Blick in den Zauberspiegel

Nikolaus Harnoncourt und Regisseur Martin Kušej, Salzburger- Festspiele-erprobtes Duo, erforschen Robert Schumanns einzige Oper, "Genoveva", an der Zürcher Oper
Ljubisa Tošic (Der Standard, 19.02.2008)

Kriegsherr Siegfried (Martin Gantner)
und Genoveva (Juliane Banse).

Den beiden nachzureisen bedeutet, einer Salzburg-Ära nachzulaufen. Als Opernteam haben Nikolaus Harnoncourt und Martin Kušej die Ära Peter Ruzickas bei den Festspielen über das Solide hinausgehoben; doch ist dies schon ein Weilchen her. Danach – Pech für den Ruzicka-Nachfolger Jürgen Flimm – entschied der Dirigent, sich (der Grazer styriarte und der Kraftersparnis wegen) in Salzburg – zumindest was Oper anbelangt – abstinent zu geben. Und Kušej zog es überhaupt vor, einen längeren Urlaub von der Heimat einzulegen, nachdem er seinen Namen im Rahmen der Diskussion um die Nachfolge von Burgchef Klaus Bachler eher unernst instrumentalisiert sah.
bezahlte Einschaltung

Der Zorn scheint sich gelegt zu haben, ein Exil soll man die Zürcher Oper denn auch nicht nennen – aber einen Ort, an dem das Duo offenbar angenehmere Arbeitsbedingungen vorfindet als "daheim". Es ist nicht sehr lange her, dass man Mozarts Zauberflöte gedeutet hat – jetzt nahm man sich eben Genoveva vor, Robert Schumanns einzige Oper, die Harnoncourt seit Jahren beschäftigt. Als Werk, für das man auf die Barrikaden gehen müsse, so der Maestro mit dem Hang zu von der Musikgeschichte abgestraften Raritäten.

Das Stichwort Barrikaden hat auch Kušej zu denken gegeben. Er verlegt die Rittergeschichte in Schumanns Zeit, ins Umfeld der Unruhen von 1848. Sie umlagern als düstere, bewaffnete Menschenmasse Privates, ein kahles weißes Zimmer, in dem außer einem Stuhl und einem Waschbecken (plus Spiegel) nur vier Gestalten (schon bei der Ouvertüre) ihr Innerstes nach außen kehren. Die Verengung des Raumes, die klaustrophobe Konstellation der vier Hauptfiguren (Siegfried, Genoveva, Golo und Margaretha) führt bei diesem Seelendrama zweifellos zu Verdichtungen der Atmosphäre und der Beziehungen, die auch markant und mitunter drastisch zur Geltung kommen.
Hausherr Siegfried (tadellos im Kantablen Martin Gantner), der in den Krieg ziehen muss, pflegt ein durch Besitzerstrenge dominiertes Verhältnis zu seiner Genoveva. Diesem geordneten Verhältnis steht der mit dem Schutz Genovevas beauftragte Golo (intensiv Shawn Mathey) gegenüber, der seine Zuneigung zur Dame des Zimmers zunächst in höfliche Konversation packt. Seine Liebesraserei sprengt allerdings den gesellschaftlichen Rahmen – aus Schwärmerei wird derbes Grabschen und schließlich destruktives Intrigantentum, dem der zu Unrecht des Betrugs bezichtigte Drago (solide Alfred Muff) zum Opfer fällt.

Reise durch den Wahn

Das zusehends blutige Geschehen als Reise durch die wahnhaften Fantasien der Protagonisten zu deuten macht durchaus Sinn. Es lässt sich so auch der spukhafte Teil der Geschichte, repräsentiert durch die der schwarzen Magie zugeneigte Margaretha (passabel Cornelia Kallisch), elegant szenisch einfügen. Wenn Siegfried durch den ihm Verrat vorgaukelnden Zauberspiegel in die Vergangenheit blickt, schwillt der kleine Raum an, beherbergt eine düstere Massenszene, in der Genoveva nackt vorgeführt wird. Auch Siegfried ist da eine Seele im Affekt, die Genoveva die Kehle durchschneidet.
Im Ganzen betrachtet bleibt das Werk natürlich dennoch schwierig. Musikalische Pausen nutzt Kušej zwar durch Dehnung zu szenischer Intensivierung. Allein, auch er kann nicht weginszenieren, dass grandiosen Werkmomenten durchaus auch schwerfällige zur Seite stehen. Eindringlichen Monologen Genovevas (von eleganter dunkler Lyrik Juliane Banse), poetisch-liedhaften musikalischen Höhepunkten des Intimen folgen eigenartig stillstehende Augenblicke. Die Widersprüche hat Kušej nicht weginszeniert, er hat sie einfach routiniert bebildert, wo er doch eher hätte eingreifen sollen. Da hat es Nikolaus Harnoncourt angesichts der fast durchwegs interessanten Musik leichter, wenn er nichts unterschlägt.

Die wilden Kontraste, die Kontrapunktik, die harmonischen Kühnheiten, Dramatik und Poesie (natürlich verschlankt) vermitteln sich prägnant. Es klingt alles facettenreich und hilfreich für die Bühne, es herrscht die Eindringlichkeit des Einzelmoments. Treten schwächere Momente auf, so versteht es Harnoncourt, sie durch Intensität zum plausiblen Aspekt einer widersprüchlichen Ganzheit zu modellieren. Hier hatte Interpretation Form schaffende Kraft. Soweit das eben geht bei Schumanns einzigem Musiktheaterversuch.

(Ljubisa Tošic aus Zürich, DER STANDARD/Printausgabe, 19.02.2008)

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