz als auch die Lektüre von dessen hervorragendem Programmheft führten dann direkt zum Konzert hin.

In Abänderung des Programms – bei einem so sehr im Dialog mit seinen Werken lebenden Komponisten wenig überraschend – gab es mit dem Adagietto aus der Oper Paradise Lost (UA einer Fassung für Englisch-Horn und Streicher) und dem Mstislav Rostropowitsch in dessen letzter Lebensphase gewidmeten Largo per violoncello ed orchestra Werke eher elegischer Grundstimmung. Speziell das Largo stellte aber zwischen schwerblütigem Beginn, trauermarschähnlichen Passagen und sanftem Verklingen doch stark wechselnde Charaktere vor, in welchen auch „rebellische“ Töne aufblitzten – von Heinrich Schiff am Cello souverän gemeistert.

Die abschließende Eroica zeigte dann – trotz für die „Reitschule“ zu üppiger Klanglichkeit – wie sehr der (auch dirigierende) Komponist mit der Musikgeschichte lebt, und das gerade einhundert Jahre feiernde Tonkünstler-Orchester Niederösterreich in erfreulicher Verfassung ist. Einen ziemlich gegensätzlich Penderecki gab es schon am Vorabend zu hören: die besonders nachvollziehbar sich – repetierend, „anlaufend“, kontrapunktierend etc. – entwickelnden Metamorphosen. Konzert für Violine und Orchester Nr. 2 wurden speziell dank Ernst Kovacic zum mit- und hinreißenden Musik-Erleben.

Davor und danach gab es slawische Seele ganz anderer Art zu hören: Smetanas Sarka und vor allem Dvoráks Neue Welt von der Tschechischen Philharmonie/Zdenek Mácal wurde zum überzeugenden „Heimspiel“. Bedauerlich nur, dass dieses – und manch anderes – Konzert wegen Schlechtwetters nicht im architektonisch „herausragenden“, neuen „Wolkenturm“ gespielt werden konnte; im nächsten Jahr wird ja noch eine neue Konzerthalle zur Verfügung stehen. Doch konnte am Sonntag der bekennende Baum-Liebhaber und –Sammler Penderecki beobachtend durch den herrlichen Grafenegger Park spazieren und dort auch einen neuen Baum pflanzen: Dieser, über ein peripheres „Hobby“ weit hinausgehende enge Bezug, der sich auch, verbal vermittelt, in der Musik nachvollziehen lässt, ist ein Argument mehr für die stimmige Wahl dieses composers in residence; nicht nur er fühlte sich in Grafenegg sichtlich wohl.


Daniel Ender
Marion Diederichs-Lafite

Österreichische Musikzeitschrift 10/2007
Seite 55-56

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